Samstag, 28. Dezember 2019

Mytting, Lars: Die Tankstelle am Ende des Dorfs

Dieser Roman, den ich im Rahmen einer Leserunde bei Lovelybooks lesen durfte, ist eines der zahlreichen Beispiele dafür, wie sehr Klappentexte in die Irre führen können, weil sie falsche Erwartungen schüren.

Auf den Autor war ich schon lange neugierig, weil seine Romane "Die Birken wissen's noch" und "Die Glocke im See" so hochgelobt werden. Begeistert stürzte ich mich daher auf die Lektüre - und stutzte erst einmal, als ich entdeckte, dass dieser Roman das Debüt des Autors ist. Und dass er unter anderem Titel bei einem anderen Verlag bereits vor Jahren schon einmal in Deutschland erschienen ist. Was es abgesehen von diesen Irritationen noch zu dem Roman zu sagen gibt, könnt Ihr hier lesen:



Inhalt: (Quelle: Suhrkamp / Insel)

In Erik Fyksens Tankstelle gibt es kein Bistro und auch keine gigantische Waschanlage wie bei der Konkurrenz und das Sechziger-Jahre-Design, in dem Eriks Freundin die Tankstelle stilecht renoviert hat, bevor sie ihn verließ, ist auch nicht jedermanns Sache.  Dafür weiß Erik alles über Autos, die er mit Hingabe repariert, und kann noch für das ungewöhnlichste Modell Ersatzteile besorgen, und sei es beim örtlichen Schrottplatzbesitzer. Für Tüftler und Bastler ist der Ort zur »Tankstelle des Glücks« geworden, in dem nicht nur der fahrbare Untersatz auf Touren gebracht wird, sondern gleich das ganze Leben verhandelt wird. Nur schade, dass die Landstraße begradigt werden soll und dann nicht mehr an der Tankstelle vorbeiführen wird. Erik muss eine Entscheidung treffen.










DER DUFT DES MOTORÖLS...


Facel Vega - Quelle: Pixabay
"Ein Männerverstehbuch, das in Norwegen zum Kultroman wurde", verrät der Klappentext außerdem - oder wie der Piper Verlag seinerzeit schrieb, als er den Roman 2008 unter dem Titel "Fyskens Tankstelle" herausbrachte: "Ein witziges Männerverstehbuch, das erklärt, warum manche Männer mehr Lebenszeit unter ihrem Auto verbringen als mit ihrer Freundin". Hm.

In diesem Roman dreht sich alles ganz eindeutig um Autos. Um alte Autos, genauer gesagt, die noch mit Tüftelei, Bastelei und Behelferei zu reparieren waren. Erik Fysken, gerade einmal 34 Jahre alt, hat in dieser Tankstelle, in der es nicht nur Benzin zu kaufen gibt, sondern auch alles an Ersatzteilen, die die Dorfbevölkerung für ihre Autos brauchen könnten, offenbar seine  Lebenserfüllung gefunden.

Bei Autos fühlt er sich sicher, da sitzt jeder Handgriff, zu jedem Problem hat Erik gleich eine Idee, wie es gelöst werden könnte. Im Umgang mit seinen Mitmenschen sieht das ein wenig anders aus. Er ist ein Eigenbrötler, dieser Erik, haust in seiner kleinen Wohnung über der Tankstelle und hört in seiner sparsamen Freizeit Neil Young und andere Oldies. Überhaupt lebt er recht rückwärtsgewandt, denn er will kein einziges Detail verändern - nicht in seinem Leben, nicht in der Tankstelle, die er mit seiner ehemaligen Freundin im Stile der Sechziger-Jahre renoviert hat. Dieser Freundin trauert er bis heute nach, und ein klein wenig Hoffnung hegt Erik, dass die Landstraße ihm eines Tages diese Freundin wiederbringen könnte.

Nur geht das Leben weiter, und manche Ereignisse in dem kleinen Dorf in Norwegen werfen ihre Schatten auch auf Erik und seine Tankstelle. Ereignisse, die auch der stoische Erik schlussendlich nicht ignorieren kann. Er muss den Veränderungen, die da auf ihn zurollen, letztlich ins Auge sehen - und für sich und sein Leben eine Entscheidung treffen. Aber wird es die richtige sein?

Lars Mytting besitzt privat drei englische Autos, und ich vermute mal, dass er die Liebe zu Autos in seinem Debütroman verarbeitet hat. Aus den Zeilen blitzt ein ungeheures Wissen über alte Automarken, und der Leser wird den gesamten Roman über damit bombardiert, ebenso mit Details, die unter der Motorhaube zu finden sind sowie mit alten Musiktiteln. Dumm nur, wer wie ich kein Faible für Automarken hat und dem selbst die Musiktitel größtenteils nichts sagen. Dementsprechend entzog sich mir die Faszination des Hauptcharakters für seine Leidenschaften.

