Dresden (erlesen): Ich schrieb bereits im Blog des Dresdner Bücherjungen von dieser besonderen Veranstaltung und der folgende Beitrag möge das noch einmal unterstreichen.
Auf dem Weg zu einer Lesung schleiche ich an einem Stand vorbei, an dem eher nicht die Publikationen hervorstechen. Nein, da steht doch ein Fläschchen neben dem anderen, Medizinfläschchen mit einem Inhalt, der mich doch seit einigen Jahren fasziniert. Schriftstellerei und Whisky – das passt mühelos zusammen, das hat schon einmal hervorragend funktioniert: hier.
Zurück zum Stand im Schloss Albrechtsberg: „Die Agentur Outbird und ihre Geschäftsfreunde lieben gute Literatur ebenso wie köstliche internationale Whiskys & niveauvolle Unterhaltung.“ So steht´s geschrieben auf dem „Beipackzettel“ mit einem höchst interessanten Programm und Schriftstellern, die sich diesem Genuss hingegeben haben. Genau mein Fall und darum steht gerade auch ein Glas MackMyra Svensk Rök Single Malt neben der Tastatur. Erworben im Schloss Albrechtsberg.
Auf dem Bild ist ein kleines Heft zu sehen, welches viele Klebestreifen enthält. Gemessen an der Vielzahl der Streifen muss es sehr interessant gewesen sein, mit sovielen Streifen wird selbst ein 1000 Seiten starker Wälzer selten versehen. Das schmale Bändchen aus der Outbird Edition stammt von Michael Schweßinger und ist mit ROBINSONADEN vom 40. Breitengrad überschrieben.
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Eigentlich ist der Mensch ja Bäcker und er gönnt sich ein außergewöhnliches Berufsleben. „Er hat den besten Job, den man sich wünschen kann: Er hilft Träumern und Aussteigern dabei, im Ausland Bäckereien aufzubauen – und sieht dabei die Welt!“
Warum heißt das Ding Robinsonaden? Um Robinson wird es ja nicht gehen, denn was will man auf einer einsamen Insel mit einer eigenen Bäckerei? Außer Fladen ist nach mühsamen Anbau eventuell gefundener Getreidesorten nicht viel möglich – vermutlich, ich bin kein Bäcker, ich toste Brötchen von gestern durchaus auf.
Nein, es geht um Cluburlaub – der Name des Heftchens ist Programm im wahrsten Sinne des Wortes. Der Autor verdingt sich in Apulien als Saison(Chef)Bäcker in einem Club. Im Jahr 1950 kam einem Belgier namens Gérard Blitz diese Idee, Gäste nicht nur unterzubringen, sondern auch noch für deren Freizeit zu sorgen. Das kann man auf Seite 7 gleich lernen und anschließend beschreibt Schweßinger wie es ihm als „Phagi Michele“ [1] ergangen ist. Das Dauerlächeln der Rezeptionistin ohne lächelnde Augen, damit fängt es an. Beim Unterschreiben des Arbeitsvertrages des deutschen Unternehmens zeigt sich, auf wessen Seite der schreibende Bäcker steht, wenn es um Arbeitszeiten und Überstunden steht – später zitiert er aus einer einschlägigen EG – Verordnung.
Quelle: Wikipedia |
Ringsum um den Club gibt es wohl nicht so viele Sehenswürdigkeiten, auch wenn Apulien durchaus welche aufzuweisen hat. Wahrscheinlich muss man teure Touren zubuchen, wenn man zum Beispiel zum Kastel Del Monte will, das Bauwerk, welches Umberto Eco zur Beschreibung der Bibliothek in Der Name der Rose inspirierte. Jedenfalls hat auch Schweßinger kaum Zeit, mal aus dem Clubgelände heraus zu kommen.
(Man schaue selbst mal nach, was der Robinsonclub Apulia selbst anbietet.)
Nach vier Wochen stößt der Autor auf die NoGo-Regeln für Mitarbeiter, selbst arbeitet er ja bäckerüblich des Nachts. Aha, rauchen vor Gästen? No! Er verstößt gegen Alkohol an der Bar für Mitarbeiter und hat auch keine Abendgardarobe, nicht mal einen Anzug mit. Den Bäcker, resümiert er später, wird man nicht rauswerfen, sonst gibt es nur noch Lidl–Brot.
