Samstag, 10. Dezember 2022

Gorch Fock: Seefahrt ist not!

„Gorch Fock“ II. Wer kennt es nicht. Das Segelschulschiff der Bundesmarine, vor Jahren ins Gerede gekommen, erst wegen zweier Todesfälle von Kadettinnen, dann wegen zichfacher Kosten bei der Sanierung des Dreimasters. Besichtigen kann man auch die Gorch Fock I. Die liegt in Stralsund und ist ebenfalls stark renovierungsbedürftig. Auf ihr darf man, ordnungsgemäß gesichert, am Hauptmast bis zur ersten Rahe klettern. Nichts für Leute mit Höhenangst, und doch ist es nur ein kleines Teilstück.

Sechs Schiffe gab es von dieser Bauart, vier fahren noch auf den Weltmeeren, eines wurde versenkt.

Also, GORCH FOCK kennt jede und jeder. Doch „Gorch“ steht für Georg und „Fock“ war der Name einer Großmutter des Johann Wilhelm Kinau (*1880 Finkenwerder, 十 1916 – Skagerrak)

Sohn eines Fischers auf Finkenwerder, einer Elbinsel bei Hamburg, der wegen Seekrankheit Buchhalter und vor allem eines wurde: Schriftsteller.

Wie gesagt, nie gehört. Doch dann begegnen mir auf der BuchBerlin 2022 die Perlen der Literatur und unter diesen ein Roman mit dem Titel SEEFAHRT IST NOT! Um diesen geht es in dieser Rezension.


3 x Gorch Fock (linkes Bild © UR)

Zum Inhalt: Klaus Mewes ist Fischer auf Finkenwerder, der Elbinsel bei Hamburg. Mit Gesa ist er verheiratet und beide haben ein einen Sohn, den kleinen Klaus, genannt Störtebeker.


Finkenwerder: Die Start- und Landebahn gehört zu Airbus

Nichts möchte der lieber, als endlich mit seinem Vater auf dessen Ewer mit der Kennung HF 135 in See stechen und Fischen. Auch der Vater möchte ihn bald mit nehmen, doch noch ist die Elbe vereist und der Junge bewacht einen imaginären Ewer zwischen einem Apfelbaum und einem Birnbaum, derweil die Eltern in der Kirch sitzen. 

„Der Junge ging immer noch ernst und wachsam zwischen Apfel- und Birnbaum auf und nieder, denn er wollte beweisen, dass er schon groß genug wäre und allein die Wache gehen könne... Wie nach Segeln blickte er nach den Zweigen hinauf. Der Buschfink, der im Wipfel des Apfelbaumes saß, war seine Windfahne. Er hatte die Hände nach Fischerart tief in die Hosentaschen gesteckt und pfiff laut vor sich hin, spuckte auch einmal großartig in die See hinein.“ (Seite 13)


Die Erwachsenen in der Kirche gedenken derer, die nicht mehr unter ihnen weilten, genommen hat sie „Die Nordsee, die Mordsee – mit ihren jagenden, zerrissenen Wolken, mit ihrem pfeifenden, brausenden Sturm, mit ihren haushohen, schäumenden, brüllenden Seen, mit Brand und Wetterleuchten, mit Dünung und Gewitter – mit geborstenen Segeln, gebrochenen Masten, nach Hilfe rufenden Fahrensleuten und verlorenen Wracks.“ (Seite 9)

Noch sind der Seestiefel des kleinen Störtebeker nicht fertig, was der Junge nicht weiß, ist, dass der Vadder dem „Schoster“ gesagt hat, es wäre noch Zeit...  Die „Mudder“ hält die Zeit für noch nicht gekommen, doch der große furchtlose erfolgreiche Fischer warten schon drauf, seinen Jungen mitzunehmen. 

„De Jung kummt doch mit nach See!“, ließ Klaus Mewes sich vernehmen. Dann blickt er nach seinem Ewer und wartet auf Kap Hoorns Meinung, die auch prompt kam.