Dementsprechend zäh und langatmig gestalteten sich für mich weite Strecken des Romans, zumal das Leben im abseits gelegenen Dorf in Norwegen auch nicht vor Höhepunkten strotzt, sondern ähnlich wie die Erzählung selbst meist vor sich hinplätschert. Die Art der Darstellung gibt dem Leser eine klare Vorstellung davon, wie es sein muss, in diesem Dorf zu leben, und womit sich die Menschen ihre Zeit vertreiben. Dies muss nicht gefallen, wirkte auf mich oftmals sogar beklemmend, wenn auch unbedingt authentisch.

Die letzten 100 Seiten etwa reißen den Leser dann aus der Lethargie, in die er bis dahin gefallen sein mag - hier überschlagen sich die Ereignisse plötzlich, gewinnen an Dramatik und Dynamik und treiben die Entwicklung voran. Während ich davor eher gleichgültig und teilweise gar genervt auf die Erzählung reagierte, fühlte ich mich plötzlich emotional angesprochen.

Nach einigen überraschenden Wendungen und zerschlagenen Hoffnungen präsentiert Lars Mytting schließlich - ein offenes Ende. In diesem Fall für mich unbedingt passend, denn Erik wird in eine unbestimmte Zukunft entlassen, ausreichend hoffnungsvoll, während der Roman für mich ansonsten meist eine eher düstere Atmosphäre heraufbeschwor.

Damit noch einmal zum Klappentext: für mich ist dieser Roman weder ein Männerverstehbuch - vielleicht mag das allenfalls auf solche Männer zutreffen, die in einem derart ablegenen Dorf inmitten tiefster Natur leben - noch ist es ein witziges Buch: Humor taucht hier höchstens wohldosiert und punktuell auf. Ich verstehe wieder einmal nicht, in welcher Absicht Titel und Klappentext konzipiert wurden, sei es nun beim Insel Verlag oder seinerzeit beim Piper Verlag. Sein Glück findet an der Tankstelle nach meinem Empfinden jedenfalls auch niemand.

Abgesehen von den genannten Kritikpunkten möchte ich jedoch hervorheben, dass mich der Schreibstil von Lars Mytting fasziniert hat. Bildhaft, einfühlsam, stellenweise poetisch schildert er nicht nur die Menschen in dem kleinen Dorf, sondern schafft gekonnt die jeweils gewünschte Atmosphäre und lässt die Landschaft um das Dorf herum lebendig vor den Augen des Lesers erscheinen.

Für mich Grund genug, auch nach den bereits hochgelobten Romanen Myttings Ausschau zu halten, die nach diesem Debüt herausgekommen sind: "Die Birken wissen's noch" und "Die Glocke im See".
Alles in allem war dieser Roman für mich kein Highlight, lässt aber schon das Können des Autors erahnen. 


© Parden  









Produktinformation: (Quelle: Amazon.de)
  • Taschenbuch: 368 Seiten
  • Verlag: Insel Verlag; Auflage: 1 (27. Oktober 2019)
  • Sprache: Deutsch
  • Übersetzung: Günther Frauenlob
  • ISBN-10: 3458364609
  • ISBN-13: 978-3458364603



Informationen zum Autor: (Quelle: Suhrkamp / Insel)

Lars Mytting, geboren 1968, stammt aus Fåvang im Guldbrandsdalen in Norwegen. 2014 erschien sein Bestseller Der Mann und das Holz. Vom Fällen, Hacken und Feuermachen, eine kleine Kulturgeschichte des Holzes, 2016 sein Roman Die Birken wissen´s noch. Mytting ist selbst begeisterter Holzfäller und Kaminofenliebhaber und hat erst kürzlich seine ramponierte Motorsäge Partner 500 Professional in Pension geschickt und sich eine Husqvarna 353G angeschafft.


4 Kommentare:

  1. Ich bin immer wieder erstaunt, wie du ein Buch gleichzeitig lahm finden und „lethargisch“ werden kannst, andererseits aber vom Schreibstil begeistert bist.
    Bei ist die Begeisterung meist handlungsabhängig, Schreibstile kann ich gar nicht richtig unterscheiden oder beschreiben. Sieht man mal von bestimmten Autoren ab.

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    1. Handlungsabhängig? Das ist mir zu eindimensional. Die Handlung spielt natürlich eine Rolle, dazu der Aufbau, die Charakterausführung, der Schreibstil, die Geschichte an sich... Ich glaube, das siehst du falsch.

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  2. Übrigens ist Neil Young keine schlechte Empfehlung. Kennst du nicht CSN&Y?

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    1. Ich mag Neil Young sehr - aber nicht immer. Die Songauswahl des Hauptcharakters in diesem Buch ist durchgehend - hm, depressiv. Das war mir too much, passte aber zu der Stimmung, die der Autor hier kreiierte...

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