Schweßinger lernt die wunderlichsten Gäste kennen und beschreibt andere Kollegen, zumeist Italiener. Nichts da mit abendlichen Unternehmungen unter Kollegen und Kolleginnen im Stil von Patrick Swayze und Jennifer Grey, wenn jemand versteht, was ich meine. Hier sind alle letztlich groggy. Vielleicht ist das mit den wundersamen Gästen nicht nur eigene Wahrnehmung, wenn man in Wikipedia lesen kann:
„Das Ursprungskonzept basierte auf einer möglichst weitgehenden aktiven Mitwirkung der Cluburlauber und auf gezielte Animation zur ‚Überwindung der sozialen Distanz zwischen den Gästen‘ und der Schaffung von ‚Wir-Gefühlen‘... Dieses Charakteristikum ist inzwischen jedoch fast verschwunden, aus ‚aktiven Gästen‘ seien ‚überwiegend passive Konsumenten‘ geworden,..., die sich ihren Sportprogrammen oder ihrem Ruhebedürfnis hingeben. Ebenso sind aus den anfangs kargen Clubanlagen (Club Med begann mit Zeltdörfern) heute luxuriöse Hotelanlagen mit Spa und anspruchsvoller Küche geworden. Gleichwohl erfreut sich das Club-Konzept auch in seiner „modernen Form“ immer noch hoher Beliebtheit, gerade auch Robinson profitiert von einer hohen Quote an Stammgästen.“ [2]
Jetzt könnte jemand denken, das wird eine langweilige Lektüre, aber nein, ich verrate gern, dass die Geschichten, die Schweßinger hier zum Besten gibt, auch saukomisch sind, es gibt viele Möglichkeiten herzlich zu lachen. Wenn zum Beispiel der Pizza-Bäcker, der den Programmpunkt „Pizzabacken im Kinderrestaurant“ beklagt, weil die Gören, die da Ferdinand, Leopold oder Laura oder Elodia heißen alle gegen irgendeine andere Zutat allergisch sind. Sie konstatieren aber, dass Kinder mit solchen Namen letztlich selten solche „gravierenden Unverträglichkeiten“ aufweisen.
Oder der Loriot-ähnliche Disput eines Ehepaares über die servierte Ente, die mit folgender Beschreibung endet: „Und da war er, dieser Blick, der die 340 Tage genährte Sehnsucht nach einem erholsamen Urlaub ebenso enthielt, wie die gerade aufkommende Sehnsucht, dass dieser Urlaub bald vorbei gehen möge.“ (Seite 104)
Wir haben es mit einem kritischen Beobachter zu tun, der angesichts der arbeitsrechtlichen Situation von Solidarität berichtet, ein europäischer Gedanke, den er angesichts der Zustände in der Welt und vor Ort nicht gewillt ist, aufzugeben. Hier folgt gleich noch ein anderes Beispiel:
„Was mir wirklich zu denken gab und es sind Gedanken, die ich nicht abschließen kann und seitdem mit mir herumtrage, waren Menschen, die lange im Ausland arbeiteten und dennoch über die »Schlitzen< schimpften, wie einer der Beilagenköche, der auch schon viel von der Welt gesehen hatte und dennoch der Welt keinen Platz ließ, um ihm seine Vorurteile zu nehmen. Oder es waren Menschen wie Tatjana, die aus Döbeln kam, aber schon 15 Jahre in Lecce wohnte und bei der Arbeit immer noch MDRl hörte und sich über die vielen Ausländer in Sachsen mokierte. Das waren Momente, in denen ich schon mal den Ausreiseantrag fürs innere Exil einreichte.
»Was ist mit den vielen Italienern hier? Stören die nicht?«, fragte ich einmal.
»Nee, die gehören ja hier nach Italien«, meinte Tatjana.
»Und du, wo gehörst du hin?«
»Naja, das ist ja was anderes. Ich arbeite ja hier.«
»Aber du bist doch auch Ausländer hier, oder?« »Naja, eigentlich schon, aber die Italiener sind da irgendwie toleranter.«
»Und wo liegt der Fehler?«
»Nirgends, wo soll der Fehler liegen?«
»Naja, denkst du nicht, dass du auch tolerant sein solltest, wenn andere tolerant gegen dich sind?«
»Nein, das denke ich nicht.«
Ich ging zur Bar, weil mein Ausreiseantrag an das innere Exil noch in der Bearbeitung war.“ (Seite 105)
Michael Schweßinger verlangt nach Utopien, die heute kaum noch gedacht werden, er verlangt danach, Empathien wieder zu schulen, wieder aufeinander achtzugeben, „nicht als oder Italiener, Spanier oder was auch immer, sondern einfach als Menschen. Die kulturellen Unterschiede sind nichts gegen das, was uns verbindet. Das Lachen, das nicht aus dem Katalog kommt, sondern von Herzen, ist eine Sprache, die man weltweit versteht und die alle Seiten verbindet.“ (Seite 110)
Da sind wir wieder am Anfang, beim Lächeln von „Phagi“ Alexandra an der Rezeption...
