Herausgegeben von
Ralf Günther & Stefan Rammelt
Erinnert ihr euch? Am 23. März stellte ich euch Die Theatergräfin vor. Um die soll es hier nun aber nicht gehen, sondern um die echte Gräfin, von der Ralf Günther in seinem historischen Roman ebenfalls erzählte. Besagte Ida Gräfin von Hahn-Hahn unternahm im Roman eine Reise in den Orient.
Jetzt liegt nun vor mir eine Orient Zeitreise. Ralf Günther und Stefan Rammelt reisten der zu ihrer Zeit bekannten Schriftstellerin nach. Dies geschah aus Anlass des 200. Geburtstages der literarischen Biedermeier – Vertreterin. Kenntnis genommen dürften davon im Hans-Christian Andersen- und Schillerjahr 2005 wohl eher Germanisten, Historiker. Weil ich in diesem Jahr noch keinen Gedanken an einen Blog verschwendete, muss ich es nun nachholen, darüber zu schreiben.
Ida Hahn-Hahn unternahm mit ihrem Reisegefährten Adolf Freiherr von Bystram die Orient- Reise vom August 1843 bis Juli 1844. Wer kann heute so lange reisen? Wer hat eine „Apanage“ entsprechender Größenordnung zur Verfügung?
In einer Zeit, als die Fotografie in Kinderschuhen steckte (Das erste Foto stammte wohl aus dem Jahr 1826) musste man Reisebeschreibungen eben noch lesen. Heute sieht dies etwas anders aus. Aber wenn ich das vorliegende Buch durchblättere, dann fällt mir auf, dass die Texte der Gräfin irgendwie zeitlos erscheinen, denn an einigen Orten verweilte ich bereits. Also werfen wir einen Blick auf das Buch, eigene Fotos und auf 150 Jahre alte Beschreibungen.
"Nein, man muss draußen bleiben; dann sieht sich das Alles recht gut an - wie Constantinopel selbst am schönsten ist. bevor man den Fuß hineinsetzt." (Seite 7)
Constantinopel - Istanbul? Da war ich noch nicht. Wo also anfangen? Beschränken wir uns auf Ansichten, die sowohl die Autoren wie auch der Blogger in Augenschein genommen haben. An den Reiseweg der Ida-Hahn-Hahn halte ich mich allerdings mal. Bewegen wir uns zuerst in eine alte Kreuzfahrerstadt: nach Akko.
"Zur Zeiten der Kreuzzüge war es schon ein sehr wichtiger Punkt, den Barbarossas Sohn Friedrich von Schwaben nach unsäglichen Drangsalen eroberte, wo er den Orden der deutschen Ritter stiftete, wo er starb und begraben ist. Es blieb auch der letzte feste Platz der Christen in Syrien und zwar bis 1221, wo es auch an die Muhamedaner fiel." (Seite 93)
Schon habe ich was dazugelernt. Kreuzfahrerstadt wusste ich, man kann bei Gräfin Ida durchaus noch was lernen. Das Türmchen hatte ich wahrgenommen, hätte ich den Text gekannt, dann wäre auch der Blogfotograf (damals als Buchgesicht) näher heran gegangen.
Was fazinierte schon kurz nach der Ankunft in Israel, vier Jahre nach den Herausgebern dieses interessanten Fotobuches? Klar Jaffa.
In Jaffa leben heute vor allem viele Künstler. Es klebt an der modernen Stadt Tel Aviv förmlich dran. Ida würde sich wundern über unsere Freizügigkeiten: "Frauenzimmer allein - ich meine fränkische - sind im Grunde sicherer in Begleitung eines Mannes, weil es nach türkischem Begriff unanständig ist, daß beide Geschlechter sich öffentlich zusammen zeigen." (Seite 117) Natürlich wird man so gleich erinnert: 1844 herrschen dort die Osmanen - die Türken.
Die Zuckerrohrplantagen gibt es wohl nicht mehr.- Wir haben keine gesehen.
Ein wenig respektlos war sie wohl, diese Gräfin aus Deutschlands Norden, so wie sie die Kirche der Verkündigung und die "Werkstatt Josephs" beschreibt. In Nazareth. Die Mosaiken allerdings dürften damals doch noch nicht im Kreuzgang angebracht wurden sein.