„Klaus, ick will dir mol wat Seggen: Ik könnt dien Vadder sein, als du geboren wurdest, da kreuzte ik noch bi Kap Hoorn rum un fing Albatrosse! De Mudder hett noch een Recht op den Jungen!“

„Och wat!“, fiel Klaus ihm barsch ins Wort. „Ik hebb dat eenmol gesagt un dabei blifft dat. er kummt mit an Bord! Bi de Deerns geiht dat nach de Mudder, aber bi de Jungens geiht dat nach nach dem Vadder! Sin Mudder sehe es ja am liebstn, wenn he Schoster oder Snieder warrn. Un wenn wi auf See bleiben sollten, Kap Hoorn, denn mokt se en Schoster oder Snieder ut ihn. Aber man keen Bang, Klaus Mewes kann nich auf See bleiben!“ (Seite 30)

Das ist sein Spruch: „Ick bliev ni oop See!“ Angst kennt der nicht und der Junge macht es ihm nach. Grenzenloses Vertrauen hat er zum Vadder, auch wenn ihn manchmal das Misstrauen packt, der könnte ihn doch noch wegen der Mudder zu Hause lassen.

Der ungeduldige Mewes kann es nicht ab, dass das Eis die Fischer zurückhält, während weiter der Küste zu die Fischerei schon voll im Gange ist, alle helfen ihm, den Ewer als Eisbrecher benutzend, eine Fahrrinne zu brechen...



Derweil versucht der Bengel die Seekrankheit „weg zu trainieren“, er schaukelt im eigenen Angelkahn bis ihm schlecht wird...

So beginnt die Geschichte um den kleinen Klaus Störtebeker mit dem großen Namen und dem großen Klaus. Natürlich fahren beide hinaus, bis in die Weser und Bremen, fischen Schollen und anderes Seegetier, verkaufen diese, fahren wieder hinaus, Klaus erlebt seinen ersten Sturm, muss auch mal gerettet werden und wird dem Vater immer ähnlicher. „Bang bin ik nich, Kap Hoorn!“

Eines Tages fährt Gesa mit der Bahn in Richtung Bremen und holt den Jungen zurück, der das nicht verstehen kann. Ist der Vater wieder auf der Elbe, ist der Junge an Bord. Und wieder einmal naht der Abschied.

Hier befinden wir uns am Ende des vierzehnten Abschnitts, der fünfzehnte und damit längste Abschnitt folgt: Mewes fischt auf der Doggerbank, hundertfünfzig Seemeilen hinter Helgoland und wenn die Leserin und der Leser oben schon von der Nordsee – der Mordsee lasen und auch der zweitlängste Abschnitt, der zwölfte, stürmig war, dieser wird es noch mehr, denn „selbst die Sturmsegel, die winzigen Lappen, wollen nicht mehr halten.“



Doch der junge Klaus hat eine Zukunft...

* * *

Das Buch: Vor uns liegt nun der zweite Band der „Literatur-Perlen“ die Ralf Plenz im Input-Verlag Hamburg herausgibt. Die Reihe ist Texten gewidmet, die „bereits im 19. oder 20. Jahrhundert in Europa erschienen sind und zeitweise sehr erfolgreich waren oder sprachliche Besonderheiten aufweisen und auf jeden Fall richtungsweisend wirkten. Oft waren diese Bücher über viele Jahre nicht lieferbar. Daher: wiederentdeckte Perlen.“ (Vorwort – Über die Buchreihe)

Leineneinband, Fadenheftung und als Besonderheit wird jedes Buch in einer anderen Typografie gedruckt, so wie jedes Buch wichtige Worte oder Sätze als kalligrafische Elemente als Lesereiz aufweist. Das Vorsatzpapier  zeigt folgerichtig Anker. 

Jedes Buch besitzt eine "Bauchbinde", die nicht nur kurze Informationen zu Inhalt und Autor enthält, sondern auch als Lesezeichen vorgesehen ist.




Susanne M. Farkas schrieb sowohl Vor-, und Nachwort und so können wir die einstige und neuere Bedeutung des einzigen Romans des Gorch Fock erahnen. 700000 Exemplare umfasste die erste Auflage im Jahr 1912. Der Autor war lange umstritten, „eignete“ sich doch das Werk für die Propagierung „kerndeutschen Heldentums“ während der Nazizeit, für die es nicht ohne Zutun des Bruders bezogen auf Text und Vokabular angepasst wurde. 

