Dieser Roman, den ich im Rahmen einer Leserunde bei Lovelybooks lesen durfte, ist eines der zahlreichen Beispiele dafür, wie sehr Klappentexte in die Irre führen können, weil sie falsche Erwartungen schüren.
Auf den Autor war ich schon lange neugierig, weil seine Romane "Die Birken wissen's noch" und "Die Glocke im See" so hochgelobt werden. Begeistert stürzte ich mich daher auf die Lektüre - und stutzte erst einmal, als ich entdeckte, dass dieser Roman das Debüt des Autors ist. Und dass er unter anderem Titel bei einem anderen Verlag bereits vor Jahren schon einmal in Deutschland erschienen ist. Was es abgesehen von diesen Irritationen noch zu dem Roman zu sagen gibt, könnt Ihr hier lesen:
Inhalt: (Quelle: Suhrkamp / Insel)
In Erik Fyksens Tankstelle gibt es kein Bistro und auch keine
gigantische Waschanlage wie bei der Konkurrenz und das
Sechziger-Jahre-Design, in dem Eriks Freundin die Tankstelle stilecht
renoviert hat, bevor sie ihn verließ, ist auch nicht jedermanns Sache.
Dafür weiß Erik alles über Autos, die er mit Hingabe repariert, und kann
noch für das ungewöhnlichste Modell Ersatzteile besorgen, und sei es
beim örtlichen Schrottplatzbesitzer. Für Tüftler und Bastler ist der Ort
zur »Tankstelle des Glücks« geworden, in dem nicht nur der fahrbare
Untersatz auf Touren gebracht wird, sondern gleich das ganze Leben
verhandelt wird. Nur schade, dass die Landstraße begradigt werden soll
und dann nicht mehr an der Tankstelle vorbeiführen wird. Erik muss eine
Entscheidung treffen.
DER DUFT DES MOTORÖLS...
Facel Vega - Quelle: Pixabay |
"Ein Männerverstehbuch, das in Norwegen zum Kultroman wurde", verrät
der Klappentext außerdem - oder wie der Piper Verlag seinerzeit schrieb,
als er den Roman 2008 unter dem Titel "Fyskens Tankstelle"
herausbrachte: "Ein witziges Männerverstehbuch, das erklärt, warum
manche Männer mehr Lebenszeit unter ihrem Auto verbringen als mit ihrer
Freundin". Hm.
In diesem Roman dreht sich alles ganz eindeutig um Autos. Um alte
Autos, genauer gesagt, die noch mit Tüftelei, Bastelei und Behelferei zu
reparieren waren. Erik Fysken, gerade einmal 34 Jahre alt, hat in
dieser Tankstelle, in der es nicht nur Benzin zu kaufen gibt, sondern
auch alles an Ersatzteilen, die die Dorfbevölkerung für ihre Autos
brauchen könnten, offenbar seine Lebenserfüllung gefunden.
Bei Autos fühlt er sich sicher, da sitzt jeder Handgriff, zu jedem
Problem hat Erik gleich eine Idee, wie es gelöst werden könnte. Im
Umgang mit seinen Mitmenschen sieht das ein wenig anders aus. Er ist ein
Eigenbrötler, dieser Erik, haust in seiner kleinen Wohnung über der
Tankstelle und hört in seiner sparsamen Freizeit Neil Young und andere
Oldies. Überhaupt lebt er recht rückwärtsgewandt, denn er will kein
einziges Detail verändern - nicht in seinem Leben, nicht in der
Tankstelle, die er mit seiner ehemaligen Freundin im Stile der
Sechziger-Jahre renoviert hat. Dieser Freundin trauert er bis heute
nach, und ein klein wenig Hoffnung hegt Erik, dass die Landstraße ihm
eines Tages diese Freundin wiederbringen könnte.
Nur geht das Leben weiter, und manche Ereignisse in dem kleinen Dorf
in Norwegen werfen ihre Schatten auch auf Erik und seine Tankstelle.
Ereignisse, die auch der stoische Erik schlussendlich nicht ignorieren
kann. Er muss den Veränderungen, die da auf ihn zurollen, letztlich ins
Auge sehen - und für sich und sein Leben eine Entscheidung treffen. Aber
wird es die richtige sein?
Lars Mytting besitzt privat drei englische Autos, und ich vermute
mal, dass er die Liebe zu Autos in seinem Debütroman verarbeitet hat.
Aus den Zeilen blitzt ein ungeheures Wissen über alte Automarken, und
der Leser wird den gesamten Roman über damit bombardiert, ebenso mit
Details, die unter der Motorhaube zu finden sind sowie mit alten
Musiktiteln. Dumm nur, wer wie ich kein Faible für Automarken hat und
dem selbst die Musiktitel größtenteils nichts sagen. Dementsprechend
entzog sich mir die Faszination des Hauptcharakters für seine
Leidenschaften.
