Sonntag, 25. August 2024

Padura, Leonardo: Anständige Leute

 

Havanna im Ausnahmezustand: Der historische Besuch Obamas und das legendäre Rolling-Stones-Konzert stehen kurz bevor. Amerikanische Touristen johlen in den Straßen, exklusive Bars servieren teure Drinks. Inmitten der Aufbruchstimmung ermittelt Conde in einem unliebsamen Fall: Ein berüchtigter Kunst-Zensor wird tot aufgefunden, ein Mann, der etliche Leben zerstörte. Gleichzeitig vertieft sich Conde in eine kubanische Legende: 1909, als der Halley’sche Komet für Weltuntergangsstimmung sorgt, entzündet ein Mord im Rotlichtmilieu eine Fehde zwischen zwei Gangsterbossen. Zu Condes Überraschung ergeben sich zwischen Gegenwart und Vergangenheit ungeahnte Verbindungen. (Verlagsbeschreibung)

DNB / Unionsverlag / 2024 / ISBN 978-3-293-00621-8 / 400 Seiten 

Reihe: Mario Conde (Bd. 10) 

 

 

 

Ich hätte mich vermutlich nicht an der Leserunde zu diesem Roman beteiligt (wieder einmal bei Whatchareadin), wenn mir vorher klar gewesen wäre, dass es sich hier um eine Reihe handelt. Auch wenn die einzelnen Bände jeder für sich gelesen werden können, die Fälle abgeschlossen sein mögen, ergibt sich aus der Chronologie doch in der Regel ein ganz eigenes Bild von den Charakteren. Aber nun, vielleicht hätte ich sonst auch etwas verpasst... Das schrieb ich etwas ernüchtert zu Beginn der Leserunde, doch mittlerweile kann ich sagen: Ja, ich hätte etwas verpasst.

 

 

 

 

 

 

 

 

 ZWEI KRIMINALFÄLLE UND DOCH NUR VORDERGRÜNDIG EIN KRIMI...

 


Zwei Handlungsstränge erwarten den Leser hier, der eine um 1910 herum, der andere über hundert Jahre später, nämlich 2016. Sie beschäftigen sich mit den Umständen zweier Kriminalfälle - und führen ganz nebenher tief in die herrschenden Verhältnisse Kubas ein, in die Lebensart, die Politik, die gesellschaftlichen Normen, die große Schere zwischen Arm und Reich. 

Der in der Gegenwart angesiedelte Handlungsstrang begleitet den ehemaligen Polizisten Mario Conde, über 60 Jahre alt und mittlerweile eigentlich mit dem Verkauf von antiquarischen Büchern beschäftigt, der aber einem alten Kollegen zuliebe noch einmal in polizeiliche Ermittlungen einsteigt. Der Staatsbesuch von Präsident Obama steht an, und die Rolling Stones haben sich kurz darauf für ein Konzert in Havanna angesagt - der gesamte Polizeiapparat ist mit den Sicherheitsmaßnahmen beschäftigt, da bleibt für eine Mordaufklärung keine Zeit. Diese duldet aber wiederum keinen Aufschub, weil der Ermordete ein ehemaliger hochrangiger Mitarbeiter der Staatssicherheit war - Conde ist zwar insgeheim der Meinung, dass es da keinen Falschen getroffen hat, aber der Fall muss trotzdem gelöst werden.

Um 1910 spielte ganz Kuba verrückt, weil es hieß, dass der Halley’sche Komet mit der Erde kollidieren würde, und bis dahin wollte alle Welt noch das Leben genießen. Besonders zu merken war dies in dem Viertel Havannas, in dem das Glücksspiel und die Prostitution zu Hause war. Dort bahnt sich der zweite Kriminalfall an, rund um den schillernden und charismatischen Bordellbesitzer Alberto Yarini. Zwei Prostituierte wurden grausam ermordet, und auch wenn sich sonst niemand für die Morde interessiert, bemüht sich der junge Polizist Arturo Saborit um die Aufklärung. Yarini unterstützt ihn darin, und allmählich entsteht zwischen den beiden eine engere Bindung. Saborit, der aus einem kubanischen Dorf stammt, lässt zusehends ab von seiner "Provinzmoral", leben und leben lassen heißt das Motto - auch wenn er selbst deutlich weniger korrupt erscheint als ein Großteil seiner Kollegen. Doch er ahnt, dass die Zuwendungen des allseits beliebten Yarini eines Tages ihren Preis haben werden...

