Dienstag, 2. November 2021

Nguyen-Kim, Mai Thi: Die kleinste gemeinsame Wirklichkeit.

 Wahr, falsch, plausibel - Die größten Streitfragen wissenschaftlich geprüft

Sie geistert schon einige Zeit auf erfrischend „wissenschaftlich-jugendliche“ Art und Weise durch die Social Media Kanäle, die vierunddreißigjährige Mai Thi Nguyen-Kim, promoviert an der Universität Potsdam – heute meist (unzulässig) verkürzt als Wissenschaftskommunikatorin bezeichnet, weil sie andererseits genau das macht: Wissenschaft zu kommentieren und deren Ergebnisse, Forschungen und Studien zu kommunizieren – nicht nur in ihrem eigenen Fach. [1]

Es waren die Videos des YouTube–Kanals MailLab, die sie immer bekannter machten, wozu Klimakrise und vor allem die Covid 19 – Pandemie nicht unerheblich beigetragen haben dürften. „MaiLab“ hieß ursprünglich „schönschlau“ und wird vom Südwestrundfunk produziert: [2]


„Hallo, Freunde der Sonne, holt euch einen Tee und macht es euch gemütlich, jetzt geht es los mit der kleinsten gemeinsamen Wirklichkeit“,
würde sie dort sagen, um das Buch vorzustellen, das seit Wochen auf der Spiegel-Bestsellerliste für Sachbücher zu finden ist. 


 

 

Das ist doch etwas anders, als wenn wir lesen würden: „Physikalische Hydrogele gewinnen derzeit als Zellsubstrate zunehmend an Interesse, da Viskoelastizität oder Stressrelaxation ein bedeutender Parameter in der Mechanotransduktion ist, der bisher vernachlässigt wurde.“ [3]

Mit diesen Zeilen leitet die Uni Potsdam die Darstellung der Dissertation über „Physikalische Hydrogele auf Polyurethan-Basis“ ein. Dazu fällt mir gerade noch ein, dass da was mit Wasser und Makromolekülen sein muss, nein mich interessiert weniger, was das für Moleküle sind, aus denen wir zusammengesetzt sind. Mai Thi Leiendecker, so der bürgerliche Name, interessierte genau das, darum studierte sie Chemie.

Dies erzählt sie ziemlich am Ende des Hörbuches nachdem sie sich durch ein enorm breites Spektrum ihres zweiten (?) Buches hangelt. Es geht um Videospiele und Gewalt, die Gehirne von Mann und Frau, Gender Pay Gap, Lohngerechtigkeit, die großen Pharma-Konzerne, Impfpflicht, Homöopathie, Drogenlegalisierung und wie wissenschaftliche Studien so sind und was sie aussagen können.

Natürlich sind Corona, Klimawandel und Tierversuche große Themen. Es ist an sich nicht nötig, ihr Plädoyer zur Covid-Schutzimpfung zu betonen und ihre Sympathie für Friday for Future. Überlegenswert sind die Gedanken, die sie zu Tierversuchen in der Medizin und Tiere als Fleischlieferanten äußert.

Vor Jahresfrist ging sie auf dem Kanal Mailab mit Dieter Nuhr ins Gericht, der in diversen Shows so tat, als würde er dem Ruf „Folgt der Wissenschaft“ selber folgen. Auch in diesem Buch zeigt sie noch einmal, was davon zu halten war bzw. ist.

Die kleinste gemeinsame Wirklichkeit ist schwer zu erreichen, dazu bracht es wissenschaftlicher Methoden. „Wissenschaftliche Studien sagen wenig, wenn man die dazugehörigen Methoden nicht kennt.“So schließt Nguyen-Kim ihr Buch ab, in dem sie darstellt, dass Konsens in der Wissenschaft viel häufiger besteht, als uns das Medien und Politik glauben machen, wobei sie uns ihren eigenen Blick auf social Media nicht vorenthält.

Für wissenschaftliche Diskussions- und Fehlerkultur gilt dies ebenso, das ist irgendwie beruhigend. „Wissenschaftlicher Konsens ist die beste Annäherung an die Wahrheit“ und dieser besteht eben zum Beispiel in der Anerkennung des menschengemachten Klimawandels und in der Gefährlichkeit des Corona-Virus.

Ihren „wissenschaftliche Spirit“ will die Autorin mit uns teilen , und nein, das hat mit „Wissenschaftsreligion“ nicht zu tun.




Das Buch - Wer des öfteren dem Kanal Mailab folgt, kennt die erfrischende Art der Autorin, die ich oben bereits erwähnte. In einem Buch über „Wissenschaftskonsens“ geht das nicht ganz so locker und jugendlich daher, obwohl es Spaß macht ihr zuzuhören. Allerdings braucht man Pausen und wenn man vorhat, vom Inhalt möglichst viel zu behalten, zum Beispiel um über das Buch in einem Literaturblog zu schreiben, dann sollte man es besser auf hergebrachte Art lesen. Schon wegen der Klebezettel, die man darin anbringen und der Zitate, die man besser abschreiben kann. 

Das Buch ist, gehört oder gelesen, gerade in heutiger Zeit zu empfehlen, es ist an einigen Stellen geradezu Augen öffnend. Man braucht auch keine Hochschulreife, um es zu verstehen, auch wenn sie hilft. Nicht völlig verschüttetes Schulwissen reicht aus. Ihre "Mission, Wissenschaft wie eine Seuche über das Land zu verbreiten" verfolgt sie konsequent.

Vermutlich erreicht das Buch nicht die, deren Schulwissen anscheinend unter einem großen Berg Verschwörungsschrott liegt, was zumindest für Logik, ein bisschen Philosophie und vor allem Naturwissenschaften gilt. (Von denen mochte ich übrigens Chemie am wenigsten). Aber diese Leute glauben sowieso, dass die Trägerin des Bundesverdienstkreuzes, welches sie im Herbst 2020 für ihre Art der Wissenschaftskommunikation erhielt, eine reine, fake news verbreitende, Marionette der Politik ist.

Für alle anderen gilt, greift zu, und gebt es euren Abi-machenden Töchtern und Söhnen in die Hand, ein bisschen Logik und das Verstehen ein paar kausaler Zusammenhänge mehr hat noch keinem geschadet. 

 

Leseprobe


© Bücherjunge

3 Kommentare:

  1. Ich folge der Autorin auch auf Youtube - höre/schaue mir aber nur die Beiträge an, die mich wirklich interessieren. Bei dem Hörbuch wäre ich mir nicht sicher, ob mich alles interessieren würde...

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    1. Amazon hat die Rezension abgelehnt. Die mit ihren verdammten Regeln. Nie wieder. Ich schreib doch keine unterschiedlichen Texte um die unterschiedlichen Plattformen zu bedienen.

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    2. Dieses Hörbuch bietet eine interessante Auswahl, die nicht zu breit ausfällt.

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