Thorn in Westpreußen, 1910. Der schüchterne Carl, der draufgängerische
Artur und die freche Isi sind frohen Mutes, dass der Ernst des Lebens
noch ein wenig auf sich warten lässt. Nicht einmal die Nachricht, dass
ein Komet namens »Halley« die Menschheit zu vernichten droht, kann die
drei Jugendlichen schockieren. Im Gegenteil – ungerührt verkaufen sie
Pillen gegen den Weltuntergang, während Halley still vorbeizieht. Doch das Erwachsenwerden lässt sich nicht aufhalten: Carl beginnt eine
Ausbildung zum Fotografen, Artur und Isi werden ein Paar. Als 1914 die
große Weltpolitik über sie hineinbricht, reißt es die Freunde
auseinander. Artur und Carl werden eingezogen, fernab der Heimat werden
die beiden Teil eines Kriegs, der jede Vorstellungskraft sprengt.
Derweil hat Isi zuhause in Thorn ganz andere Kämpfe auszufechten. 1918 ist der Krieg endlich vorbei. Nichts ist geblieben, wie es einmal war – und doch scheint ein Neuanfang möglich...
- Broschiert: 544 Seiten
- Verlag: DuMont Buchverlag GmbH & Co. KG; Auflage: 1 (21. Juli 2020)
- Sprache: Deutsch
- ISBN-10: 3832164987
- ISBN-13: 978-3832164980
Ein Roman, den ich im Rahmen einer Buchverlosung bei Lovelybooks gewonnen habe und den ich dadurch bereits vor dem eigentlichen Erscheinungsdatum lesen durfte. Es war dazu zwar keine Leserunde angelegt, aber der Autor hat netterweise doch auf einzelne Kommentare reagiert. Dadurch entspann sich zeitweise ein netter Austausch und Fragen konnten rasch beantwortet werden. Aufmerksame Verfolger des Blogs werden wissen, dass ich hier bereits einige andere Romane von Andreas Izquierdo vorgestellt habe und dass mir diese durch die Bank weg gut gefallen haben. Dies war letztlich auch der Grund, weshalb ich selbst vor einem historischen Roman des Autors nicht zurückschreckte. Und so viel vorweg: ich habe es nicht bereut...
INFORMATIV, SPANNEND, BERÜHREND UND MITREISSEND...
Thorn, 1910 |
In Thorn, einer Militärstadt, gehen die Uhren 1910 noch anders. Nahe
der Grenze zu Polen dauert es lange, bis Fortschrittliches oder auch
weltpolitische Ereignisse ihren Weg in die abseits gelegene Stadt in
Westpreußen finden. In einer Atmosphäre althergebrachter Strukturen
wachsen die Jugendlichen Carl, Artur und Isi auf und nichts deutet
darauf hin, dass sich daran so bald etwas ändern wird.
Zu Beginn der Erzählung ist Carl 13 Jahre alt und lebt mit seinem
alleinerziehenden Vater in einem winzigen Häuschen, das ihnen Wohn- und
Arbeitsstätte zugleich ist. Dort gelangen allabendlich Kartoffeln auf
den Küchentisch, gleichzeitig werden in der winzigen Stube Kunden
empfangen, die sich vom Schneider Friedländer ein neues Gewand fertigen
lassen wollen. Reich werden sie dabei nicht, zumal sie als Juden
misstrauisch beäugt werden, aber irgendwie haben sie ihr Auskommen.
Carl geht gerne zur Schule, doch schon in wenigen Wochen ist damit
Schluss, denn das Realgymnasium kann sich der Vater nicht leisten. Mit
ihm zur Schule geht Artur, der vierzehnjährige Sohn eines Wagners und
bester Freund von Carl. Gegensätzlicher könnten die beiden nicht sein:
Carl schmächtig und schüchtern, dabei gut in der Schule - Artur kräftig
und voller Selbstbewusstsein, doch mit der Schule hat er kaum etwas am
Hut.
Als die beiden die Tochter des ortsansässigen Lehrers der
Mädchenschule kennenlernen, ist gleich klar, dass Luise, genannt Isi,
bestens zu ihnen passt. Dreist und unerschrocken trotzt sie den widrigen
häuslichen Verhältnissen, ebenso wie Artur. Nur Carl hat zu seinem
Vater ein liebevolles Verhältnis.
"Männer wie ihr Vater regierten Thorn, sie regierten
Preußen, das Deutsche Reich, die ganze Welt. Sie bestimmten die Regeln,
die Religion, die Politik, verfälschten Tatsachen, machten Karriere, und
wenn gar nichts mehr half, begannen sie Kriege und stürzten die Welt
ins Chaos..." (S. 415)
Artur und Isi überbieten sich in ihren verrückten Ideen, und Carl,
eher erschrocken denn überzeugt, lässt sich ein ums andere Mal von den
beiden mitziehen. Wichtig ist es den dreien, schnellstmöglich viel Geld
zu verdienen, um eines Tages auf eigenen Füßen zu stehen.
