Dienstag, 25. August 2020

Schlink, Bernhard: Abschiedsfarben

Über das Gelingen und Scheitern der Liebe, über Vertrauen und Verrat, über bedrohliche und bewältigte Erinnerungen und darüber, wie im falschen Leben oft das richtige liegt und im richtigen das falsche. Geschichten von Menschen in verschiedenen Lebensphasen und ihren Hoffnungen und Verstrickungen. »Liebe und mache, was du willst« ist kein Rezept für ein gutes Ende, aber eine Antwort, wenn andere Antworten versagen.









  • Gebundene Ausgabe: 240 Seiten
  • Verlag: Diogenes; Auflage: 1 (22. Juli 2020)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 325707137X
  • ISBN-13: 978-3257071375


Wieder ein Buch, das ich erfreulicherweise im Rahmen einer Leserunde bei Whatchareadin lesen durfte - herzlichen Dank auch diesmal an den Verlag für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplars! Ein Erzählband - Kurzgeschichten also. Nicht jedermanns Sache, und meist gefällt naturgemäß nicht alles gleichermaßen. Aber die Kunst des Erzählens zeigt sich in solch einem Band schon, zumindest bei einem versierten Autor wie Bernhard Schlink. Wie mir die Geschichten im einzelnen gefallen haben, könnt Ihr hier nachlesen:















ERZÄHLUNGEN VOM ABSCHIED - BELASTEND, BEFREIEND, VERSTÖREND, ÜBERRASCHEND...


@ Parden

Seinen dritten Erzählband präsentiert Bernhard Schlink hier, und auf irgendeine Art beschäftigt sich jede der neun Erzählungen mit dem Thema Abschied. Auch wenn man im Zusammenhang mit diesem Wort sicher gleich auch an den Tod denkt, so trifft dies längst nicht auf alle Geschichten zu, die hier vorgestellt werden. Bei einigen Erzählungen kommt man sogar erst nach gründlichem Nachdenken darauf, auf welchen Abschied Schlink sich wohl beziehen mag.

Wie immer bei einer Sammlung von kürzeren Geschichten ist es schwer, ein Gesamturteil zu fällen. Auch in diesem Band sprachen mich manche Erzählungen deutlich mehr an als andere, wobei es einigen zudem anzumerken ist, dass sie sicherlich auch autobiografische Züge haben bzw. klar dem Gedankengut eines alternden Mannes entspringen.


Sein Schreiben war Flucht, er wusste es, und er wusste auch, dass er das Leben nur bestand, weil er es floh... (S.189)


Vielleicht ist es einfacher, kurz auf die einzelnen Geschichten einzugehen, um eine Vorstellung davon zu vermitteln, welche Bandbreite an Charakteren und Themen hier versammelt sind.


1. Künstliche Intelligenz

Der Ich-Erzähler, ein Informatiker, berichtet zunächst über den Tod eines Freundes und Kollegen, schildert schließlich aber die Geschichte eines schweren Verrats, verbunden mit der großen Kunst der Verdrängung und des Schönredens. Eine beeindruckende Erzählung, scheinbar leichtfüßig im Plauderton daherkommend und doch... Ein kleiner Schock gleich zu Beginn.


2. Picknick mit Anna

Wieder eine verstörende Geschichte - vordergründig ein Mann, der nachts aus dem Fenster heraus beobachtet, wie ein junges Mädchen auf der Straße ermordet wird und nichts unternimmt, um sie zu retten. Womöglich gab es noch andere, unentdeckte Zeugen, und das Thema "unterlassene Hilfeleistung" drängt sich geradezu auf. Hintergründig gibt es jedoch noch eine ganz andere, subtile Geschichte, die hier nach und nach ans Licht kommt und womöglich noch verstörender ist. Gelungen!


3. Geschwistermusik

Ein Musikwissenschaftler trifft nach zig Jahren seine große Jugendliebe wieder, die wiederum schon seit ihrer Kindheit eine große Verbundenheit mit ihrem im Rollstuhl sitzenden Bruder zeigt. Ein Geflecht von Gefühlen, das keine Klarheit zulässt, Verletzungen provoziert und Liebe erstickt. Oder hat sie womöglich nach all den Jahren eine Chance? Vielleicht würde mir die Geschichte bei einem zweiten Lesen besser gefallen, so fand ich sie im Mittelteil ein wenig langatmig und etwas zu bemüht konstruiert.


