Sonntag, 25. Oktober 2020

Del´Antonio, Eberhardt: Titanus & Vorfahren

Was man früher gelesen hat, fällt einem gelegentlich wieder in die Hände. Das ist durchaus spannend, wenn das Buch vor vierzig Jahren gelesen worden ist. Es könnten vielleicht auch dreiundvierzig Jahre gewesen sein. In die Hände fallen einem diese Bücher, wenn man die Buchhabdlung Windlicht in Stölln besucht.

Es gab da eine Zeit, da war ich ziemlich erpicht auf Literatur, die man utopisch nannte. Oder wissenschaftlich phantastisch. In der Schule hatte ich von Thomas More (Morus) gehört, der die UTOPIA geschrieben hatte. (Inzwischen befindet sich dieses Buch auf meinem eReader)

Utopia war die Beschreibung eines idealen Staats aus der Sicht eines Gelehrten des 16. Jahrhunderts. Das, was wir damals unter utopischer Literatur verstanden, hatte damit etwas zu tun, es wurden nämlich Staatsmodelle beschrieben, die als utopisch sozialistisch gelten können. Eine klassenlose Gesellschaft in der Zukunft mit hochentwickelten technischen Stand und fast schon idealen Menschen, für die das Ziel „jeder nach seinen Fähigkeiten (und Interessen)  und jedem nach seinen Bedürfnissen“ Wirklichkeit geworden sei. Dazu später noch etwas mehr


Zwei solcher Bücher liegen hier vor mir. Eberhard Del´Antonio, Dresdner Schriftsteller mit interessanter Biografie (die ich jetzt erst erst bei Wikipedia fand) schrieb TITANUS und RÜCKKEHR DER VORVÄTER.

Der Raumschiff KOSMOS ist ein riesiges Teil, in dem eine kleine Stadt untergebracht ist und das weit in den Weltraum gesendet werden soll. In das Sternbild der Hyarden.

Ziel ist unter anderem, einen Planeten mittels mittels nuklearen Sprengsätzen aus seiner Bahn zu drängen und dabei die Gravitation zu studieren. 

Die Besatzung ist international. Leiter der Expedition und Kommandant ist Nasarow, ein Russe. Chefingenieur Jansen ist Deutscher, Canterville, ein Engländer ist Chefastronom, und George Romain, ein Rumäne vertritt als Chefideologe die vereinigten Arbeiterparteien, die die Welt geeint haben. Bis auf eine kapitalistische Enklave, bestehend aus den USA und Australien. Aus den USA stößt Stafford dazu, der voller Skepsis ist mit lauter Kommunisten in das All zu fliegen. Zweihundertvierzig Männer! Verlassen ihre Verwandten für zehn Jahre Raumfahrt und doch für immer, denn die Rückkehr wird in dreihundertundfünfzig Jahren erwartet. Die Besatzung besteht aus Professoren, Ingenieuren und Technikern

Sie treffen auf den Planeten TITANUS und stellen fest, dass dessen Bewohner darauf aus sind, ihren Heimatplaneten TITANUS 2 zu zerstören. Es ist die priesterhafte Ausbeuterklasse, die sich auf den Planeten vor den ehemals Ausgebeuteten gerettet hat. Sie wollen das „Geheimnis“ der Kosmos dafür haben...

Die Besatzung möchte sich ursprünglich nicht einmischen in die Angelegenheiten der Titaner, aber sie stoßen auf die Klasse, die sich von den Priestern befreien konnten. Daher stimmen Nasarow und seine Genossen dem Ansinnen der ehemals Herrschenden nicht zu. 

Es kommt der Zeitpunkt für den Rückflug auf die Erde. Damit endet TITANUS.

* * *

Heimkehr der Vorfahren. Auf der Erde sind drei Jahrhunderte vergangen. Jetzt kommen die „Altvorderen“ zurück. Sie haben Material für zehn Jahre Forschungsarbeit mitgebracht, doch die Art und Weise wie man jetzt auf der Erde damit umgeht, ist den Heimkehrern fremd. Bald kommen sie sich wie Schuljungen vor. Stafford geht nach Amerika, dass sich vom Rest der Welt (noch) unterscheidet, er wird mit den Zuständen und der etwas anderen Rolle von Individuen in der Gesellschaft nicht gut zurecht. Die zehn Jahre in einem „sozialistischen Kollektiv“ haben ihre Spuren hinterlassen. Doch das geht den „klassenbewussteren“ Genossen nicht anders und selbst Nasarow ist davon nicht befreit. Das Gegenstück zu Stanford ist Romain, der politische Leiter der Kosmos, der auch allein auf Suche geht. Es gilt also zu lernen...

Als ich diese Bücher vor Jahrzehnten las, kannte ich die „Enterprise“ und Star Treck noch nicht. Vielleicht lag das am Standort des familieren Fernsehers, in Dresden gab es kein ARD oder ZDF, vermutlich hätte ich die Serie abgelehnt, trotz einiger Gemeinsamkeiten.