Die Ereignisse um das Erwachsenwerden der drei Jugendlichen wird aus
der Ich-Perspektive von Carl erzählt. Dabei dominiert bereits in der
vermeintlich schönen Jugendzeit ein oftmals melancholischer Ton. Die
armseligen Lebensbedingungen, die Dominanz des Militärs im Stadtbild,
die Vergeblichkeit von Lebensträumen, der Standesdünkel, der Judenhass,
der selbstherrliche und willkürliche Umgang der Mächtigen (ob nun
Gutsherr, Gendarmeriekommandant oder tyrannischer Vater) mit den
Schwächeren oder schlechter Gestellten - all dies erlebt der Leser
emotional dicht am Geschehen mit.
Glücklicherweise retten schlitzohrige Aktionen und die freche
Dreistigkeit der drei Hauptcharaktere die Erzählung vor zu viel Schwere.
Mit Beginn des Krieges allerdings wird der Ton ernster, und fortan wird
das Geschehen abwechselnd aus der Perspektive der drei nun getrennt
lebenden Freunde erzählt. Jeder der drei kämpft mit schweren Verlusten
und letztlich auch einem Gefühl der Schuld, was angesichts der
Ereignisse wohl unvermeidlich ist. Eine harte, brutale Art, erwachsen zu
werden.
Ich habe bereits mehrere Bücher von Andreas Izquierdo gelesen, und so
unterschiedlich die Themen auch waren, eines hat sie geeint: der Faktor
'Menschlichkeit'. Auch in diesem historischen Roman, dem eine
akribische und detaillierte Recherche attestiert werden muss, stehen die
Charaktere im Vordergrund. Durch seine einfühlsame Art zu schreiben,
schafft Izquierdo einen emotional dichten Zugang zu seinen Figuren, so
dass der Leser zwangsläufig mitdenkt, mitempfindet, mitleidet.
Dies war für mich nicht immer leicht zu ertragen. Wer
Ungerechtigkeiten, Willkür und Menschenverachtung nicht gut aushält, der
sei hiermit gewarnt. Immer wieder musste ich das Buch zwischendurch zur
Seite legen, um Wut und Rachegelüste runterkochen zu lassen, bevor ich
weiterlesen konnte. Gleichzeitig ist es genau das, was den Roman zu
etwas Besonderem macht.
Kriegsgräuel sind furchtbar, schon allein, wenn
man darüber liest. Wenn man aber wie hier, daran auch emotional
beteiligt ist, stehen diese Gräuel in ihrer ganzen Entsetzlichkeit vor
einem und lassen den Leser an den monströsen Geschehnissen geradezu
teilhaben.
"...und der Tod begegnete mir allenfalls als friedliches
weißes Kruzifix auf einem sonnenbeschienenen Friedhof. Doch unter dieser
Erde lagen das zerrissene Fleisch, die gebrochenen Knochen und
zerstörten Seelen. Unter dem Heldenkreuz verfaulte eine ganze
Generation, deren Hoffnungen und sprühender Optimismus von alten Männern
zu Angst, Ekel und Entsetzen verwandelt worden waren." (S. 484)
Der Blick auf die damaligen Ereignisse ist ungeschönt und
detailliert, und die damit verbundenen Traumata geradezu greifbar. Das
Ende - es kann kein Happy End sein, das würde nicht passen. Aber doch
bietet es einen kleinen hoffnungsvollen Ausblick, eine Möglickeit des
Weiterlebens, trotz alledem.
Und wie der Autor verriet: es wird einen zweiten Teil geben,
frühestens im Herbst 2021 - die Geschichte ist noch nicht zu Ende. Sehr
schön. Denn Carl, Artur und Isi würde ich sehr gerne nocht einmal
begegnen...
© Parden
Bereits im Blog vorgestellte Romane von Andreas Izquierdo:
Andreas Izquierdo, geboren 1968, ist Schriftsteller und Drehbuchautor.
Er veröffentlichte u. a. den Roman ›König von Albanien‹ (2007), der mit
dem Sir- Walter-Scott-Preis für den besten historischen Roman des Jahres
ausgezeichnet wurde, sowie den Roman ›Apocalypsia‹ (2010), der den
Lovelybooks-Leserpreis in Silber für das beste Buch 2010 erhielt und zum
Buch des Jahres bei Vorablesen.de gewählt wurde. Bei DuMont erschienen
von ihm ›Das Glücksbüro‹ (2013) und der SPIEGEL-Bestseller ›Der Club der
Traumtänzer‹ (2014). Zuletzt veröffentlichte er die Romane ›Romeo &
Romy‹ (2017) und ›Fräulein Hedy träumt vom Fliegen‹ (2018). Andreas
Izquierdo lebt in Köln. (Quelle: Dumont Buchverlag)
Das war sicherlich ein wichtiges Buch. Die kurzen Zitate stellen das Vordergründige sehr prägnant dar.
AntwortenLöschenViele Grüße, Uwe
Danke dir! :)
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