Mittwoch, 25. Januar 2023

Benjamin, Walter: Einbahnstraße

Nach dem Aufschlagen dieses Buches und dem Lesen des Vorwortes, den ersten Zeilen dieser „Sammlung philosophischer Fragmente“ (1) setzte ich mich an den Schreibtisch und fing an, nach dem Autor zu suchen. Zugegeben, Wikipedia war dabei die erste Seite, jedoch war ich mir bewusst, dass dort ein Überblick sicher möglich ist. Zumindest findet sich da mehr, als der Eintrag in meiner in die Jahre gekommenen Bertelsmann Lexikothek ausweist. 

Wer war dieser Mann? Warum sollte man dieses Buch, welches „in der Regel... ein Zugeständnis an einen Autor, der sich im Verlag bereits erfolgreich positioniert hat“, ist, lesen? Noch dazu, wenn der Autor im Jahr 1928, als dieser Band erschien, noch nicht sehr bekannt war? (Vorwort)

Walter Benjamin, Sohn eines Kunst- und Antiquitätenhändlers, wurde 1892 in Berlin geboren. Er studierte Philosophie, Germanistik und Kunstgeschichte in Freiburg (Breisgau) und in Berlin. Bedingt durch den 1. Weltkrieg schloss er sein Studium erst nach dem Krieg ab. Benjamin fand zur linken bürgerlichen Jugendbewegung und unterstütze gedanklich die Argumentation Karl Liebknechts gegen die Kriegskredite und den Krieg selbst. Er kannte Ernst Bloch und Theodor W. Adorno, und er beschäftigt sich auch mit dem Marxismus, hält sich in de, Jahren 1926/27 in Moskau auf. Ab 1929 entwickelt sich eine Freundschaft mit Bertolt Brecht, aber da ist Einbahnstraße bereits erschienen. 

Als im Jahr 2020 eine weitere Biografie zu Walter Benjamin herauskam (Walter Benjamin. Eine Biografie von Howard Eiland und Michael J. Jennings, amerikanische Philologen), sprach der Deutschlandfunk davon, dass nach dem Suizid im Jahre 1940 „ein unglaubliches Nachleben begann, das sich nur mit dem von Kafka vergleichen lässt“ und dann weiter zu erklären, das der Autor „so etwas wie der Che Guevara der Kulturwissenschaftler wäre... Sein Artikel „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ ist der meistzitierte Aufsatz in den kulturwissenschaftlichen Disziplinen.“ (2)

Doch sind dies alles nur ganz kurze Aspekte, die sich bei der, ich gebe zu erstmaligen, Beschäftigung mit Walter Benjamin aufgefallen sind. Der eben zitierte Artikel wäre schon auf Grund des Titels dabei zu gegebener Zeit zu besprechen, die Geschwindigkeit, in der heute Kunstwerke reproduziert werden können, hatte der Autor vermutlich noch nicht im Blick.

Doch in der Einbahnstraße ist eine deutlich linke Einstellung, oder sagen wir besser, eine radikal-linke, nur selten bemerkbar. Benjamin hat sich mit vielen Dingen beschäftigt, das zeigt, nur auszugsweise, dieses Bild, sein Gesamtwerk ist in acht Bänden enthalten.



Charlotte Ueckert, die das Vorwort in der Perlen-Ausgabe geschrieben hat, meint, dass man einzelne Sätze blätternd herausfischen kann und diese einfach wirken lassen.

„Manches wirkt kurios, anderes macht betroffen und lockt auf ungewohnte gedankliche Wege. Manches ist zeitgebunden und veraltet, das menschlich dahinterstehende jedoch nie.“ (Vorwort, Seite 5)

Die vor mir liegende Stoff führte eher dazu, einen Text eher mal zu überblättern, an einem anderen hängen zu bleiben. So fällt mir gleich zu Beginn im Text Tankstelle auf:

 wenn „die Konstruktion des Lebens im Augenblick weit mehr in der Gewalt von Fakten als von Überzeugungen [liegt].“ Und wenn „Meinungen für den Riesenapparat des gesellschaftlichen Lebens [sind], was Öl für Maschinen; und man stellt sich nicht vor eine Turbine und übergießt sie mit Maschinenöl. Man spritz ein wenig davon in verborgene Nieten und Fugen, die man kennen muss.“ (Seite 13)

