Samstag, 19. Juni 2021

Helfer, Monika: Vati

Monika Helfer schreibt fort, was sie mit ihrem Bestseller „Die Bagage“ begonnen hat: ihre eigene Familiengeschichte.

Ein Mann mit Beinprothese, ein Abwesender, ein Witwer, ein Pensionär, ein Literaturliebhaber. Monika Helfer umkreist das Leben ihres Vaters und erzählt von ihrer eigenen Kindheit und Jugend. Von dem vielen Platz und der Bibliothek im Kriegsopfer-Erholungsheim in den Bergen, von der Armut und den beengten Lebensverhältnissen. Von dem, was sie weiß über ihren Vater, was sie über ihn in Erfahrung bringen kann. Mit großer Wahrhaftigkeit entsteht ein Roman über das Aufwachsen in schwierigen Verhältnissen, eine Suche nach der eigenen Herkunft. Ein Erinnerungsbuch, das sanft von Existenziellem berichtet und schmerzhaft im Erinnern bleibt. „Ja, alles ist gut geworden. Auf eine bösartige Weise ist alles gut geworden.“ 






  • Herausgeber ‏ : ‎ Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG; 2. Edition (25. Januar 2021)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Gebundene Ausgabe ‏ : ‎ 176 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3446269177
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3446269170






Nachdem mich "Die Bagage" vor etwa einem Jahr beeindrucken konnte, wollte ich nun unbedingt auch die Fortsetzung der Familiengeschichte von Monika Helfer lesen. Wie erwartet begegnet man hier auch bereits bekannten Figuren, auch wenn der Schwerpunkt ein anderer ist: Monika Helfer hat eine besondere Art, sich einer Person anzunähern, behutsam und  wertschätzend und auch bei möglichen eigenen Verletzungen nie anklagend. Das gefällt mir gut... Wie es mir mit dem Roman ansonsten ging, könnt Ihr hier nachlesen:




















FAMILIENGESCHICHTE...




Erster Satz: "Wir sagten Vati - er wollte es so."


Erneut widmet sich Monika Helfer mit diesem Roman ihrer eigenen Familiengeschichte. Während "Die Bagage" sich mit den Großeltern mütterlicherseits beschäftigte, wendet sie sich hier ihren Eltern zu und dabei, wie schon der Titel verrät, v.a. ihrem Vater. 

Diesmal kann die Autorin auch auf eigene Erinnerungen zurückgreifen, ergänzt diese aber durch Anmerkungen ihrer Schwestern sowie der zahlreichen Geschwister ihrer Mutter und deren Kinder. Ein Puzzle breitet Monika Helfer hier aus, wobei nach und nach ein Bild entsteht, bei dem die verschiedenen Versionen abgeglichen und eingefügt werden. Und man erhält hier ein sprödes, unprätentiöses Bild von einem Leben in Armut, von einer Wortkargheit, aber auch von einer großen Liebe zwischen dem Vater und der Mutter - bis diese stirbt.

Dieser Roman stellt einen Versuch dar, sich einer Person zu nähern, die zeitlebens unnahbar blieb - trotz kleiner Gesten der Zuneigung und des Wohlwollens. Wohlwollend ist auch die Annäherung der Autorin, die Betrachtung der Eltern, der Versuch des Verstehens - auch wenn eigene Verletzungen dabei offenkundig werden.

Der Ton der Erzählung gerät oft leicht melancholisch - weniger aufgrund der nicht immer einfachen Lebensumstände, sondern eher deshalb, weil deutlich wird, dass auch innerhalb einer Familie jeder Einzelne in einer Einsamkeit gefangen ist. Wie gut kennt man einen anderen wirklich? Bleibt das Gegenüber nicht immer ein pixeliges Bild aus einzelnen Mosaiksteinen?

Für Monika Helfer ist das Bild ihres Vaters sicher deutlicher als es das für den Leser / die Leserin sein kann. Bei mir hat sich der Eindruck eines kleine, zarten, dunkelhaarigen, fast asiatisch anmutenden Mannes festgesetzt, der wenig Worte verloren hat, seine eigenen Wurzeln verleugnete, kriegsversehrt durch die Liebe zur Mutter der Autorin neuen Lebensmut gewann und diesen erneut verlor, als die Mutter starb. Eine große Liebe zu den Büchern kennzeichnete ihn, ebenso wie der ungelebte Traum vom Beruf eines Chemikers. 

Ich mag die langsame Erzählweise der Autorin, den eingängigen und einfachen Schreibstil, der vieles zwischen den Zeilen mitschwingen lässt. Der große Wunsch Monika Helfers, eines Tages ihren eigenen Namen auf einem Buchdeckel zu lesen, ist jedenfalls ein weiteres Mal in Erfüllung gegangen. Und berührend der Stolz, den der Vater empfunden hat, als sie ihm ihr erstes eigenes Buch mitbrachte, das sogleich in die Regalreihe bedeutender Autoren einsortiert wurde. 

Eine Annäherung an die eigene Familiengeschichte, die ich erneut gern gelesen habe...


© Parden 

























Monika Helfer, geboren 1947 in Au/Bregenzerwald, lebt als Schriftstellerin mit ihrer Familie in Vorarlberg. Sie hat zahlreiche Romane, Erzählungen und Kinderbücher veröffentlicht. Für ihre Arbeiten wurde sie unter anderem mit dem Robert-Musil-Stipendium, dem Österreichischen Würdigungspreis für Literatur und dem Solothurner Literaturpreis ausgezeichnet. Mit ihrem Roman Schau mich an, wenn ich mit dir rede (2017) war sie für den Deutschen Buchpreis nominiert. Für Die Bagage (Roman, 2020) erhielt sie den Schubart-Literaturpreis 2021 der Stadt Aalen. Zuletzt erschien von ihr bei Hanser Vati (Roman, 2021).





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