4. Das Amulett

Eine zutiefst verletzte Ich-Erzählerin, die nie verkraftet hat, dass ihr Mann sie vor Jahren für eine andere Frau verlassen hat. Kurz vor dem Tod dieses Mannes kommt es noch einmal zu einem Treffen, das mit einigen Erkenntnissen endet. Eine eher nüchterne Erzählung, die trotzdem deutlich macht, wie sehr Gefühle unser Handeln bestimmen und dadurch Beziehungen zu Menschen beeinflussen, denen wir eigentlich nahe sein wollen.


5. Geliebte Tochter

Wieder eine Erzählung mit sehr ungutem Beigeschmack. Schlink bewegt sich manchmal am Rande von Tabus, vielleicht sogar darüber hinaus. Verbunden mit der Frage, ob aus etwas Falschem doch noch etwas Richtigem entstehen kann, lässt er den Leser mit etwas schwer zu Verdauendem zurück. Verstörend!


6. Der Sommer auf der Insel

Eine Mutter fährt mit ihrem Sohn für die Dauer eines Urlaubs auf die Insel - eine seltene Zweisamkeit, für die im Alltag kein Platz ist. In dieser Erzählung nimmt der Junge Abschied von seiner Kindheit, entdeckt ein Geheimnis seiner Mutter - und obwohl sich von hier an eine drückende Geschichte hätte entwickeln können, gibt Schlink dem Geschehen eine ungeahnte Leichtigkeit, die mir gut gefallen hat.


7. Daniel, my Brother

Ein alternder Schriftsteller, der seinerzeit Jura studiert hat, lebt mit seiner Freundin in Amerika, als ihn die Nachricht vom Tod seines Bruders erreicht. Dieser hat sich gemeinsam mit seiner kranken Frau das Leben genommen - und nun trauert der Schriftsteller nicht nur um seinen Bruder, sondern auch um das, was noch hätte sein können. Eine wohl sehr autobiografisch geprägte Erzählung, für mich die stärkste und authentischste in diesem Band. Diesmal gibt es nichts Irritierendes, jeder, der schon um jemand Nahestehenden getrauert hat, wird sich ein wenig in der Erzählung wiederfinden. 


8. Atlersflecken

Anlässlich seines 70. Geburtstags blickt ein Mann recht melancholisch zurück auf seine Vergangenheit - vor allem eine verflossene Liebschaft lässt ihn nicht mehr los. Während er seit seiner Kindheit ansonsten stets versucht, die Erwartungen anderer zu erfüllen, fühlte er sich in dieser Liebe frei. Und gab sie doch auf, als das Leben etwas anderes von ihm verlangte. Ich habe diese Erzählung nicht ungern gelesen, aber nach der tiefgehenden Geschichte davor fand ich diese hier im Vergleich doch etwas blass. 


9. Jahrestag

Die Liebe eines alten Mannes zu einer jungen Frau - 38 Jahre Altersunterschied. Anlässlich ihres Jahrestages macht sich der Mann Gedanken über ihre doch wohl sehr unterschiedlichen Perspektiven. Wie viel des Weges werden sie gemeinsam gehen können? Ambivalente Gedanken befallen den Mann: soll er aus dem Leben der Frau verschwinden oder sein Glück einfach leben, solange es dauert? Eine nette, nicht zu schwere, wenn auch durchaus leicht melancholische Erzählung am Ende des Geschichtenbandes - passend in meinen Augen. 


Er saß auf der Bank, die laue Luft war nachsichtig, und er dachte schon, er könne die Vergangenheit wie ein gefaltetes Papierschiffchen auf den Kanal setzen und davonschwimmen lassen... (S. 207)


Eine bunte Mischung in dem typischen Schreibstil Schlinks: Schlicht, verständlich, klar und schnörkellos. Lesenswert!


© Parden 








Bisher im Blog von Bernhard Schlink vorgestellt:


zur Rezension










Bernhard Schlink, geboren 1944 bei Bielefeld, ist Jurist und lebt in Berlin und New York. Der 1995 erschienene Roman ›Der Vorleser‹, 2009 von Stephen Daldry unter dem Titel ›The Reader‹ verfilmt, in über 50 Sprachen übersetzt und mit nationalen und internationalen Preisen ausgezeichnet, begründete seinen schriftstellerischen Weltruhm.

übernommen vom Diogenes Verlag






1 Kommentar:

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