Über das Gelingen und Scheitern der Liebe, über Vertrauen und Verrat,
über bedrohliche und bewältigte Erinnerungen und darüber, wie im
falschen Leben oft das richtige liegt und im richtigen das falsche.
Geschichten von Menschen in verschiedenen Lebensphasen und ihren
Hoffnungen und Verstrickungen. »Liebe und mache, was du willst« ist kein
Rezept für ein gutes Ende, aber eine Antwort, wenn andere Antworten
versagen.
- Gebundene Ausgabe: 240 Seiten
- Verlag: Diogenes; Auflage: 1 (22. Juli 2020)
- Sprache: Deutsch
- ISBN-10: 325707137X
- ISBN-13: 978-3257071375
Wieder ein Buch, das ich erfreulicherweise im Rahmen einer Leserunde bei Whatchareadin lesen durfte - herzlichen Dank auch diesmal an den Verlag für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplars! Ein Erzählband - Kurzgeschichten also. Nicht jedermanns Sache, und meist gefällt naturgemäß nicht alles gleichermaßen. Aber die Kunst des Erzählens zeigt sich in solch einem Band schon, zumindest bei einem versierten Autor wie Bernhard Schlink. Wie mir die Geschichten im einzelnen gefallen haben, könnt Ihr hier nachlesen:
ERZÄHLUNGEN VOM ABSCHIED - BELASTEND, BEFREIEND, VERSTÖREND, ÜBERRASCHEND...
@ Parden |
Seinen
dritten Erzählband präsentiert Bernhard Schlink hier, und auf
irgendeine Art beschäftigt sich jede der neun Erzählungen mit dem Thema
Abschied. Auch wenn man im Zusammenhang mit diesem Wort sicher gleich
auch an den Tod denkt, so trifft dies längst nicht auf alle Geschichten
zu, die hier vorgestellt werden. Bei einigen Erzählungen kommt man sogar
erst nach gründlichem Nachdenken darauf, auf welchen Abschied Schlink
sich wohl beziehen mag.
Wie immer bei einer Sammlung von kürzeren Geschichten ist es schwer,
ein Gesamturteil zu fällen. Auch in diesem Band sprachen mich manche
Erzählungen deutlich mehr an als andere, wobei es einigen zudem
anzumerken ist, dass sie sicherlich auch autobiografische Züge haben
bzw. klar dem Gedankengut eines alternden Mannes entspringen.
Sein Schreiben war Flucht, er wusste es, und er wusste auch, dass er das Leben nur bestand, weil er es floh... (S.189)
Vielleicht ist es einfacher, kurz auf die einzelnen Geschichten
einzugehen, um eine Vorstellung davon zu vermitteln, welche Bandbreite
an Charakteren und Themen hier versammelt sind.
1. Künstliche Intelligenz
Der Ich-Erzähler, ein Informatiker, berichtet zunächst über den Tod
eines Freundes und Kollegen, schildert schließlich aber die Geschichte
eines schweren Verrats, verbunden mit der großen Kunst der Verdrängung
und des Schönredens. Eine beeindruckende Erzählung, scheinbar
leichtfüßig im Plauderton daherkommend und doch... Ein kleiner Schock
gleich zu Beginn.
2. Picknick mit Anna
Wieder eine verstörende Geschichte - vordergründig ein Mann, der
nachts aus dem Fenster heraus beobachtet, wie ein junges Mädchen auf der
Straße ermordet wird und nichts unternimmt, um sie zu retten. Womöglich
gab es noch andere, unentdeckte Zeugen, und das Thema "unterlassene
Hilfeleistung" drängt sich geradezu auf. Hintergründig gibt es jedoch
noch eine ganz andere, subtile Geschichte, die hier nach und nach ans
Licht kommt und womöglich noch verstörender ist. Gelungen!
3. Geschwistermusik
Ein Musikwissenschaftler trifft nach zig Jahren seine große
Jugendliebe wieder, die wiederum schon seit ihrer Kindheit eine große
Verbundenheit mit ihrem im Rollstuhl sitzenden Bruder zeigt. Ein
Geflecht von Gefühlen, das keine Klarheit zulässt, Verletzungen
provoziert und Liebe erstickt. Oder hat sie womöglich nach all den
Jahren eine Chance? Vielleicht würde mir die Geschichte bei einem
zweiten Lesen besser gefallen, so fand ich sie im Mittelteil ein wenig
langatmig und etwas zu bemüht konstruiert.
