Donnerstag, 25. September 2025

Lynch, Paul: Jenseits der See

 

Der Fischer Bolivar lebt ein einfaches, unbeschwertes Leben. Im Gegensatz zu seinen Kollegen beginnt er seinen Tag meist erst mittags, raucht viel und trinkt Bier bei Rosa, der Frau, in die er verliebt ist. Er will gerade zu seinem Fang aufbrechen, als er von den Dorfbewohnern vor einem aufkommenden Sturm gewarnt wird. Aber Bolivar fährt entgegen jeder Vernunft an diesem Tag zur See. Er nimmt Hector mit, einen jungen Fischer, der das zusätzliche Geld gut gebrauchen kann, das Bolivar ihm für das Wagnis bietet. Obwohl er Angst vor dem Sturm hat, lässt er sich auf den Job ein. Als sie der Sturm aufs offenen Meer treibt, blicken sie gemeinsam – und doch jeder für sich – dem Untergang ins Auge. »Jenseits der See« zeichnet ein eindringliches Bild der menschlichen Psyche und geht der Frage nach, wie man es schafft, die Hoffnung in einer aussichtslosen Situation nicht zu verlieren. (Verlagsbeschreibung)

DNB / Klett-Cotta / 2025/ ISBN: 978-3-608-96688-6 / 192 Seiten

Paul Lynch bei Litterae Artesque: Das Lied des Propheten 



Kurzmeinung
Düster, existenziell, zwei Männer auf sich selbst zurückgeworfen auf der unendlichen See - philosophisch, poetisch, brutal...














EIN EXISTENTIALISTISCH-PHILOSOPHISCHES KAMMERSPIEL...




Auf einer wahren Begebenheit (José Salvador Alvarenga) beruht dieser Roman von Paul Lynch, den er bereits vor "Das Lied des Propheten" (Booker-Preis 2023) geschrieben hat, der aber erst jetzt ins Deutsche übersetzt wurde. "Unbequem, sperrig und poetisch" konstatierte ich nach der Lektüre des Propheten-Liedes, diesmal war es "philosophisch, poetisch, brutal". 

Die Konstellation (2 Männer, ein Boot, die endlose See, das auf-sich-selbst-zurückgeworfen-Sein) erinnert unweigerlich an Klassiker wie "Der alte Mann und das Meer" von Ernest Hemingway. Paul Lynch schreibt aber eine ganz eigene Geschichte.  

Die Handlung selbst ist schnell erzählt: der mexikanische Fischer Bolivar ist ein Mann, der von der Hand in den Mund lebt, dem Alkohol mehr als reichlich zuspricht, raucht wie ein Schlot und sich und sein Boot für unbesiegbar hält. Trotz der Sturmwarnung beschließt er, zum Fischen aufs Meer zu fahren, denn er braucht dringend das Geld. Mit von der Partie ist der junge Hector, ein anderer Helfer als gewöhnlich. Zwei Männer, die sich nicht kennen. Ein Sturm. Das manövrierunfähige Treiben auf hoher See. Der Blick in den Abgrund...

Was für ein eindringliches, atmosphärisches Leseerlebnis! Man erlebt die Phasen des Geschehens mit, die Gedanken, Empfindungen, Hoffnung, Zweifel, Einsamkeit, Überlebenswille, Rückblicke aufs Leben, Sinnfragen, Verbitterung, Verzweiflung, Wahnvorstellungen, Trotz und Pragmatismus, Verrohung und Mitmenschlichkeit, Akzeptanz und Aufbegehren - ein existentialistisch-philosophisches Kammerspiel. 

In einer poetisch verdichteten Sprache präsentiert Paul Lynch hier zumeist düstere und auch ekelige Bilder, die sich im Kopf festsetzen und einen selbst in der Situation gefangen halten. Diese Intensität ist eine der großen Stärken des Buches, verlangt einem aber auch einiges ab. Vordergründig aufs Überleben ausgerichtet und darauf, die Hoffnung trotz aller Rückschläge nicht zu verlieren, streift der Roman noch viele andere Themen: menschliche Beziehungen, die Schönheiten und Grausamkeiten der Natur, Müll (leiser Killer von Lebenwesen, hier aber auch: oftmals die einzige Ressource zum Überleben), Glauben, Schuld und Läuterung, u.a.m.

© Parden





Paul Lynch, geb. 1977 in Limerick, wuchs in Donegal auf und lebt in Dublin. Von 2007 bis 2011 war er Chef-Filmkritiker der irischen Zeitung »Sunday Tribune« und schrieb regelmäßig für die »Sunday Times«. Seitdem ist er hauptberuflich Autor. Seine Werke wurden mit zahlreichen Preisen in Irland und UK ausgezeichnet. Für seinen aktuellen Roman »Das Lied des Propheten« erhielt er den Booker-Prize 2023. (Quelle: Klett-Cotta)


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