Die 16-jährige Lena Palmer verschwindet spurlos. Drei Tage später taucht sie in einem verstörend brutalen Video wieder auf, welches in atemberaubendem Tempo viral geht. BKA Kommissarin Yasira Saad soll Lena finden und die Täter identifizieren. Ihr bleibt wenig Zeit, denn schon gibt es erste gewalttätige Demonstrationen in deutschen Städten. Eine rechtsradikale Gruppierung namens »Aktiver Heimatschutz« gewinnt rasant an Zulauf. Kann Yasira die Täter verhaften, bevor der Lynchmob zuschlägt und der Rechtsstaat zu wanken beginnt? (Verlagsbeschreibung)
Vermutlich denken viele Leserinnen oder Leser, die von Marc-Uwe Kling gehört haben an ein gewisses kommunistischen Känguru, welches einst bei ihm einzog. Den Chroniken dazu folgte ein Manifest und eine Offenbarung sowie einiges mehr. Danach versuchte er sich auch en einem Kinderbuch (Das Neinhorn) und mit Spurenfinder an einem Jugendkrimi. Man könnte sagen, so schrieb er sich warm, denn der hier besprochene Roman ist nicht nur politisch und brisant, er hat eine seltene Bemerkung auf dem Cover, einen Hinweis auf "brisante und verstörende Inhalte".
Es wird dem Leser und der Leserin vorbehalten bleiben, dies für sich zu bestätigen oder zu verneinen.
Ein verschwundenes junges Mädchen. Ein brutales Video, in dem eben dieses Mädchen von mehreren dunkelhäutigen Männern vergewaltigt wird. Der verzweifelte Versuch des BKA, das Mädchen und die Täter ausfindig zu machen. Eine rechtsradikale Gruppierung, die prompt auf den Plan gerufen wird: "Aktiver Heimatschutz ist das Gebot der Stunde... " (man beachte die Anfangsbuchstaben). Zunehmende Unruhen in der Bevölkerung. Gewalttätige Demonstrationen und Gegendemonstrationen. Die Überforderung von Polizei und Politik.
Die BKA Kommissarin Yasira Saad wird von der Innenministerin zum Gesicht der Ermittlung gemacht, weil sie selbst einen Migrationshintergrund hat, wodurch verdeutlicht werden soll, dass sowohl die Regierung als auch der Polizeiapparat keinesfalls fremdenfeindlich eingestellt ist. Dies gießt jedoch Öl ins Feuer der Rechtsextremen, was die Unruhen noch schürt. Unterstützung erhält Yasira durch ihre Kolleg:innen sowie durch ihren Vorgesetzten, der jedoch dringend Ergebnisse erwartet. Als diese ausbleiben und weder eine Spur von der verschwundenen Lena gefunden werden kann noch von einem der Täter, erhöht sich der Druck mit jeder Stunde.
Marc-Uwe Kling wirft in seinem ersten Thriller wahrlich schwere Geschütze in den Ring. "Sensible Inhalte" warnt schon das Cover - und in der Tat geht es hier in keinster Weise zimperlich zu. Vergewaltigung, Mord, Lynchjustiz, Angriffe auf den Rechtsstaat, Rassismus, Misogynie, Gewaltverherrlichung, Rechtsruck, Radikalisierung u.v.m. - nichts für schwache Nerven. Topaktuelle Themen kommen hier zur Sprache - und dies betrifft auch den überraschenden Plottwist, auf den ich hier nicht näher eingehen möchte, weil das zu viel verraten würde. Aber auch der streift ein hochbrisantes Thema, was das Unbehagen beim Hören noch deutlich vergrößerte.
Ganz schön viele Themen auf doch recht kleinem Raum, möchte man sagen. Aber ich ich empfand es eher als einen Spiegel unserer Zeit und als deutliche Warnung, wie sehr das eine mit dem anderen verknüpft ist. Wem das hier zu kryptisch erscheint: selbst lesen oder hören! Deutliche gesellschaftskritische Töne verpackt in einen nur langsam in Gang kommenen Thriller, der einem dann aber am Ende alles um die Ohren haut, was man für sicher hielt. Und während zu Beginn noch der Zynismus und der schwarze Humor für ein wenig Aufheiterung sorgen, überwiegen am Ende Ohnmacht, Ratlosigkeit und Wut.
Trotzdem: Gelegentlich blitzt er durch, der "Känguru-Humor" des Marc-Uwe Kling, die lakonischen kurzen Sätze, schwarz ist er auch, der Humor. Der Autor von "Qualityland" hat mit diesem Roman einen Spagat hingelegt, denn diesmal ist die Geschichte ja bitter ernst. In einiger Hinsicht lässt das Ende des Buches zu viel offen, auch darin ist die geschickte Dramaturgie des Autors sichtbar.
Ein unbequemer Thriller, der einen nicht kalt lässt und für großes Unbehagen sorgt. Hier werden dunkle Schatten auf eine mögliche Zukunft geworfen, von der ich ehrlich gesagt nicht weiß, wie man sie noch aufhalten könnte.
Marc-Uwe Kling liest die ungekürzte Hörbuchausgabe (5 Stunden und 40 Minuten) selbst, was ich der Printausgabe allemal vorziehen würde. Er verleiht der nüchternen Schreibweise die passende Stimme, was den allmählich hochkochenden Emotionen nicht im Weg steht.
Das Genre kann der Autor also auch...
Im Gegensatz zu Anne Parden bin ich etwas unschlüssig, was die passende Lesestimme betrifft. Andererseits wäre das, was ich weiter oben zum Thema Humor schrieb, gegenstandslos, läse Kling nicht selbst. Es hat oft große Vorteile, wenn ein Autor seine Bücher selber einliest. Hauptsächlichste Bedingung ist vielleicht, dass sie dies wollen. Bei Marc-Uwe Kling ist dies bereits bewiesen.
© Parden & Der Bücherjunge
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