Sonntag, 13. Juni 2021

Strohmeyr, Armin: Ferdinandea...

 ... Die Insel der verlorenen Träume

Kurz nach Beginn der ansprechenden Lektüre verspürte ich das unbedingte Bedürfnis zu wissen, was Wikipedia zu dieser Insel zu bieten hat. Siehe da, sowohl die Insel als auch einige der Figuren, die zu Beginn des Romans handeln, sind dort ausführlich vermerkt. Es drängte sich die Frage auf, ob man denn einen Roman auf der Grundlage eines Wikipedia-Artikels schreiben könnte. Vielleicht, dennoch würde das dem Autoren sicher unrecht tun.

Nahe Siziliens kocht das Meer. Stellen wir uns eine „bleigraue aufgepeitschte Meeresszenerie“ vor.


„Über dem Horizont gewittert ein grüngelber Himmel. Aber nicht allein die schwefelige Giftigkeit der Wolken und die gleißende Helle der Blitze ließen Angelo den Atem stocken. Im Vordergrund sah er ein Fischerboot hilflos in den Wogenkämmen krängen... Die Fischer krallten sich an Ruder und Tauen fest, während ein Brecher über sie hinwegging. In der Mitte Dees Bildes, wo sich der Horizont zwischen aufgepeitschtem Meer und blitzdurchzucktem Himmel schwach abzeichnete, erhob sich ein graues Ungetüm.... Mit sicherer Hand setzte Kupfer [der Maler] einen leuchtenden Punkt auf die Bergkuppe – das Auge eines Dämons. Mit einem weiteren Pinselstrich, jetzt glutrot, ließ er dieses Auge auslaufen. Ein Feuerbach strömte über die Bergflanke und ergoss sich ins Meer.“ (Seite 67/68)

Soweit die Beschreibung eines Bildes des Malers Anton Raphael von Kupffer, einer Figur, dies sich im Gegensatz zu einigen anderen illustren Persönlichkeiten nicht im Internet finden ließ und daher wohl fiktiv ist, so wie die Bewohner des Örtchens Sciacca an der Südküste Siziliens.

Diese Größen sind zum Beispiel Persönlichkeiten wie Alexander von Humboldt, Johann Wolfgang von Goethe, die sich sicherlich für dieses Phänomen interessierten, aber auch von Sir Walther Scott wird hier gesprochen, dem Earl of Grey, Primeminister und anderen. Vor Ort bezeugt ist der deutsche Geologe und Vulkanologe Friedrich Hoffmann, auch der wird im Roman des Armin Strohmeyer zur Romanfigur. Während es aber logisch erscheint, dass sich Humboldt, Goethe - der sich zu geologischen Problemen mehrfach äußerte im Streit der Neptunologen und Vulkanologen - und jener Hoffmann um das da plötzlich aus dem Meer emporsteigende Inselchen „kümmerten“, ist es erstaunlich, dass sich England, Frankreich, Preußen ebenfalls um das Inselchen „verdient“ machten, was ihm mehrere Namen einbrachte: Graham. Giulia, Hotham, Nertitia, Corrao und Sciacca. Übrig blieb bis heute der Name Ferdinandea für eine Art „Sandbank“ wenige Meter unter der Meeresoberfläche, benannt nach dem damaligen Monarchen beider Sizilien König Ferdinand. Dies ist wohl am ehesten verständlich. 

Um diese Geschichte rankt sich ein amüsanter Roman über eine Insel verlorener Träume und diese, teilweise absonderliche und seltsame Träume beschreibt Armin Strohmeyr. Gipfel der (politischen) Phantastereihen bilden die "strategischen" Überlegungen Englands und Frankreichs. Preußen ist mehr am politischen Gleichgewicht interessiert und versucht, diesen Ferdinand zu beeinflussen, der auf Grund völlig überzogener Meldungen auch solche Vorstellungen über dieses Eiland entwickelt.

Auf der immer noch spuckenden Spitze eines Meeresvulkans wehen derweil die britische und die französische Flagge, die Franzmänner bauen einen Kurort „Neu-Vichy“ dahin und die am Strand spielenden, exerzierenden und trinkenden Briten liefern ihnen das Material dazu. Und das alles im Jahr 1831.

Während dessen lebt das Küstenörtchen Sciacca förmlich auf und hätte wohl zu „wirtschaftlicher Blüte“ gefunden, wenn das Inselchen nicht bereits im Dezember wieder unter dem Meeresspiegel verschwunden wäre.


Schutzumschlag


Der Roman beginnt mit der Bombardierung eines vermeintlichen libyschen U-Bootes
durch die US-Luftwaffe im Jahre 1986, auch das ist wahr und führte zu Spott.

So ergibt sich ein buntes Durcheinander von Personen, eine Gewimmel und Verwirrungen, was den Roman auszeichnet. Die teilweise Überzogenheit der Charaktere sorgt für Lesespaß und einen sehr angenehmen Zeitvertreib nebst Erkenntnissen, die zwar nicht zwingend lebenswichtig, nicht akademisch erscheinen, aber durchaus als lockere Geschichte in ebensolchen Zusammensein gut erzählt werden können.

Eingangs fragte ich, ob man nach Wikipedia-Artikeln Romane schreiben kann. Die oben angeführten Inselnamen habe ich schnell aus Wikipedia übernommen. Ich glaube, man kann, möchte dies aber dem Autor nicht unterstellen, seine Recherchen gingen sicherlich darüber hinaus.

Trotzdem sei noch einmal auf Wikipedia verwiesen: Im Jahre 2002 dachte man, dass seismische Aktivitäten wieder zum Auftauchen des Inselchens führen könnte. Daher brachten Taucher auf der Spitze des Vulkankegels ein Schild an, welches italienischen Anspruch untermauern sollte. Doch wer hat die Marmorplatte zerstört? Damit schließt auch Strohmeyr´s den Roman.


Abb 1


Nein, es ist keine Spoilerei, denn selbst, wenn man Insula Ferdinandea im Internet sucht, ersetzt einem das umfängliche Wissen um diesen Zankapfel im Mittelmeer nicht die amüsanten Ereignisse, sowohl die „politischen“ aus auch die zwischenmenschlichen im Roman, wenn illustre Weltreisende auf die Küstensizilianer treffen.

Armin Strohmeyr (geb. 1966) veröffentlichte Biografien über Erika und Klaus Mann und weitere Porträtsammlungen, außerdem hat er Lyrik-Anthologien herausgegeben. Der promovierte Germanist lebt in Berlin. Ich finde, den sollte man sich merken.

Recht herzlichen Dank an den Verlag für das Rezensionsexemplar.


  • Abb 1: This file is from the Mechanical Curator collection, a set of over 1 million images scanned from out-of-copyright books and released to Flickr Commons by the British Library.View image on FlickrView all images from bookView catalogue entry for book., Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=32758143

© Bücherjunge

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Durch das Kommentieren eines Beitrags auf dieser Seite, werden automatisch über Blogger (Google) personenbezogene Daten, wie E-Mail und IP-Adresse, erhoben. Weitere Informationen findest Du in unserer Datenschutzerklärung und in der Datenschutzerklärung von Google. Mit dem Abschicken eines Kommentars stimmst Du der Datenschutzerklärung zu.

Um die Übertragung der Daten so gering wie möglich zu halten, ist es möglich, auch anonym zu kommentieren.