Ein idyllisches Bergdorf in Südtirol – doch die Zeiten sind hart. Von
1939 bis 1943 werden die Leute vor die Wahl gestellt: entweder nach
Deutschland auszuwandern oder als Bürger zweiter Klasse in Italien zu
bleiben. Trina entscheidet sich für ihr Dorf, ihr Zuhause. Als die
Faschisten ihr verbieten, als Lehrerin tätig zu sein, unterrichtet sie
heimlich in Kellern und Scheunen. Und als ein Energiekonzern für einen
Stausee Felder und Häuser überfluten will, leistet sie Widerstand – mit
Leib und Seele.
- Gebundene Ausgabe: 288 Seiten
- Verlag: Diogenes; Auflage: 1 (24. Juni 2020)
- Sprache: Deutsch
- Übersetzung: Maja Pflug
- Originaltitel: Resto qui
- ISBN-10: 3257071213
- ISBN-13: 978-3257071214
Romane, die vorab schon mit "Bestseller" betitelt werden, verursachen bei mir ein leichtes Magengrummeln. Gerade die gehypten Bücher kommen bei mir oftmals nicht ganz so gut an. Ob das hier auch so war? In jedem Fall war es schön, diesen Roman im Rahmen einer Leserunde bei Whatchareadin lesen zu dürfen. Dem Verlag auch ein dieser Stelle noch einmal ein herzliches Dankeschön für die Bereitstellung eines Leseexemplars!
EINE GESCHICHTE VON LEID, WIDERSTAND UND MUT...
Reschensee - Quelle: Pixabay |
Trina ist eine junge Lehrerin und lebt in Graun, einem kleinen
Bergdorf im Vinschgau. Doch die Zeiten sind düster. Die von Hitler und
Mussolini ausgehandelte "Große Option" zwingt sie - wie alle
deutschsprachigen Südtiroler - zu einer Entscheidung: entweder ins
deutsche Reich auszuwandern oder weiter in Italien Bürgerin zweiter
Klasse zu sein. Trina bleibt - obwohl sie in ihrem Dorf nicht als
Lehrerin tätig sein darf. Und sie bleibt auch, als nach dem Krieg ihr
Dorf einem Stausee weichen soll - einem Energieprojekt, das keine
Rücksicht auf Mensch und Natur nimmt...
Eine fiktive Biografie präsentiert Marco Balzano hier und gibt damit
einem grausamen Stück Südtiroler Geschichte ein persönliches Antlitz.
Identität und Heimat werden hier mehrfach infrage gestellt, und das
damalige leise Schicksal der Menschen im Vinschgau steht im Fokus dieses
Romans.
"Eines Tages kommt es noch so weit, dass man jemanden umbringen muss, wenn man seine Würde wahren will." (S. 108)
Die Dreiteilung der Erzählung macht deutlich, dass die geschilderte
Zeit nicht nur eine einzelne Prüfung für die Dorfbewohner bereit hielt.
Der Pakt zwischen Hitler und Mussolini beschert Trina und den anderen
Südtirolern 1939 eine Okkupierung. Die Italiener besetzen den
Landstrich, erlassen neue Gesetze, verbieten die deutsche Sprache und
deklassieren die bisherigen Einwohner. Trina hat gerade ihre Ausbildung
als Lehrerin beendet, als ihr Berufsverbot erteilt wird. Viele
Landesgenossen verlassen ihre Heimat und wandern nach Deutschland ab -
Trina und ihr Mann Erich weigern sich dagegen, sich vertreiben zu lassen
und leisten Widerstand im Untergrund.
"Vom ersten Augenblick an hieß es: Wir gegen sie. Die
Sprache des einen gegen die des anderen. Die Arroganz der plötzlichen
Macht gegen das Pochen auf jahrhundertealte Wurzeln." (S. 32)
Der Krieg erreicht Graun und die anderen Dörfer spät, aber es ist
klar, dass sich Trina und Erich in Sicherheit bringen müssen. Sie
fliehen in die umliegenden Berge und versuchen, sich unsichtbar zu
machen. Sie hoffen darauf, auf andere Widerstandskämpfer zu treffen -
und geraten mehr als einmal in Lebensgefahr.
Nach Kriegsende nehmen sie das Leben in Graun wieder auf. Doch nun
droht der schon lange geplante Stausee Wirklichkeit zu werden. Eine
Umsetzung der Pläne würde den Untergang des kleinen Dorfes bedeuten -
und damit den Verlust der Heimat für Trina und Erich. Wird ihr Kampf
noch etwas bewirken? Nun, wer das Foto unten sieht - oder eben jenes auf
dem Umschlag des Romans - der wird wissen: nein, der Kampf war
vergeblich.
"Am Sonntag gingen wir in die Kirche und setzten uns zur
letzten Messe auf die Bänke. (...) Von diesem Gottesdienst habe ich kein
Wort mitbekommen. Ich war zu beschäftigt, das Unvereinbare zu
vereinbaren: Gott und die Verantwortungslosigkeit, Gott und die
Gleichgültigkeit, Gott und das Elend der Menschen von Graun..." (S. 268
f.)
Marco Balzano erzählt die Geschehnisse vor allem in den ersten beiden
Teilen einerseits distanziert, andererseits aber auch atmosphärisch
dicht, so dass den Leser auch bei dem vermeintlich neutralen Schreibstil
zeitweise deutliche Emotionen erreichen.
Und auch wenn gerade der dritte Teil, der Abschnitt vom
unvermeidlichen Untergang des Dorfes, für mich der schwächste Part war
(eher ein Aneinanderreihen von chronologischen Fakten, um die mühsam
noch das Korsett der Erzählung gezwängt wurde), passt diese Art der sehr
distanzierten Erzählweise doch auch zur innerlichen Versteinerung der
Hauptcharaktere.
"Graun war ein Dorf am Rande der Zeit. Das Leben stand still." (S. 226)
Eine Geschichte von Leid, Widerstand und Mut - und davon, was Heimat bedeutet. Lesenswert!
© Parden
Quelle: Diogenes Verlag |
Marco Balzano, geboren 1978 in Mailand, ist zurzeit
einer der erfolgreichsten italienischen Autoren. Er schreibt, seit er
denken kann: Gedichte und Essays, Erzählungen und Romane. Neben dem
Schreiben arbeitet er als Lehrer für Literatur an einem Mailänder
Gymnasium. Mit seinem letzten Roman, ›Das Leben wartet nicht‹, gewann er
den Premio Campiello, mit ›Ich bleibe hier‹ war er nominiert für den
Premio Strega. Er lebt mit seiner Familie in Mailand.
Das würde mich interessieren...
AntwortenLöschenAußerdem erinnert es mich an DER BERGFÜHRER von Liselotte Welskopf-Henrich