Sonntag, 3. Januar 2021

Storm, Theodor: Pole Poppenspäler

 „Neben unserer Haustür stand damals eine kleine weiße Bank mit grünen Stäben in den Rücken- und Seitenlehnen, von der man nach der einen Seite die lange Straße hinab bis an die Kirch, nach der anderen Seite hinaus bis in die Felder sehen konnte. An Sommerabenden saßen meine Eltern hier, der Ruhe nach der Arbeit pflegend; in den Stunden vorher aber pflegte ich sie in Beschlag zu nehmen und hier in der freien Luft unter erquickendem Ausblick nach Ost und West meine Schularbeit anzufertigen.

So saß ich auch eines Nachmittags – ich weiß noch gar wohl, es war im September, eben nach unserem Michaelis-Jahrmarkte – und schrieb für den Rechenmeister meine Algebra-Exempel auf die Tafel, als ich unten von der Straße ein seltsames Gefährt heraufkommen sage. Es war ein zweirädriger Karren, der von einem kleinen grauen Pferde gezogen wurde. Zwischen zwei ziemlich hohen Kisten, mit denen er beladen war, saß eine große blonde Frau mit steifen hölzernen Gesichtszügen und ein etwa neunjähriges Mädchen, dass sein schwarzhaariges Köpfchen lebhaft von einer Seite nach der anderen drehte; nebenher ging, den Zügel in der Hand, ein kleiner, lustig blickender Mann, dem unter seiner grünen Schirmmütze die kurzen schwarzen Haare wie Spieße vom Kopf abstanden.“


Wer das erzählt, ist der Kunstdrechsler und Mechanikus Paul Pauslen, er erzählt das seinem Lehrjungen, welcher ihn nach seinem Spitznamen gefragt hatte: Erst wird Paulsen wütend, denn „Pole Poppenspäler“ sei ein Schimpfname, der, damit wird Paulsen wieder ruhiger, allerdings §das Beste ausdrücke, was ihm im Leben gegeben wurden sei". Dann erzählt er die Geschichte seiner Kindheit, die von der Puppenspielerfamilie Tendler, und deren Tochter, dem Puppenspieler-Lisei.

„Fetzeln“ braucht das Puppenspieler-Lisei für die „Gewanderls“ der Puppen und Paule weiß, wo es diese ohne Geld gibt. Dafür bekommt er eine Eintrittskarte geschenkt. Von nun an lässt ihn das Lisei nicht mehr los, besonders als er für des Kaspers Behinderung sorgt. „Die Peitschn“ befürchtet die Kleine, doch die Kinder, welche die Eltern schlafend in einer Puppenkiste finden, „bitten füreinander“. 

Das Leben bringt es, dass es für Kinder erst einmal auseinander geht. Doch Theodor Storm (1817 - 1888), dem hier der Konflikt zwischen „fahrendem Volk“ und Bürgertum am Herzen lag, ergreift klar Partei für den Künstler Tendler, der den Marionetten die Gesichter schnitzt, aber mit den alten Geschichten später nicht mehr erfolgreich ist. Ebenso für das Thema Familie, denn die Kinder, die sich auch fürs Leben gefunden haben, nehmen den Vater selbstverständlich bei sich auf. Und doch, die Puppen verschleudert er förmlich, als er für seine Kunst keine Möglichkeiten mehr sieht; der Kasper mit der Schlenkernase und dem Schlenkerdaumen kehrt am Ende zu ihm zurück.


Typisch stormsche Novelle: Innerhalb einer Rahmenhandlung werden verschiedene Zeitebenen in Binnenhandlungen erzählt. Im Jahr 1874 wurde der Text erstmals gedruckt. 

Was beeindruckt, ist die Sprache des Dichters, deren Art heute scheinbar abhanden gekommen ist. Die Beschreibungen von den Gegenständen, den Puppen, oder der Kleinstadt, lassen einen langsamer lesen. 

Ja, die „alten“ Sachen. Es sind immer wieder Schätze zu finden, wenn man im Bücherregal der Eltern kramt. Bisher kam Theodor Storm nur einmal auf unserem Blog vor, als ein Herbstgedicht gebraucht wurde. Gerade finde ich in meiner zweibändigen Ausgabe von 1983 ein anderes Gedicht:


„Von drauß´ vom Walde komm ich her;

Ich muss euch sagen, es weihnachtet sehr...“


Aber dies hätte mehr im Dezember gepasst. Der Winterabende kommen noch einige. Den Storm lass ich mal in Sichtweite liegen...


  • Arbeitsgemeinschaft Thüringer Verleger
  • Gebr. Knabe Verlag Weimar 1952
  • Knabes Jugendbücherei

© Bücherjunge



2 Kommentare:

  1. Schön, wenn hier auch alte Schätze immer wieder mal vorgestellt werden...

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    1. wir haben doch sicher alle dies und das noch im Regal, oder?

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