Ob Nasarow oder Capt. Kirk – ihre Absichten sind positiv. Gemeinsam sogar, dass es da draußen in den „unendlichen Weiten“ auch Gesellschaften gibt, die Diktaturen auf der Erde gleichen. In der sozialistischen utopischen Literatur ging man meist davon aus, dass solche hochentwickelten Gesellschaftern keine antagonistischen mehr sein könnten, also solche mit Widersprüchen, die sich nur durch eine revolutionäre Entwicklung auflösen lassen. Das hat del´Antonio hier nicht ganz so gesehen, im Gegensatz zur „Enterprise“ ist die Entscheidung der Kosmos-Besatzung aber eine kollektive für die revolutionäre titanische Gesellschaft. Die Enterprise handelt meist nur durch die Entscheidung Kirks, nur unterstützt durch Spock, Pille und Scotty.

Wir befinden uns damit in einer klassenlosen hochentwickelten Gesellschaft, in der Arbeit einen völlig neuen Stellenwert hat, selbst für einen wie Romain.

„Was willst du werden?“ Fragt Romain einen Jungen, welcher sagt, er wäre in der achten Stufe und würde in zehn Jahren mit der Grundausbildung fertig sei. Meteoromatiker will er werden um das Wetter zu beherrschen, dann Gerätebauer und vielleicht Malerei und Musik studieren. „Und wann willst du anfangen zu arbeiten?“

„Der Junge sah ihn betrübt an. ‚Viel wissen Sie noch nicht von uns, Genosse Romain... Vier Stunden monatlich gesellschaftliche Arbeit – soll ich in der anderen Zeit nur Fußball spielen? Man muss doch etwas lernen, damit man auch in der übrigen Zeit etwas tun kann, was einem Freude bereitet.“ (Vorfahren – Seite 265)

Solche Gedanken wurden in der Enterprise nicht diskutiert. Jedoch sagt aber selbst der Verlag das neue Leben im Umschlagtext, „dass das Zusammentreffen von Menschen, die verschiedenen Entwicklungsstufen der klassenlosen Gesellschaft entstammen“ bisher ein nur am Rande behandeltes Problem darstellt. Farbenfroh und plastisch sei das Bild der entworfenen Welt von übermorgen. Übermorgen stimmt, aber die klassenlose Gesellschaft ist mittlerweile in weite Ferne gerückt.

An älteren utopischen oder eher wissenschaftlich-phantastischen Romanen ist oft amüsant, wenn der Autor Technik aus der Zukunft beschreibt:

„Pala griff in die Tasche ihres Kostüms und Zug eine handtellergroße Dose heraus. Ein Druck, der Deckel sprang auf. Ein Bildschirm wurde sichtbar. Die Innenseite des Deckels war in kleine Felder geteilt: Presse, Wetter, Flugverbindungen, Oper, Drama, Musik, Sport, Wissenschaft... Pala drückte das Feld ‚Wetter‘ nieder. Auf dem Schirm erschien eine Landkarte mit Isobaren und Luftdruckwerten, mehrfarbig und in ständiger Bewegung...“ (Vorfahren - S. 168)

Diese Bücher wieder zu lesen, machte nachdenklich, es war ebenso vergnüglich.

* * *

Noch einmal zurück zur Literatur. Unter dem Stichwort utopische Literatur (Wikipedia) wird unter theoretisch konzeptioneller Literatur, die in konkreten Modellen des utopischen Sozialismus münde und romanhafter utopischer Literatur, die zu Sience-Fiction würde, verstanden. In dieser stehe Technologie im Vordergrund und erst dann oder gar nicht das Modell einer idealen Gesellschaft, einer dystopischen oder einer Schreckensherrschaft. Diese Unterscheidung trifft m.E. auf die utopische Literatur des sozialistischen Realismus, weniger oder gar nicht zu, da technologischer Fortschritt an eine entwickelte Gesellschaft, großer Fortschritt an eine klassenlose Gesellschaft gebunden sein sollte. Hier liegt wahrscheinlich ein Grund dafür, dass für die DDR-Literatur dieser Art der Begriff „wissenschaftlich-fantastische Literatur“ gebräuchlich wurde, zumal Utopie, utopisch, für eine zwar schöne aber unausführbar betrachtete Zukunftsvision gebraucht wird. 

Aktuell-politisch warnte der Autor mit dem Stoff von Titanus vor einem möglichen Atomkrieg.



Eberhard del´Antonio (1926 – 1997) war Kranführer, Hafenarbeiter, Maler und Schmied, Mechaniker, Reklamezeicher und Dispatcher. Er arbeitete Konstrukteur und baute ein Büro für Erfindungswesen auf. Er war Mitglied der Gesellschaft für Weltraumforschung und Raumfahrt. Vermutlich gute Voraussetzungen um Bücher zu schreiben. TITANUS und RÜCKKEHR DER VORFAHREN, im Westen als wenig originell und hölzern bemängelt, wurden in der DDR 500.000 mal verkauft.

In Dresden ist der Schriftsteller auf dem Tolkewitzer Urnenhain beigesetzt wurden. 


© Bücherjunge



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