Michael Schweißinger möchte, dass wir uns bewusst werden, „ob wir zu jenen gehören, die den Dingen Wert verleihen oder denen, die ihnen den Wert nehmen.“ (Seite 115)
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Gestern erst hörte ich Bekannten aus einem Verein zu, die sich über ihre Urlaubserlebnisse unterhielten. Es ging immer um Hotels, deren Standard, die Beschwerden und wie man sich das bessere Apartement erstritt. Toller Urlaub. All inclusive. Vor allem als Nachts die Minibar aufgefüllt wurde, nach entsprechend telefonischer Vorhaltung gegenüber der Rezeption.
So möchte ich weder arbeiten noch Urlaub machen. In die Hände irgendwelcher Animateure mag ich mich nicht geben. Erinnerlich aus einem Centre Park in den Niederlanden ist mir Derartiges nicht, die Arbeitsbedingungen des Personals fielen nicht weiter auf. Vielleicht war der Park etwas anders geführt, aber da er ebenfalls zu einer Kette gehört...
Erinnerlich ist mir der Golf-Platz. Vor allem aber weil wir mit Vater, Bruder und zwei Schwagern uns köstlich amüsierten, keiner hatte je zuvor einen Golfschläger in der Hand. Einen Trainer hatten wir nicht gebucht, einen Animateur brauchten wir nicht, der Platz war für Amateure, so sah er auch aus – also genau richtig für uns. Das ist Jahre her.
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Schweßinger hat sich „auf einen Feldzug gegen Ausbeutung und Ignoranz begeben“ steht auf der Rückseite des Einbandes. Es war eine wirklich erstklassige Lektüre, nachdenklich machend, erinnernd an Wesentliches für einen selbst und vor allem in Bezug auf andere. Auch auf die, die uns Urlaub in fernen Ländern ermöglichen und in diesen sicher schwerer und härter arbeiten müssen, als wir uns das hier vorstellen können.
Quelle: Website |
Verhalten wir uns danach. Auch ohne Schweßinger wird mir das im November in Südamerika nicht schwerfallen, vielleicht aber ist der Blick für Situationen und Verhältnisse offener geworden, vielleicht erinnere ich mich an seine Zeilen, nein, sicherlich.
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So kommt es, wenn man, den Beutel schon voller Druckerzeugnisse auf einer kleinen Buchmesse zwei Fläschchen Whisky ersteht und dem „Verkäufer“ ein Rezensionsexemplar abschwatzt, weil man sich ja als Blogger vorstellt. Der Whisky mundet, die Lektüre hat begeistert. Allein damit war der Besuch des Schlosses an den Elbhängen erfolgreich.
Edition Outbird wirbt mit literarischen Alternativen. Sie arbeitet mit dem Telecope Verlag zusammen. Es geht um alternative Lebensentwürfe, um das Fühlbarmachen des Erlebten,, das Andersdenken, um die ganz besondere lyrische Handschrift und vieles mehr. Nicht unbedingt mein Fall, aber die Robinsonaden wären mir ohne Whisky nicht in die Hände gefallen. Glücklicher Whisky.
"Die „Robisonaden“ sind in der Edition Outbird erschienen, wo auch Hauke von Grimm und die grandiose Berliner Barfliege Frau Kopf literarisch beheimatet sind. Das ist gut so, schließlich wissen die Outbirds um die Größe des literarischen Markts und machen lieber kleine, liebevolle Bücher als Massenramsch für die Grabbelkiste. Und lieben die Sprache wie Schweßinger auch: „Die Sprache ist etwas Wunderbares, weil sie entlarvt, weil sie die Lügen offenbart und unser System ist eine einzige Lüge, also schreiben wir munter dagegen an.“ Womit Schweßinger auch viele seiner Freunde mit einschließt, die sich nicht mit Marktfutter, sondern Literatur befassen.“ [3]
Vielen Dank für das Rezensionsexemplar.
► Edition Outbird / Über M. Schweßinger
► Telescope
► Michael Schweßinger
► DNB / Edition Outbird / Imprint TelesTelescope / ISBN: 978-3-95915-107-8 / 117 S.
© Bücherjunge
Quellen:
1 Phagi: Abkürzung von Lotophagen, das sind die immer fröhlichen Lotosesser, die man aus der Antike kennt.
2 Seite „Robinson Club“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 28. September 2018, 22:19 UTC. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Robinson_Club&oldid=181316814 (Abgerufen: 7. 10. 18, 15:24 UTC)
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Die Edition Outbird gilt es im Auge zu behalten. Da ist sicher oft was Interessantes dabei. Auch wenn es nicht die große Liebe wird.
AntwortenLöschenAuf was für exotische Skurrilitäten man gelegentlich so stößt...
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