Dicker, Joël : Das Verschwinden der Stephanie Mailer
Es ist der 30. Juli 1994 in Orphea, ein warmer Sommerabend an der
amerikanischen Ostküste: An diesem Tag wird der Badeort durch ein
schreckliches Verbrechen erschüttert, denn in einem Mehrfachmord sterben
der Bürgermeister und seine Familie sowie eine zufällige Passantin.
Zwei jungen Polizisten, Jesse Rosenberg und Derek Scott, werden die
Ermittlungen übertragen, und sie gehen ihrer Arbeit mit größter Sorgfalt
nach, bis ein Schuldiger gefunden ist. Doch zwanzig Jahre später
behauptet die Journalistin Stephanie Mailer, dass Rosenberg und Scott
sich geirrt haben. Kurz darauf verschwindet die junge Frau ... -
Die
idyllischen Hamptons sind Schauplatz einer fatalen Intrige, die Joël
Dicker mit einzigartigem Gespür für Tempo und erzählerische Raffinesse
entfaltet.
Herausgeber
:
Piper; 4. Edition (2. April 2019)
Sprache
:
Deutsch
Übersetzung :
Amelie Thoma und
Michaela Meßner
Gebundene Ausgabe
:
672 Seiten
ISBN-10
:
3492059392
ISBN-13
:
978-3492059398
Originaltitel
:
La Disparition de Stephanie Mailer
Auch diesen Roman las ich im Rahmen einer Leserunde bei Whatchareadin - allerdings bereits im Mai 2019. Weshalb ich ihn bislang nicht hier im Blog vorgestellt habe? Zeitmangel? Meine nicht so große Begeisterung im Vergleich zu Dickers fulminantem Welterfolg "Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert"? Ich weiß es ehrlich gesagt nicht mehr. Aber da ich im Folgenden auch Joël Dickers neuesten Roman hier präsentieren möchte, gehört diese Buchvorstellung der Vollständigkeit halber m.E. unbedingt dazu. Hier ist sie also:
NICHT DICKERS BESTER ROMAN...
Hamptons, USA
Es ist der 30. Juli 1994 in Orphea, ein warmer Sommerabend an
der amerikanischen Ostküste: An diesem Tag wird der Badeort durch ein
schreckliches Verbrechen erschüttert, denn in einem Mehrfachmord sterben
der Bürgermeister und seine Familie sowie eine zufällige Passantin.
Zwei jungen Polizisten, Jesse Rosenberg und Derek Scott, werden die
Ermittlungen übertragen, und sie gehen ihrer Arbeit mit größter Sorgfalt
nach, bis ein Schuldiger gefunden ist. Doch zwanzig Jahre später
behauptet die Journalistin Stephanie Mailer, dass Rosenberg und Scott
sich geirrt haben. Kurz darauf verschwindet die junge Frau ...
Erzählt wird dieser Roman auf zwei Zeitebenen: einmal rund um die
Premiere des ersten Theaterfestivals in Orphea im Jahr 1994, als der
Vierfachmord geschah, und dann kurz vor der Premiere des 20.
Theaterfestivals 2014, als die Ermittlungen zum damaligen Vierfachmord
plötzlich in Frage gestellt werden. Ursache für die aufkommenden Zweifel
ist die Journalistin Stephanie Mailer, die ein Buch über die damaligen
Geschehnisse zu schreiben gedenkt und sich in der kleinen Stadt an der
amerikanischen Ostküste niederlässt. Ihre Recherchen sorgen für
zunehmende Unruhe, doch wirklich greifbar sind ihre Andeutungen nicht:
"Sie ist Journalistin und behauptet, wir hätten uns
1994 geirrt. Angeblich haben wir damals bei der Ermittlung etwas
übersehen und uns den Falschen geschnappt." --- "Aber das ist doch
Unsinn! Was hat sie genau gesagt?" --- "Wir hätten die Lösung direkt vor
Augen gehabt und sie nicht gesehen." (S. 18)
Jesse Rosenberg will bereits in wenigen Tagen in Pension gehen,
als Stephanie Mailer ihn aufsucht und von ihren Zweifeln an den
damaligen Ermittlungen informiert. Sein Kollege Derek Scott hat sich
nach den Ereignissen 1994 in die Verwaltung versetzen lassen und ist
schon lange nicht mehr im aktiven Polizeidienst. Doch als Stephanie
Mailer verschwindet, übernehmen die beiden Ermittler der State Police
den Fall - und rollen auch die Geschehnisse aus dem Jahr 1994 wieder neu
auf. Womöglich hat die Journalistin Recht und der Falsche wurde damals
beschuldigt?