Mehr möchte ich zu den beiden Kriminalfällen nicht sagen, da die Ermittlungen zwar eingebettet sind in die geschilderten Geschehnisse, dabei aber keineswegs die Hauptrolle spielen. Dies ist kein Krimi im klassischen Sinne - es geschehen Verbrechen, zahlreiche sogar, mit den fortschreitenden Ermittlungen entpuppen sich immer mehr. Doch ist dies ein Roman, der viele Genres bedient und in erster Linie ein Bild von den Lebensverhältnissen in Kuba zeichnet - damals wie heute. Ein historischer Roman (Alberto Yarini beispielsweise war eine tatsächlich existierende Person), ein Gesellschaftsroman, ein politischer Roman, viel Lokalkolorit und Atmosphäre - und, ja, ein wenig auch ein Kriminalroman. Doch ermittelt wird behäbig, die Auflösung ist teilweise recht unspektakulär. Dies störte mich zu meinem eigenen Erstaunen jedoch nicht.

Ich fand es einfach faszinierend, wie viel man hier quasi nebenbei über Kuba erfährt, durch die zwei Handlungsstränge gar eine ganze Chronologie. Man kann sagen: die Kubaner:innen hatten und haben es nicht leicht - bis auf die Reichen und Mächtigen natürlich. Trotz der lakonischen Art des Schreibens lassen sich Melancholie, Pessimismus und Bitterkeit nicht leugnen, die Conde in den Mund gelegt werden. Pragmatismus, Zynismus und schwarzer Humor gehörten und gehören offenbar aber auch zum Überleben auf der Insel dazu. Sehr offene kritische Töne gegenüber Kubas Gesellschaft und Politik verblüfften mich dabei zunehmend - wieso darf Leonardo Padura in seinem Heimatland noch veröffentlichen? Es gibt andere kritische Autoren, mit denen da ganz anderes verfahren wird. Doch ganz im Gegenteil: Padura gehört zu den erfolgreichsten und populärsten zeitgenössischen Schriftstellern Kubas und hat für sein Werk zahlreiche Auszeichnungen und Preise erhalten - auch einheimische. 

Der deutsche Titel des Buches hat tatsächlich einen Bezug zur Handlung - das Thema "Anständigkeit" zieht sich durch den Roman wie ein roter Faden und steht immer wieder auf dem Prüfstand. Wer kann es sich angesichts der teilweise prekären Lebensumstände überhaupt leisten, anständig zu sein? Kann man anständig bleiben oder sich zumindest selbst noch so sehen, auch wenn man gegen Moral und Gesetz verstößt? Conde philosophiert auch darüber immer wieder einmal, und beim Lesen ertappt man sich beim Gedanken, wie man sich selbst in der ein oder anderen Situation verhalten würde.

Ein geschickt konzipierter Roman, der Konzentration erfordert, der unbequeme Themen anschneidet, der zum Philosophieren einlädt, der in kriminalistischer Hinsicht nicht überzeugend punkten kann, der aber auch mit einem interessanten Hauptcharakter aufwartet, mit vielen Informationen und dichten atmosphärischen Schilderungen belohnt. Treiben lassen und schauen, was sich so ergibt. Mir hat's gefallen!

 

© Parden

 

 

 

 

 

Leonardo Padura, geboren 1955 in Havanna, zählt zu den meistgelesenen kubanischen Autoren. Sein Werk umfasst Romane, Erzählbände, literaturwissenschaftliche Studien sowie Reportagen. International bekannt wurde er mit seinem Kriminalromanzyklus Das Havanna-Quartett. Im Jahr 2012 wurde ihm der kubanische Nationalpreis für Literatur zugesprochen, 2015 erhielt er den spanischen Prinzessin-von-Asturien-Preis in der Sparte Literatur, 2023 den Pepe Carvalho Preis. Leonardo Padura lebt in Havanna. (Quelle: Unionsverlag)

 

1 Kommentar:

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