Montag, 28. Oktober 2013

Reich-Ranicki, Marcel: Mein Leben



Marcel Reich-Ranicki wurde viel bewundert und viel gescholten, war bekannt und populär, einflussreich und schließlich aber auch umstritten. Mit seinem "Literarischen Quartett" bewies Marcel Reich-Ranicki ab 1988, dass die Vermittlung von anspruchsvoller Literatur im Fernsehen höchst unterhaltsam sein kann. Was steckt hinter seinem unvergleichlichen Aufstieg, hinter diesem verblüffenden Erfolg?
In diesem Buch zeigt sich der Literaturkritiker als temperamentvoller und anschaulicher Erzähler. Farbig, pointiert und anekdotenreich schildert er die Stationen seines so bewegten wie bewegenden Lebens.






Ein Heimatloser...

(zuerst veröffentlicht von parden auf Buchgesichter.de am  28.10.2013)






Zugegeben, ich mochte, wie so viele, Marcel Reich-Ranicki nicht - ein Fanatiker, so schien es, in Sachen Literatur, kompromisslos, von sich selbst überzeugt, keine andere Meinung neben sich gelten lassend. Ein Genius, sicherlich, aber ein zutiefst unsympathischer Zeitgenosse.
Anlässlich seines Todes fiel mir jedoch seine Autobiografie ein, die schon länger in meinem Bücherregal in zweiter Reihe geduldig ausharrte. Nachdem ich einen vorsichtigen ersten und dann einen neugierigen zweiten Blick gewagt hatte, blieb ich fasziniert bei der Lektüre hängen.


 

Wie bei (Auto-)Biografien üblich, zeichnet MRR (1920-2013) seinen Lebensweg von der Kindheit bis zum Alter auf, eingebettet jedoch stets in Erlebnisse, die er mit der Literatur, dem Theater oder auch der Musik hatte, gerahmt von Begegnungen mit Schriftstellern, Journalisten und anderen namhaften Persönlichkeiten.
Dass er bereits in Kindheit und Jugend mit der Literatur in Berührung kam - nie
Szene im Warschauer Ghetto
las er mehr als in der Gymnasialzeit - war ein Trost und ein Segen für ihn, als er gleich nach seinem Abitur mit seiner Familie 1938 nach Polen deportiert und schließlich im Warschauer Ghetto interniert wurde. Die unmenschlichen Bedingungen wurden erträglicher durch Literatur, heimliches Schallplattenhören und Konzerte - und hier lernte MRR auch seine Frau Tosia kennen und lieben. Beiden gelang schließlich die Flucht aus dem Ghetto, während er seine Eltern und seinen Bruder dort zum letzten Mal sah.

 

Von einfachen Menschen auf dem Land versteckt, überlebten MRR und seine Frau die Zeit des Krieges - und in langen Nächten erzählte er seinen Rettern allabendlich Geschichten aus den großen Werken der Literatur. Nach dem Krieg blieb MRR zunächst in Polen und wurde dort für den Geheimdienst rekrutiert. Manches davon liest sich fast baudolinohaft, so z.B. wie er plötzlich zum Instrukteur des polnischen Geheimdienstes wurde, dabei seine "Kenntnisse" aber nur dem Wissen aus der Literatur entlehnte. Doch aus seiner anfänglichen Begeisterung über den Kommunismus wuchsen rasch Skepsis und Zweifel, und so flüchteten MRR und seine Frau Tosia schließlich zurück nach Deutschland.
Zurück in die Heimat? Nein, auch wenn MRR zuweilen die Sehnsucht nach Berlin überfiel, nach den Orten seiner Kindheit und Jugend, so empfand er sich selbst als Heimatloser. Seine einzige Heimat war eine portative: die deutsche Literatur.


 

Zurück in Deutschland begann sein kometenhafter Aufstieg als Literaturkritiker. Schnell fand er eine Anstellung bei "Die Zeit", nahm aber während all der Jahre dort nicht einmal an einer Konferenz teil. Er arbeitete ausschließlich von zu Hause aus, an einem Zusammentreffen war den Verantwortlichen nicht gelegen. MRR meint hierzu, ihm gehe es wie Friedrich Schlegel: "Man findet mich interessant und geht mir aus dem Wege."
Spätestens seit seinem Buch "Lauter Verrisse" galt MRR als ein Mensch der
Ein umstrittener Kritiker
literarischen Hinrichtungen. Als Literaturpapst wurde er angefeindet - und fand diesmal Trost bei Heine: "... der Hass seiner Feinde dürfe als Bürgschaft gelten, dass er sein Amt nicht ganz schlecht verwalte." Obgleich in seiner Zeit bei der FAZ und ab den achziger Jahren mit dem "Literarischen Quartett" so erfolgreich mit seinem Engagement für die Literatur, für seine Heimat, war MRR oft einsam. Wenige Freundschaften, die aus unterschiedlichen Gründen doch meist wieder zerbrachen.

