Freitag, 5. März 2021

Seghers, Jan: Der Solist

War ich doch neulich in meiner hier bevorzugten, weil einzigen richtigen Buchhandlung in der Stadt (Die Buchhandlung Wilke ist aber eine feine kleine Buchhandlung), um eine Bestellung abzuholen, dabei sah ich ein Buch in der Werbung und die freundliche Buchverkäuferin verkaufte mit das nicht bestellte Buch. Wen das wundert, der mache sich bewusst, es war Corona-Zeit. (Mal sehen, wie sich das in zehn Jahren liest).

Ein Spiegel-Bestseller-Autor und auf dem Cover ein Flughafenterminal, welches historisch genannt werden darf. Im letzten Jahr habe ich da mal eine Fototour besucht. Nur schade, dass der Flughafen Berlin-Tempelhof nur eine äußerst nebensächliche Rolle spielt in diesem Kriminalroman von Jan Seghers, der eigentlich Matthias Altenburg heißt. Um was geht´s? 

Unmittelbar vor der letzten Bundestagswahlen kommt ein Ermittler des BKA zur SETA, einer Berliner Sondereinheit zur Terrorabwehr, die in einer Baracke auf dem Tempelhofer Feld residiert. Im vorherigen Dezember hatte ein gewisser Anis Amri einen Sattelschlepper in einen Weihnachtsmarkt gesteuert und dabei elf Menschen getötet und 55 weitere verletzt. Nachdem in Nizza ein ähnlicher Fall geschah, ist die Gefahrenlage hoch.

Der SOLIST, Neuhaus sagt, er arbeite lieber allein, bekommt als Partnerin Suna-Marie, eine kleine, freundliche, ständig redende, etwas mollige deutsch-türkische Neuköllnerin an seine Seite. Der erste Tote ist ein jüdischer Aktivist, die zweite eine muslimische Anwältin. Die verwendete Pistole kam vor zwanzig Jahren als Beweismittel abhanden...

Neuhaus ermittelt fast allein, fast, denn Suna-Marie entpuppt sich als eine Partnerin, die entscheidende Dinge beiträgt und ihre Stadt wie eine Stadtführerin zu beschreiben weiß...


Quelle *

Das ist es, was einen Regionalkrimi ausmachen würde, Seghers lebt in Frankfurt am Main. Es sind diese wissenswerten Infos über Berlin, die der Autor über die sympathische Ermittlerin beisteuert, zum Beispiel über den Spreepark im Plänterwald, oder über Neukölln und deren Bewohner. 

„Neuhaus schaute auf die Straße. Der Billigsupermarkt gegenüber war geschlossen, aber trotzdem hell erleuchtet. Vor dem Eingang lag eine Frau in ihrem Schlafsack, neben ihr ein großer Hund. Man hörte das Wummern der Bässe aus den Lautsprechern des Autos. Sie fuhren mit quietschenden Reifen an, bremsten scharf vor der nächsten Ampel und beschleunigten aufs Neue, hinterm Steuer meist junge Männer mit Brikettfrisuren. Neukölln ist die einzige Gegend in Deutschland, dachte Neuhaus, wo man Sozialleistungen bezieht und sich trotzdem einen Mercedes AMG leisten kann.“ (Seite 95)


Über allem schwebt der Terroranschlag des Anis Amri.
Bald suchen die Ermittler eine Person, die mit dem Terroristen öfter zusammentraf. Was Grabowski, so wird die Suna-Marie Özdal genannt, von Amri halte, will Neuhaus, der sich an sie langsam gewöhnt, wissen:

„Sie sind alle Würstchen... Die Attentäter von Paris waren Würstchen, die von Brüssel: Würstchen. Und auch Anis Amri war ein aggressives, armseliges Würstchen. Zum Schluss hat er nicht mehr ein und aus gewusst. Das Ding am Breitscheidplatz war sein Abschiedsgruß, mit dem er wenigstens vor sich selbst bestehen wollte. Der gloriose Held des Islamischen Staates war ein Looser, der sich nicht mal mehr ein Zugticket leisten konnte. Ein Schwarzfahrer, ein Handy- und ein Fahrraddieb, ein kleines Arschloch, ein Kiffer, ein Kokser, der am Ende war...“ (Seite 93)

Und dann lässt sich Neuhaus über diverse Beamtenmentalitäten aus: „Unser Laden ist durchsetzt mit diesen Nummer-sicher-Beamten, die nur an ihre Pensionen denken und sich während der Dienstzeit in Baumärkten rumtreiben.“ Beamte mit durchschnittlich 49,1 Kranktagen im Jahr, die ihr Geld kriegen, ob sie Fehler machen oder nicht...

Mir scheint, hier hat der Autor seinen neuen Ermittler, der ein Eigenbrötler ist schon einmal vorcharakterisiert (ist es auch Seghers Eindruck?), da kommt noch mehr, wenn im Klappentext vom ersten Fall des Ermittlers Neuhaus die Rede ist. Außerdem ist noch die Vergangenheit zu klären, wozu die plötzlich gefundene Schwester gehört. 

Die Lösung des Falls ist fast unglaublich, soll aber heißen, das sie zu denken gibt, oder wer hat außer fanatischen Islamisten noch Interesse an den Folgen terroristischer Anschläge? Die Werbung des Rowohlt-Verlages zeigt, da ist noch etwas...



Rowohlt


Spannung, an wenigen Stellen überzogen (ein Ermittler, der nur dem BKA-Chef untersteht, ermittelnd im Bundesland Berlin?): lesenswert. Besonders erwähnenswert Suna-Marie Özdal, genannt Grabowski, die mit ihren jüngeren Zwillingsbrüdern schon mal in lost places rumtobt. 

Wir werden sehen. Ich schau erst mal nach einem der früheren, vom ZDF verfilmten „Romane“...


© Bücherjunge





3 Kommentare:

  1. Solche Spontankäufe müssen nicht die schlechtesten sein... ^^

    AntwortenLöschen
  2. Ich habe übrigens kurz überlegen müssen, was denn wohl 49,1 Krantage sind... ☻

    AntwortenLöschen

Durch das Kommentieren eines Beitrags auf dieser Seite, werden automatisch über Blogger (Google) personenbezogene Daten, wie E-Mail und IP-Adresse, erhoben. Weitere Informationen findest Du in unserer Datenschutzerklärung und in der Datenschutzerklärung von Google. Mit dem Abschicken eines Kommentars stimmst Du der Datenschutzerklärung zu.

Um die Übertragung der Daten so gering wie möglich zu halten, ist es möglich, auch anonym zu kommentieren.