Natürlich ist es eine Geschichte über Mut, Kraft, Erfolg, Familie und Solidarität unter den Fischern, aber es ist eine Geschichte, die in vielen Ländern erzählt werden könnte, sei es in Skandinavien, Großbritannien, Frankreich, verbunden durch Nordsee und Ärmelkanal oder die stürmische Biskaya. Die Herausgeber verwendeten das Originalmanuskript von 1912 und arbeiteten behutsam daran, wenn sie zum Beispiel das Plattdeutsche etwas „glätteten“. Das Originalmanuskript, hinten im Buch  bibliografisch beschrieben, wies einen diesbezüglichen Glossar auf - Eine Idee, deren Beibehaltung ich für gut befunden hätte.

Es ist übrigens genau das Plattdeutsche in der wörtlichen Rede, welches neben der großen Geschichte den Text so liebenswert macht, die Dialoge zwischen Vater und Sohn oder des Kleinen Ansprachen an die Ewer-Besatzung und andere Fischer.




* * *

Autor: Johann Wilhelm Kienau, darin liegt sicher die besondere Nutzung des Romans in späteren Jahren, fuhr erst spät und nur kurz zur See. Als Matrose verlor er sein Leben in der Seeschlacht im Skagerak1916. Das Grab befindet sich auf der Insel Stensholmen. 

Sein Autorenleben hielt er vor der Familie zumindest länger geheim. In nur sieben Wochen schreibt er nachts diesen Roman. Der kleine Klaus Mewes, genannt Störtebeker, wäre er wohl selbst gern gewesen, die Szene, in der sich der Junge davor fürchtet, wegen Seekrankheit nicht mit „auf See“ zu dürfen, spricht dafür. Der Bruder dagegen besucht Seefahrtsschule und besaß das Große Steuermannspatent, genau wie der nun große Klaus „Störtebeker“.

Sich dem Autor zu nähern dürfte mit der Biografie von Rüdiger Schütt möglich sein. Das Ziel ist in dieser einleitend wie folgt beschrieben:

"Die Beschäftigung mit Gorch Fock ist bis heute vielfach noch immer geprägt von ideologischen (und philologischen) Entstellungen, die ihren Ursprung nicht zuletzt in der Instrumentalisierung des Schriftstellers im Rahmen der Kulturpolitik des 'Dritten Reiches' haben. Von diesen Einflüssen befreite Darstellungen, wie die hier vorliegende Biografie wollen ein authentisches Bild von Johann Kinau alias Gorch Fock zeichnen - jenseits von Glorifizierung und Mythos." (Schütt, 2060, Seite 10)

 


 

* * *

Fazit: Es ist wirklich eine Perle der Literatur, die auch Lust macht auf das Leben des Gorch Fock, das sich eben nicht auf den nach ihm benannten Windjammern abspielte und auch nicht auf einem Ewer oder Fischkutter. 

Was ein Ewer ist kann man sicher unter dem allbekannten „Wiki“ bachlesen. Besser ist, man besucht das Deutsche Museum in München, dort kann man einen bewundern.








Dies ist das zweite Buch der "Perlenreihe" aus dem Input-Verlag. Proserpina von Elfriede Langgässer wurde auf unserem Blog bereits besprochen.





© Bücherjunge (14.12.2022)



2 Kommentare:

  1. https://loomings-jay.blogspot.com/2010/08/gorch-fock.html

    Lesetipp zum Thema. Der Bücherjunge

    AntwortenLöschen
  2. Ich bin gespannt, was dir da noch so über den Weg läuft in der Reihe...

    AntwortenLöschen

Durch das Kommentieren eines Beitrags auf dieser Seite, werden automatisch über Blogger (Google) personenbezogene Daten, wie E-Mail und IP-Adresse, erhoben. Weitere Informationen findest Du in unserer Datenschutzerklärung und in der Datenschutzerklärung von Google. Mit dem Abschicken eines Kommentars stimmst Du der Datenschutzerklärung zu.

Um die Übertragung der Daten so gering wie möglich zu halten, ist es möglich, auch anonym zu kommentieren.