 

Heimatlos und einsam. Ein bitteres Zurückschauen? "Die Furcht, nur in der Literatur zu leben und vom Menschlichen ausgeschlossen zu sein (...) hat mich nie ganz verlassen (...) gehört zu den Leitmotiven meines Lebens." So schrieb MRR es bereits zu Beginn seiner Autobiografie.
Aber nein, es ist kein bitterer Rückblick, kein Abrechnen mit dem Leben. Es ist eine Liebeserklärung an die Literatur, vornehmlich die deutsche, als deren Anwalt er sich sah und der er sein Leben gewidmet hatte. Ein Leben voller Brüche - aber hinsichtlich seines größten Anliegens letztlich doch ein geglücktes Leben.


Mit der ZDF-Sendung "Das literarische Quartett" (hier: Sigrid Löffler (v.l.n.r.), der deutsche Literaturkritiker Hellmuth Karasek, der deutsche Schriftsteller Ulrich Greiner und "Literaturpapst" Marcel Reich-Ranicki, 1991) brachte MRR die Literatur in die deutschen Wohnzimmer. Quelle


Nein, man muss ihn nicht lieben, diesen Querdenker, der nie ein Blatt vor den Mund nahm. Aber diese Autobiografie ist überaus interessant geschrieben, ehrlich und stellenweise sogar selbstkritisch. Schnörkellos, klug und wenig selbstverliebt bietet MRR in seinen Lebenserinnerungen dem Leser einen durchaus unterhaltsamen Rückblick auf das Geschehen im vergangenen Jahrhundert - und macht neugierig auf Literatur.
In der Tat habe ich mir einige Titel notiert, die ich gerne einmal lesen würde - und von denen ich bislang noch nicht einmal wusste, dass es sie gibt!



Zusammenfassend gesagt, hat diese Autobiografie mehr gehalten als ich mir davon versprochen hatte. Und wird daher von mir mit einer unbedingten Empfehlung zum Lesen versehen!


© Parden










"Mein Leben" von Marcel Reich-Ranicki ist bereits 2009 verfilmt worden. 








Ein ausführlicher Lebenslauf von Marcel Reich-Ranicki findet sich bei wikipedia.de

6 Kommentare:

  1. Mich hat er als Mensch immer fasziniert. Ich möchte das Buch auf jeden Fall noch lesen :-)
    Danke für den schönen Bericht! Manu(66)

    AntwortenLöschen
  2. Ich fand ihn immer abstoßend und faszinierend zugleich. In Yad Vaschem blieb ich eine viertel Stunde vor einer Sendung mit ihm über sein Leben sitzen. Danach schaute ich gelegentlich länger hin. Vielleicht nehme ich mir die Biografie doch mal vor. Und den Film auch. Aber Matthias Schweighöfer?

    So, jetzt hab ich mal nachgeholfen, der Trailer ist jetzt sofort ansehbar. Du darfst nicht die YouTube Adresse in das Suchfeld eintragen, du musst direkt suchen und dann auswählen.
    Viele Grüße vom
    Blogmaster ;)

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Vielen Dank, Uwe. Ich habe Deinen Tipp jetzt auch auf andere Blog-Beiträge angewandt, und es hat geklappt. Allerdings wirklich nur für YouTube-Beiträge.

      Ich würde mir den Film auch gerne ansehen, vielleicht hat man Matthias Schweighöfer schon zu sehr in eine Schublade gesteckt?

      Löschen
  3. Deinem FAzit kann ich zustimmen! Auch wenn er anfangs sagt, er sei schon als Kind trotzig gewesen und ein bisschen abfällig über seine Eltern spricht, wirkte er sehr sympatisch! Sein Schreibstil ist gut, man versteht, was er sagen will. Nur dass er seine Liebesleben charmant ausklammert, fand ich nicht so gut :P

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Danke für den netten Kommentar, Evy! Die Nur-Andeutungen über sein Liebesleben fand ich persönlich für Marcel Reich-Ranicki durchaus passend... ;)

      Löschen

Durch das Kommentieren eines Beitrags auf dieser Seite, werden automatisch über Blogger (Google) personenbezogene Daten, wie E-Mail und IP-Adresse, erhoben. Weitere Informationen findest Du in unserer Datenschutzerklärung und in der Datenschutzerklärung von Google. Mit dem Abschicken eines Kommentars stimmst Du der Datenschutzerklärung zu.

Um die Übertragung der Daten so gering wie möglich zu halten, ist es möglich, auch anonym zu kommentieren.