Prag 1968: Wie viele andere Tschechen schöpft Pavel Vodák Hoffnung.
Hoffnung auf Reformen, auf Freiheit, auf Demokratie. Dann rollen die
Panzer und machen all seine Träume zunichte. Pavel will nicht, dass
seine Tochter Pavla unter diesen Umständen aufwachsen muss. Sie soll
frei denken und entscheiden können. Also plant er, mit seiner Familie
aus der tschechischen Heimat nach Deutschland zu fliehen. Nachdem er an
deutsche Pässe gelangt ist, folgt die größte Herausforderung: Denn seine
schwer kranke Schwiegermutter und seine Tochter ahnen nichts von der
Flucht. Sie glauben, die Familie fährt in einen Jugoslawienurlaub. Eine
abenteuerliche Reise beginnt…
- Taschenbuch : 320 Seiten
- ISBN-10 : 9783865326089
- ISBN-13 : 978-3865326089
- Herausgeber : Pendragon; 2. Auflage (2. Februar 2018)
- Sprache: Deutsch
Wieder einmal ein Roman, den ich im Rahmen einer Leserunde bei Whatchareadin lesen durfte - noch dazu in freundlicher Begleitung der Autorin. Dadurch haben wir Leser noch einmal tiefere Einblicke sowohl in das Schaffen von Sandra Brökel als auch in die Hintergründe der Erzählung bekommen. Wirklich interessant! Für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars bedanke ich mich auch an dieser Stelle noch einmal ganz herzlich! Meine Meinung zum Roman könnt Ihr hier lesen:
PRAGER FRÜHLING UND EISERNER VORHANG - DIE GESCHICHTE EINER FLUCHT...
Prager Frühling - Quelle: Wikipedia |
Doktor Pavel Vodák gilt 1970 als Koryphäe auf dem Gebiet der Kinder-
und Jugendpsychiatrie und ist sowohl als Chefarzt im Prager Institut als
auch landesweit anerkannt. Doch er ist angzählt. Nicht aufgrund
fehlender Fachlichkeit, sondern wegen politisch-menschlicher Ansichten,
die dem Parteibuch zuwider sprechen.
Geprägt von Ereignissen im 2. Weltkrieg ist Pavel sensibilisiert
hinsichtlich staatlicher Doktrin und des Zwangs der Anpassung. 1968
flammte die Hoffnung auf einen menschlichen Sozialismus auf, und Pavel
gehörte zu denjenigen, die sich dafür engagierten. Der Einmarsch des
Militärs der Sowjetunion sowie der Bruderstaaten im Prager Frühling
zerschlugen die Hoffnung und hinterließen ein Land der Resignation und
ein Klima des Misstrauens.
Parteitreue zahlte sich nun aus, und die bekannten Reformbestreber
von 1968 waren entweder bereits verhaftet oder standen seither
offenkundig unter Beobachtung. So auch Doktor Pavel Vodák, der 1970
nicht nur sich selbst und seine Ideale gefährdet sieht, sondern auch
seine Familie. Was wäre z.B., wenn die Partei seiner hochbegabten
Tochter verbieten würde zu studieren? Er sieht seine Zukunft und die
seiner Familie nicht länger in der Tschechoslowakei - aber der Eiserne
Vorhang ist unüberwindbar. Oder gibt es Hoffnung?
"Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut
ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal wie es
ausgeht." (Vaclav Havel)
Die Trauertherapeutin Sandra Brökel kam durch einen unglaublichen
Zufall zu einem Koffer voller Notizen - den über zwei Jahre
geschriebenen Erinnerungen von Doktor Pavel Vodák. Ausgerechnet mit
dessen Tochter Pavli - später: Paula - war Sandra Brökel bis zu deren
plötzlichem Tod befreundet. Und im Rahmen der gemeinsamen Aufarbeitung
von Pavlis nicht einfacher Lebensgeschichte überließ diese der Autorin
diesen Koffer.
Die Aufzeichnungen Doktor Pavel Vodáks zeichen ein eindrückliches
Bild der Vergangenheit, ein erster Einschnitt im 2. Weltkrieg, die
kommunistische Neuordnung danach, der Prager Frühling und schließlich
die Flucht - einschließlich des Preises, den jedes Familienmitglied
dafür zahlen musste.