Dementsprechend zäh und langatmig gestalteten sich für mich weite
Strecken des Romans, zumal das Leben im abseits gelegenen Dorf in
Norwegen auch nicht vor Höhepunkten strotzt, sondern ähnlich wie die
Erzählung selbst meist vor sich hinplätschert. Die Art der Darstellung
gibt dem Leser eine klare Vorstellung davon, wie es sein muss, in diesem
Dorf zu leben, und womit sich die Menschen ihre Zeit vertreiben. Dies
muss nicht gefallen, wirkte auf mich oftmals sogar beklemmend, wenn auch
unbedingt authentisch.
Die letzten 100 Seiten etwa reißen den Leser dann aus der Lethargie,
in die er bis dahin gefallen sein mag - hier überschlagen sich die
Ereignisse plötzlich, gewinnen an Dramatik und Dynamik und treiben die
Entwicklung voran. Während ich davor eher gleichgültig und teilweise gar
genervt auf die Erzählung reagierte, fühlte ich mich plötzlich
emotional angesprochen.
Nach einigen überraschenden Wendungen und zerschlagenen Hoffnungen
präsentiert Lars Mytting schließlich - ein offenes Ende. In diesem Fall
für mich unbedingt passend, denn Erik wird in eine unbestimmte Zukunft
entlassen, ausreichend hoffnungsvoll, während der Roman für mich
ansonsten meist eine eher düstere Atmosphäre heraufbeschwor.
Damit noch einmal zum Klappentext: für mich ist dieser Roman weder
ein Männerverstehbuch - vielleicht mag das allenfalls auf solche Männer
zutreffen, die in einem derart ablegenen Dorf inmitten tiefster Natur
leben - noch ist es ein witziges Buch: Humor taucht hier höchstens
wohldosiert und punktuell auf. Ich verstehe wieder einmal nicht, in
welcher Absicht Titel und Klappentext konzipiert wurden, sei es nun beim
Insel Verlag oder seinerzeit beim Piper Verlag. Sein Glück findet an
der Tankstelle nach meinem Empfinden jedenfalls auch niemand.
Abgesehen von den genannten Kritikpunkten möchte ich jedoch
hervorheben, dass mich der Schreibstil von Lars Mytting fasziniert hat.
Bildhaft, einfühlsam, stellenweise poetisch schildert er nicht nur die
Menschen in dem kleinen Dorf, sondern schafft gekonnt die jeweils
gewünschte Atmosphäre und lässt die Landschaft um das Dorf herum
lebendig vor den Augen des Lesers erscheinen.
Für mich Grund genug, auch nach den bereits hochgelobten Romanen
Myttings Ausschau zu halten, die nach diesem Debüt herausgekommen sind:
"Die Birken wissen's noch" und "Die Glocke im See".
Alles in allem war dieser Roman für mich kein Highlight, lässt aber schon das Können des Autors erahnen.
© Parden
Produktinformation: (Quelle: Amazon.de)
- Taschenbuch: 368 Seiten
- Verlag: Insel Verlag; Auflage: 1 (27. Oktober 2019)
- Sprache: Deutsch
- Übersetzung: Günther Frauenlob
- ISBN-10: 3458364609
- ISBN-13: 978-3458364603
Informationen zum Autor: (Quelle: Suhrkamp / Insel)
Lars Mytting, geboren 1968, stammt aus Fåvang im Guldbrandsdalen in Norwegen. 2014 erschien sein Bestseller Der Mann und das Holz. Vom Fällen, Hacken und Feuermachen, eine kleine Kulturgeschichte des Holzes, 2016 sein Roman Die Birken wissen´s noch.
Mytting ist selbst begeisterter Holzfäller und Kaminofenliebhaber und
hat erst kürzlich seine ramponierte Motorsäge Partner 500 Professional
in Pension geschickt und sich eine Husqvarna 353G angeschafft.
Ich bin immer wieder erstaunt, wie du ein Buch gleichzeitig lahm finden und „lethargisch“ werden kannst, andererseits aber vom Schreibstil begeistert bist.
AntwortenLöschenBei ist die Begeisterung meist handlungsabhängig, Schreibstile kann ich gar nicht richtig unterscheiden oder beschreiben. Sieht man mal von bestimmten Autoren ab.
Handlungsabhängig? Das ist mir zu eindimensional. Die Handlung spielt natürlich eine Rolle, dazu der Aufbau, die Charakterausführung, der Schreibstil, die Geschichte an sich... Ich glaube, das siehst du falsch.
LöschenÜbrigens ist Neil Young keine schlechte Empfehlung. Kennst du nicht CSN&Y?
AntwortenLöschenIch mag Neil Young sehr - aber nicht immer. Die Songauswahl des Hauptcharakters in diesem Buch ist durchgehend - hm, depressiv. Das war mir too much, passte aber zu der Stimmung, die der Autor hier kreiierte...
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