Erinnert das nicht stark an die heutigen Diskussionen über die Rolle von Presse und öffentlich-rechtlichem Rundfunk und Fernsehen, wenn, mal abgesehen vom „Lügenpresse-Geschrei“, hier und verlangt wird, man wolle Nachrichten und keine Meinungen hören, und eine ganze Reihe die Rolle von Kommentaren und Meinungen in diesen Medien nicht zu verstehen scheint. 

In Kaiserpanorama II erkennt er: „Eine sonderbare Paradoxie: Die Leute haben nur das engherzigste Privatinteresse im Sinne, wenn sie handeln, zugleich aber werden sie in ihrem Verhalten mehr als jemals bestimmt durch den Instinkt der Masse. Und mehr als jemals sind die Masseninstinkte irr und dem Leben fremd geworden.“ (Seite 36)

Ich lass das mal unkomentiert stehen...

Im Text Ankleben verboten! (nein, nein – nicht auf Straßen oder an Gemälden) fand ich den wesentlichen Tipp für Rezensenten und Blogger:

„Mache deine Feder spröde gegen die Eingebung, und sie wird mit der Kraft des Magneten sie an sich ziehen. Je besonnener du mit der Niederschrift eines Einfalls verziehst, desto reifer entfaltet wird er sich dir ausliefern. Die Rede erobert den Gedanken, aber die Schrift beherrscht ihn.“ (Seite 57)
Der augenzwinkernde Vergleich von Büchern und Dirnen zeigt, dass mein beide mit ins Bett nehmen kann und beiden sähe man nicht an, dass die Minuten ihnen kostbar sind. „Lässt man sich aber näher mit ihnen ein, so merkt man erst, wie eilig sie es haben.“ (Seite 65)


 


In der erwähnten Lexikothek fand ich ein Tondokument aus einem Hörspiel von Walter Benjamin, in dem es um Kinder und Tiere geht. Der Essay „Vergrößerungen“, ein etwas längerer Part widmet sich den Kindern. Ob es liest, nascht, Karussell fährt, unordentlich ist oder sich versteckt: Da hat einer gut beobachtet.

Uhren und Goldwaren ist ein Text übertitelt, indem man eine Leserweisheit findet, die vor allem diejenigen Leserinnen und Leser betreffen wird, die spannende Romane oder Krimis förmlich verschlingen und dabei feststellen, dass noch viel 'Zeit ist, den richtigen Täter zu finden, oder aber das Gegenteil:

„Als Lebensuhr, auf der die Sekunden nur so dahineilen, hängt über den Romanfiguren die Seitenzahl, welcher Leser hätte nicht schon einmal flüchtig, geängstigt zu ihr aufgeblickt?“ (Seite 83)

Beschließen wir das Ganze mal mit einem optischen Blick:





Mit dem Bild mit den Titelbildern der Bücher möchte ich auf Hannah Arendt zurück kommen. Im Jahr 1940 versucht Walter Benjamin nach der Besetzung Frankreichs in die USA zu emigrieren. Da er aber so schnell kein Visum von Spanien erhält und die Auslieferung an die Gestapo immer wahrscheinlicher wird, nimmt er sich das Leben. Fliehen musste er sicher, wenn auch nicht nur, weil er Jude war.   