Erzählt wird hier meist aus der wechselnden Perspektive von Jesse
und Derek, wobei Rosenberg die Ereignisse aus der Gegenwart schildert
und Scott von den vergangenen Geschehnissen aus dem Jahr 1994 berichtet.
Anna Kanner kommt als Ermittlerin der örtlichen Polizei als Verstärkung
hinzu und stellt sich als starke Figur heraus.
Zwar geht es in diesem Roman um die Ermitlungen in Vergangenheit und Gegenwart, doch ist dies kein wirklicher Krimi. Joël Dicker führt hier etwa 30 Charaktere ein, die für ihn alle
von Bedeutung sind und von denen er lt. eigener Aussage in einem
Interview möchte, dass sie dem Leser alle im Gedächtnis haften bleiben.
Ihm ging es darum, von den Menschen in der kleinen Stadt zu erzählen,
und tatsächlich hat nicht jede Figur etwas mit den Fällen zu tun.
Schwerpunktmäßig geht es dem Autor (lt. Interview) um den Blick
in die Vergangenheit der einzelnen Charaktere - jeder scheint da etwas
erlebt zu haben, was ihn brach. Vereitelte Lebensentwürfe,
Enttäuschungen, Schuldgefühle - die Vergangenheit hinterließ bittere
Spuren. Leider geriet die Figurenzeichnung diesmal oft sehr klischeehaft
und überzeichnet, so dass einzelne Charaktere sehr unglaubwürdig
wirkten. Hierauf angsprochen, antwortete Dicker in dem Interview:
"Auch der Joël, der da sitzt und schreibt, hat eben
gelegentlich das Bedürfnis zu lachen. Deshalb entwarf ich diesen
Ostrowski – zugegeben, sehr überzeichnet. Es gab Momente, in denen der
erfolgreiche Autor in mir zur Vorsicht warnte, weil er schon die
negative Kritik der Rezensenten vorausahnte."
Durch die Vielzahl der Charaktere und den ständigen Wechsel von
Personen, Handlungssträngen, Zeit und Ort gerät der Roman zudem noch
sehr zerfasert. Was anfangs wie ein geschickter Kunstgriff wirkt,
erweist sich letztlich als reichlich langatmig und für den eigentlichen
Fall nicht zielführend. Wenn man dem Autor (lt. Interview) glauben darf, wusste er zu
Beginn des Schreibens selbst nicht, wer denn eigentlich der Mörder war.
Dies ist dem Roman für mein Empfinden auch anzumerken.
Dass Joël Dicker schreiben kann, hat er für mich schon mit 'Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert'
bewiesen. Auch in diesem aktuellen Roman sagte mir der Schreibstil
wieder sehr zu, ebenso wie die Art des Aufbaus der Erzählung. Allerdings
hat sich Dicker m.E. weder mit der Überzeichnung der Figuren noch mit
der Mischung aus Krimi und Roman einen Gefallen getan. Nicht Fisch noch
Fleisch, könnte man flapsig sagen - und dadurch von allem zu viel,
einiges zudem zu konstruiert, unnötig und/oder unvorstellbar. Nur gut,
dass das Lektorat immerhin dafür sorgte, dass die ursprünglich doppelte
Seitenzahl und weitere 10 Figuren nicht realisiert wurden.
Immerhin nervten mich die genannten Schwächen nicht so arg,
dass ich den Roman gar nicht mochte. Ich habe ihn durchaus gerne
gelesen und wurde am Ende auch mit einem erhöhten Spannungsbogen
belohnt. Doch kann das Fazit für mich leider nur lauten: dies ist
definitiv nicht Dickers bester Roman.
Joël Dicker wurde 1985 in Genf geboren. Seine Bücher „Die Wahrheit über
den Fall Harry Quebert“ und „Die Geschichte der Baltimores“ wurden
weltweite Bestseller und über sechs Millionen Mal verkauft. Für „Die
Wahrheit über den Fall Harry Quebert“, das in Frankreich zur
literarischen Sensation des Jahres 2012 wurde und dessen
Übersetzungsrechte mittlerweile schon in über 30 Sprachen verkauft
wurden, erhielt Dicker den Grand Prix du Roman der Académie Française
sowie den Prix Goncourt des Lycéens. Mit „Das Verschwinden der Stephanie
Mailer“ konnte er an seine Erfolge anknüpfen und schaffte es ebenfalls
auf die Bestsellerlisten.
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