4. Das Amulett
Eine zutiefst verletzte Ich-Erzählerin, die nie verkraftet hat, dass
ihr Mann sie vor Jahren für eine andere Frau verlassen hat. Kurz vor dem
Tod dieses Mannes kommt es noch einmal zu einem Treffen, das mit
einigen Erkenntnissen endet. Eine eher nüchterne Erzählung, die trotzdem
deutlich macht, wie sehr Gefühle unser Handeln bestimmen und dadurch
Beziehungen zu Menschen beeinflussen, denen wir eigentlich nahe sein
wollen.
5. Geliebte Tochter
Wieder eine Erzählung mit sehr ungutem Beigeschmack. Schlink bewegt
sich manchmal am Rande von Tabus, vielleicht sogar darüber hinaus.
Verbunden mit der Frage, ob aus etwas Falschem doch noch etwas Richtigem
entstehen kann, lässt er den Leser mit etwas schwer zu Verdauendem
zurück. Verstörend!
6. Der Sommer auf der Insel
Eine Mutter fährt mit ihrem Sohn für die Dauer eines Urlaubs auf die
Insel - eine seltene Zweisamkeit, für die im Alltag kein Platz ist. In
dieser Erzählung nimmt der Junge Abschied von seiner Kindheit, entdeckt
ein Geheimnis seiner Mutter - und obwohl sich von hier an eine drückende
Geschichte hätte entwickeln können, gibt Schlink dem Geschehen eine
ungeahnte Leichtigkeit, die mir gut gefallen hat.
7. Daniel, my Brother
Ein alternder Schriftsteller, der seinerzeit Jura studiert hat, lebt
mit seiner Freundin in Amerika, als ihn die Nachricht vom Tod seines
Bruders erreicht. Dieser hat sich gemeinsam mit seiner kranken Frau das
Leben genommen - und nun trauert der Schriftsteller nicht nur um seinen
Bruder, sondern auch um das, was noch hätte sein können. Eine wohl sehr
autobiografisch geprägte Erzählung, für mich die stärkste und
authentischste in diesem Band. Diesmal gibt es nichts Irritierendes,
jeder, der schon um jemand Nahestehenden getrauert hat, wird sich ein
wenig in der Erzählung wiederfinden.
8. Atlersflecken
Anlässlich seines 70. Geburtstags blickt ein Mann recht melancholisch
zurück auf seine Vergangenheit - vor allem eine verflossene Liebschaft
lässt ihn nicht mehr los. Während er seit seiner Kindheit ansonsten
stets versucht, die Erwartungen anderer zu erfüllen, fühlte er sich in
dieser Liebe frei. Und gab sie doch auf, als das Leben etwas anderes von
ihm verlangte. Ich habe diese Erzählung nicht ungern gelesen, aber nach
der tiefgehenden Geschichte davor fand ich diese hier im Vergleich doch
etwas blass.
9. Jahrestag
Die Liebe eines alten Mannes zu einer jungen Frau - 38 Jahre
Altersunterschied. Anlässlich ihres Jahrestages macht sich der Mann
Gedanken über ihre doch wohl sehr unterschiedlichen Perspektiven. Wie
viel des Weges werden sie gemeinsam gehen können? Ambivalente Gedanken
befallen den Mann: soll er aus dem Leben der Frau verschwinden oder sein
Glück einfach leben, solange es dauert? Eine nette, nicht zu schwere,
wenn auch durchaus leicht melancholische Erzählung am Ende des
Geschichtenbandes - passend in meinen Augen.
Er saß auf der Bank, die laue Luft war nachsichtig, und er dachte schon, er könne die Vergangenheit wie ein gefaltetes Papierschiffchen auf den Kanal setzen und davonschwimmen lassen... (S. 207)
Eine bunte Mischung in dem typischen Schreibstil Schlinks: Schlicht, verständlich, klar und schnörkellos. Lesenswert!
© Parden
Bisher im Blog von Bernhard Schlink vorgestellt:
zur Rezension |
Bernhard Schlink, geboren 1944 bei Bielefeld, ist Jurist und lebt in
Berlin und New York. Der 1995 erschienene Roman ›Der Vorleser‹, 2009 von
Stephen Daldry unter dem Titel ›The Reader‹ verfilmt, in über 50
Sprachen übersetzt und mit nationalen und internationalen Preisen
ausgezeichnet, begründete seinen schriftstellerischen Weltruhm.
► übernommen vom Diogenes Verlag
So gibt Anne Geschichten Raum...
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