Jerusalem. Das darf natürlich nicht fehlen. "Jerusalem lag vor uns. Hohe feste Mauern, einige Kuppeln und Minare´s, ein paar schwere unförmliche Gebäude, die ausgebreitet auf der öden Steinfläche, aus ihrem Stein gebaut, und hinter der Stadt der kahle Oelberg von derselben Steinfärbung; einige Oelbäume karg vertheilt in großen Entfernungen; nirgends Grün, nirgends Wasser; dürre Härte ringsum bis zu den Bergen: So zeigt sich Jerusalem. Mir wurde das Herz ganz schwer." (Seite 124)
"Die Facade der [Grabes-]Kirche ist eine Art von Ruine, halb verfallen und reich geschmückt, wunderschön und armselig, Säulenknäufe und Friese aufs Reichste gearbeitet und darüber eine kahle Mauer mit ausgebrochenem Fenster. Unmittelbar an sie lehnen sich wie Flügel Gebäude, welche zum gegenüberliegenden griechischen Kloster gehören und sie zusammen zu drücken scheinen." (Seite 126)
Mancherlei scheint sich nicht verändert zu haben:
"Was die Frauen für ihre Toilette gethan hatten, wurde man nicht gewahr; unerbittlich verhüllte der weiße Schleier jede Schönheit der Gestalt und des Anzugs. Ein Schleier ist anmuthig - aber er muss nicht, wie hier, alles verschleiern." (Seite 94)
Und das schreibt eine Frau, deren Mode damals auch noch knöchellange Kleider vorschrieb und die sich besondere Reisekleider schneidern lies, mit denen sie auch auf den Wüstenschiffen bequem schaukeln konnte. (Wird in Die Theatergräfin erzählt.)
"Die Straßen sind krumm und schmal, die Häuser mit niedrigen Thüren und fast keinen Fenstern, wie in Damaskus, aber von Stein. Der Boden ist höchst ungleich, fällt, steigt, fällt wieder." (Seite 125)
* * *
So manches könnte ich noch ausgraben, von Ägypten zum Beispiel, hier liest man dann doch den Unterschied der Jahre:
"Lägen nicht Pest und Quarantäne zwischen Europa und Egypten, und gäbe es eine Dampfschifflinie direkt zwischen Triest und Alexandrien: so würde Cairo ungeheuer besucht werden und alsbald die Civilisation bekommen, welche Verkehr mit der Fremde schnell erzeugt, und welche in so großer Übereinstimmung mit dem Bakschisch-Kultus ist." (Seite 204)
Bakschisch-Kultus? Ja, 1998 trieb es mich nach Gizeh und ich hätte aufschreiben können:
"Bakschisch, (...) das Wort gellt mir förmlich in den Ohren!... wie blutsaugende Mücken die immer verjagt immer wiederkehren, ließen sie sich nur momentan zur Ruhe verweisen." (Seite 202)
Himmel, ich flüchtete damals in den Reisebus. Es ging mir auf die Nerven. Ja ich gebe es zu, nicht gerade die große Toleranz der "Civilisation" - War ich doch sogar mit einem DAMPFSCHIFF hinübergefahren...
* * *
Aus dem Vorwort:
"Sicherlich, eine Literatin vom Range Schillers oder Andersens war die Gräfin Hahn-Hahn nicht.
Und doch - da sind sich die Germanisten weitgehend einig - als 'frühe Emanzipierte' hat sie Anerkennung verdient. In ihrer Zeit als Frau emanzipiert zu sein und die dementsprechenden Freiheiten auszuleben, dazu gehörte Mut... Wer im 19. Jahrhundert in den Orient reiste, musste daheim geordnete Verhältnisse hinterlassen. Oder er war frei und ungebunden wie Ida von Hahn-Hahn. Denn es war damals keineswegs garantiert, pünktlich und unversehrt von dieser Fahrt zurückzukehren..." (Seite 5)
Wie geordnet die Verhältnisse waren, das erzählt, wenn auch etwas fiktiv, Ralf Günther in DIE THEATERGRÄFIN. Vielen Dank für das tolle Buch, Ralf, für beide Bücher.
► DNB / Verlag DIE SCHEUNE Dresden / Dresden 2005 / ISBN: 3-937832-08-4 / 230 S.
© Bücherjunge
Ach, herrlich! Was für eine tolle Gegenüberstellung von 'damals' und 'heute', von Literarischem und Privatem. Gefällt mir sehr gut. Mal wieder... ☺
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