Im Vorwort zum 3. Band der Reihe Perlen der Literatur, aber auch bei Wikipedia und auf der Webseite des Deutschen historischen Museums steht, Walter Benjamin entstamme einer „vollständig assimilierten jüdischen Familie“. Diese bedeutet in der Soziologie "die Angleichung einer gesellschaftlichen Gruppe an eine andere unter Aufgabe eigener Kulturgüter... als einen Prozess des Kulturwandels. (Wikipedia

Das dies insbesondere bei Angehörigen des jüdischen Volkes diskutiert wird, zeigt sich, wenn zum Beispiel Hannah Arendt diese ablehnt und dabei die Eigenständigkeit deren Identität betont, auch wenn sie nicht an die Religion gebunden ist 
Gwershom Scholem hält sie für aussichtslos: „Sehr breite Schichten der deutschen Juden waren zwar bereit, ihr Volkstum zu liquidieren, wollten aber, in freilich sehr verschiedenen Ausmaßen, ihr Judentum, als Erbe, als Konfession, ein undefinierbares und doch im Bewußtsein deutlich vorhandenes Element bewahren. Sie waren, was oft vergessen wird, zu jener totalen Assimilation, welche die Mehrheit ihrer Elite mit dem Verschwinden zu bezahlen bereit war, nicht bereit.“ 

Scholem war ein enger Jugendfreund des Schriftstellers, der mit ihm auch über das Judentum sprach und diskutierte. Walter Benjamin, der überhaupt viele Freundschaften pflegte, zählte zu diesen eben auch Hannah Arendt.

Der Begriff des „assimilierten Juden“ erscheint mir daher unzweckmäßig. Es spricht ja auch keiner vom „assimilierten Türken“, welcher einst als Gastarbeiter nach Deutschland kam. Braucht es einen expliziten Hinweis (jedesmal) darauf, dass Offiziere, Rechtsanwälte, Ärzte, Professoren oder der Kunst- und Antiquitätenhändler Emil Benjamin und deren Familien, dachten, sie wären im deutschen Bürgertum angekommen, welches sie in den Jahren nach 1933 schlicht fallen lies? In vielen Fällen wäre es besser von säkularisierten Juden zu sprechen, was vielleicht auf Walter Benjamin zutrifft.

* * *

Nicht jeden Text habe ich richtig gelesen, manche dafür mehrmals und viel mehr Stellen gekennzeichnet, als hier verwendet wurden. Auf jeden Fall dürfte es sich lohnen, Walter Benjamin zu folgen, zum Beispiel dem Briefwechsel mit Hannah Arendt.






Warum heißt das Buch nun Einbahnstraße? „Diese Straße heißt Asja-Lacis-Straße, nach der, die sie als Ingenieur im Autor durchbrochen hat.“ – Asja Lacis, eine lettische Revolutionärin aus Riga, Schauspielerin und Regisseurin, mit der Benjamin ein Liebesverhältnis.

* * *

Das Buch: Vor uns liegt ein schönes Buch, das kann man durchaus so sagen. Fadenheftung, Blauer Leineneinband mit in Silber geprägter Beschriftung. Bestimmte Textstellen sind kalligrafisch hervor gehoben, wie auf dem Bild etwas weiter oben. Jeder Band hat ein anderes Vorsatzpapier, hier wurde die Form von Wolken gewählt, literarische Wolken. Eine Besonderheit ist die Bauchbinde, auf der in der Art eines Wordscrabbles für die Geschichte bedeutsame Wörter und Begriffe in bunten Farben aufgebracht sind. Zudem ergeben diese Bauchbinden auf den nebeneinander stehenden Büchern dien Schriftzug „Perlen der Literatur“. Jedes der Bücher weist eine andere Typografie auf. In einem bibliophilen Rückblick wird eine Ausgabe von 1928 beschrieben.





Perlen der Literatur benennt der Verlag und Herausgeber Plenz diese Reihe. Sie wollen damit Neuland beschreiten und Titel wieder auferstehen lassen, die einst, im 19. und 20. Jahrhundert erfolgreich waren und auf die eine oder andere Art und Weise etwas besonderes darstellen.

Wiederholt kann ich mich nur bedanken, für die Überlassung des nun schon dritten Buches der Reihe als Rezensionsexemplar.


© Bücherjunge

2 Kommentare:

  1. Ich komme immer mehr zu dem Schluss, dass diese Reihe nichts für mich ist. Beeindruckend, dass du so konsequent dran bleibst... Herzlich, Anne

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    1. Um so mehr komme ich zum Schluss, dass diese Reihe für mich das Richtige ist. Das nächste Buch: Die Schatzinsel. Und das übernächste Buch: 1984

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