Sonntag, 15. Dezember 2019

McEwan, Ian: Die Kakerlake

Ian McEwan - der Name ist doch ein Garant für besondere Romane. Ohne zu zögern beteiligte ich mich daher an einer Leserunde bei Whatchareadin und bekam darüber ein Exemplar des Buches vom Verlag gestellt. Dafür meinen herzlichen Dank.

In der Kürze liegt die Würze, möchte man meinen, wenn man das Büchlein dann in der Hand hält. Gerade einmal 144 Seiten umfasst das neueste Werk des Kult-Autors, das sich, das ist kein Geheimnis, mit dem Brexit beschäftigt. Bereits in seinem vorherigen Werk 'Maschinen wie ich' ging er u.a. auch auf dieses Thema ein, ließ kritische Anmerkungen fallen und wies auf Gefahren hin. Doch das reichte ihm offensichtlich nicht, und so veröffentlichte McEwan nun dieses Werk. Wie es auf mich wirkte, könnt Ihr hier nachlesen:

Inhalt: (Quelle: Diogenes Verlag)

Jim Sams hat eine Verwandlung durchgemacht. In seinem früheren Leben wurde er entweder ignoriert oder gehasst, doch jetzt ist er auf einmal der mächtigste Mann Großbritanniens – und seine Mission ist es, den Willen des Volkes in die Tat umzusetzen. Er ist wild entschlossen, sich von nichts und niemandem aufhalten zu lassen: weder von der Opposition noch von den Abweichlern in seiner eigenen Partei. Und erst recht nicht von den Regeln der parlamentarischen Demokratie. Ian McEwan verneigt sich vor Kafka, um eine Welt zu beschreiben, die kopfsteht.









KAFKA GEGEN BREXIT...



Etwas erstaunt war ich schon, dass so kurz nach dem Erscheinen seines letzten Romans (Maschinen wie ich) nun bereits ein neues Buch von Ian McEwan auf den Markt kam. Gerade einmal 144 Seiten - wirklich ein Roman, wie es auf dem Cover steht? Nun, McEwan selbst bezeichnet sein neuestes Werk als Novelle, für mich ist es am ehesten eine Parabel, zumindest aber eine Parodie. Aber sei's drum. Wie war es denn nun?

Um es vorwegzunehmen: diesem Werk ist anzumerken, dass der Autor es eilig hatte. Zu groß die Sorge, dass die aktuellen Ereignisse in Großbritannien die Geschehnisse in dieser Erzählung überholen könnten. Denn hier geht es - wenn auch nicht einmal mit Namen erwähnt - um den Brexit, auf den die Briten blindlings zustolpern, die Gefahren leugnend, die McEwan durchaus sieht. Durch die Hast beim Schreiben lässt der Text die sonstige Sorgfalt vermissen, die subtilen Feinheiten, die gewohnte Eleganz. Die Sprache ist zwar gewohnt klar und präzise, und auch der schwarze Humor findet sich hier stellenweise, doch wirkt das Setting nicht wirklich bis ins letzte durchdacht, und manche Details kommen einfach recht platt rüber.

So kehrt Ian McEwan beispielsweise Kafkas bekanntes Werk 'Die Verwandlung' einfach um. Hier verwandelt sich nicht ein Mensch über Nacht plötzlich in einen Käfer, sondern eine Kakerlake erwacht als Mensch - und zwar nicht als irgendein Mensch, sondern als der britische Premierminister. Zwar beteuert McEwan, dass Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Kakerlaken rein zufällig seien, doch sind Paralellen zu Boris Johnson unverkennbar, und auch einige andere Vertreter der Regierung lassen sich in dem Stück erkennen. So interessant der Ansatz der Verwandlung jedoch zu Beginn erscheint, so wenig spielt er letztlich wirklich eine entscheidende Rolle - schade eigentlich. 

Herauslesen lässt sich dabei für mich höchstens, dass auch in der Realität etliche Briten samt Regierung derzeit wie fremdgesteuert wirken und dass niemand mit gesundem Menschenverstand tatsächlich so etwas wie den Brexit zulassen würde.

Zwar nennt McEwan den Brexit nie beim Namen und setzt eine andere absurde Entwicklung an dessen Stelle, aber jedem, der in den letzten Monaten Nachrichten las, ist klar, was eigentlich gemeint ist. Beim Lesen setzte bei mir eine zunehmende Ernüchterung ein. Es wird durchaus deutlich, was McEwan von der absurden Lage in Großbritannien hält - doch gelingt es ihm nicht, mit seinem satirischen Ansatz die politische Wirklichkeit in seinem Land zu übertreffen. Meine Ernüchterung hielt leider bis zum Schluss an, zumal auch das Ende für mich wenig elegant war.

Mit der heißen Nadel gestrickt - so sagt man doch so schön - wurde dieses Werk wohl. Wie recht McEwan es mit seiner Eile hatte, zeigen die gerade erzielten Wahlergebnisse - doch wer hätte angesichts des grandiosen Populismus schon jemals auf die Stimme der Vernunft gehört? Populismus regiert die Welt. Intellektuelle wie McEwan haben  recht, dagegen zu mahnen und mit ihrer Waffe - dem Schreiben - dagegen anzugehen. Aber ich fürchte, hier lesen die Falschen...

Alles in allem: ambitioniert und mit greifbarer Empörung, jedoch ohne die gewohnte Eleganz...


© Parden













Produktinformation: (Quelle: Amazon.de)
  • Gebundene Ausgabe: 144 Seiten
  • Verlag: Diogenes; Auflage: 1 (27. November 2019)
  • Sprache: Deutsch
  • Übersetzung: Bernhard Robben
  • ISBN-10: 3257071329
  • ISBN-13: 978-3257071320





 
Informationen zum Autor: (Quelle: Diogenes Verlag)

Ian McEwan, geboren 1948 in Aldershot (Hampshire), lebt bei London. 1998 erhielt er den Booker-Preis und 1999 den Shakespeare-Preis der Alfred-Toepfer-Stiftung. Seit seinem Welterfolg ›Abbitte‹ ist jeder seiner Romane ein Bestseller. Zuletzt kamen Verfilmungen von ›Am Strand‹ (mit Saoirse Ronan) und ›Kindeswohl‹ (mit Emma Thompson) in die Kinos. Ian McEwan ist Mitglied der Royal Society of Literature, der Royal Society of Arts und der American Academy of Arts and Sciences.

2 Kommentare:

  1. So schnell kommt dieses Buch von der SPIEGEL-Bestsellerliste auf den Blog. Schön. Nun muss ich es auch nicht lesen, auch gut. Zumal mir die Feinheiten, die du beschreibst, vermutlich gar nicht aufgefallen wären. Wir lesen Bücher doch etwas anders, fürchte ich. Doch halt: zum Glück.

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