Sandra Brökel schreibt in einfachen, klaren Sätzen, und trotz der
Distanz, die ich die meiste Zeit über zu der Person Pavel Vodáks
verspürte, gelang es ihr, die Dramatik und die Bedeutung des
Entschlusses zur Flucht zu transportieren. Obschon mir der Ausgang
dieser Flucht bereits im Vorfeld bekannt war, verspürte ich beim Lesen
doch Aufregung, als es konkret wurde.
Ich empfand es als sehr positiv, dass Doktor Pavel Vodák hier nicht
als makelloser Kämpfer für die Freiheit dargestellt wird, sondern als
ein Mensch mit Stärken und Idealen auf der einen Seite, aber auch mit
Fehlern und Schwächen auf der anderen. Gerade im Hinblick auf seine
Familie zeigte er sich offenbar nicht immer feinfühlig, sondern
beschränkte sich ganz auf seine persönliche Sichtweise. Seine Tochter
Pavli litt darunter offensichtlich lange Zeit.
"Die Zeit schreitet unbeirrt voran, das Leben auch.
Irgendwie. Wenn die Welt eines Menschen in Scherben liegt, kann er dem
Trugschluss erliegen, alles sei dem Ende geweiht. Genau darin wartet ein
Segen für die Zukunft. Wer ihn entdeckt, kann die Scherben zu einem
neuen Mosaik zusammensetzen, das er irgendwann vielleicht sogar
liebgewinnen kann." (S. 223)
Keine Biografie, sondern ein Roman sei dieses Buch, betont die
Autorin, schriftstellerische Freiheiten inbegriffen. Das nicht nur im
Titel erwähnte Krokodil ist eine Metapher - ein Bild der lauernden und
plötzlich zuschnappenden (staatlichen) Gefahr, der man niemals den
Rücken zuwenden sollte, und von der man keinesfalls glauben darf, dass
sie womöglich eines Tages wirklich verschwunden ist. Angesichts des
heutigen Rechtsrucks in Europa erschreckend wahr. Doktor Pavel Vodák
hat den Begriff des Krokodils geprägt, die Autorin hat das Bild
verfeinert und erweitert.
Ein eindrucksvoller, biografisch geprägter Roman, der wie nebenbei
historische Ereignisse aus dem Schattendasein reiner Begrifflichkeiten
herausholt und ihnen einen persönlichen Anstrich verleiht. Unbedingt
lesenswert!
© Parden
Folgelektüre - zum Entstehungsprozess des Romans "Das hungrige Krokodil"...
Sandra Brökel, geboren 1972 in Arnsberg, arbeitet als Schreib- und
Trauertherapeutin. An ihrem Beruf fasziniert sie besonders die
Aufarbeitung von Lebensgeschichten. So entstand ihr Roman über das
Leben von Dr. Pavel Vodák. »Das hungrige Krokodil« war ihr Debüt,
welches mittlerweile in der 4. Auflage vorliegt. »Pavel und Ich« erzählt die Geschichte hinter der Geschichte des Romans
»Das hungrige Krokodil«. Gemeinsam mit Pavels Tochter reist Sandra
Brökel nach Prag und begibt sich auf die spannende Suche nach Pavels
Familiengeschichte.
(Quelle: Pendragon Verlag)
Hallo Anne,
AntwortenLöschenden Roman habe ich auch vor einiger Zeit im Rah,men einer Leserunde bei Lovelybooks gelesen und mir hat er sehr gut gefallen. Ich weiß über unsere Nachbarland von dieser Zeit sehr wenig, obwohl wir Österreicher im Osten vom eisernen Vorhang umgeben waren.
Liebe Grüße
Martina
Danke für den netten Kommentar hier - bei LB ist die Leserunde irgendwie an mir vorbei gegangen...
LöschenNun hast du auch einen "30-Jahre-Beitrag" geschrieben, liebe Anne, so 30 Jahre nach dem Mauerfall. Gefällt mir und das Buch würde ich auch mal lesen wollen.
AntwortenLöschenGrüße aus NZ.
Uwe
Ich finde, die Lektüre lohnt sich.
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