Freitag, 10. Juli 2020

Mácha, Karel Hynek: Mai

"Es war spät Abend – erster Mai – abends der Mai war Liebeszeit." Mit diesen Worten beginnt das Kurzepos über Liebe und Tod des tschechischen Romantikers Karel Hynek Mácha (1810–1836). Ein Räuberhauptmann wird hingerichtet, weil er die Verführung seiner Geliebten gerächt hat. In eindrucksvollen Bildern verabschiedet er sich von der Erde. 

Das Kurzepos Mai ist nicht nur eines der berührendsten Werke der Romantik, es diente auch wegen seines avantgardistischen Bilderreichtums den tschechischen Surrealisten als Vorbild und stellt bis heute ein Fundament der tschechischen Dichtung dar.




  • Gebundene Ausgabe: 160 Seiten
  • Verlag: Ketos; Auflage: 1 (20. März 2020)
  • Sprache: Deutsch
  • Übersetzung: Ondřej Cikán
  • ISBN-10: 3903124095
  • ISBN-13: 978-3903124097
  • Originaltitel: Máj (1836)



Manchmal reitet mich ja der Teufel. Als ich dieses Buch, dessen Cover mich irgendwie an ein liebloses Schulbuch erinnert, bei Lovelybooks entdeckte, war ich mir nicht sicher, ob ich mich für die anstehende Leserunde bewerben sollte. Der Übersetzer Ondřej Cikán sollte die Runde leiten und wollte auf Fragen Rede und Antwort stehen. Tschechische Literatur? Wenn man den in Prag geborenen Kafka nicht dazu zählen will, hatte ich bis dato meines Erachtens keine Berührung damit. Und nun gleich ein lyrisches Werk? Ondřej Cikán bezeichnet dieses Epos aus verschiedenen Gründen immerhin als tschechisches Nationalgedicht. Ich wagte letztlich den Schritt. Ob er sich gelohnt hat? Lest selbst:











TSCHECHISCHES NATIONALGEDICHT...


Karel Hynek Mácha Statue, Prag
Nun ja, vielleicht ist 'Nationalgedicht' etwas übertrieben, aber lt. Klappentext und wiederholter Versicherung des Übersetzers kann in Tschechien so gut wie jeder Passagen des MAI auswendig. Das Gedicht gilt wohl zumindest als wichtigstes Werk der tschechischen Romantik. Karel Hynek Mácha, der gerade einmal 25 Jahre alt wurde, schrieb dieses 'Romantische Liebesepos' im Jahr 1836. Bis heute zählt dieses Gedicht zur Schullektüre, dient aber wohl auch nach wie vor als Inspirationsquelle der tschechischen Literatur. Dies entnahm ich dem sehr ausführlichen Nachwort, das immerhin etwa ein Drittel des Buchumfangs ausmacht.

Gedichte. Wie liest man ein Gedicht richtig? Dazu noch in einer Leserunde mit einem sehr präsenten Übersetzer? Und wie schreibt man anschließend auch noch eine angemessene Rezension? Gar nicht so einfach.

Gelesen habe ich das Epos letztendlich dreimal, beim letzten Mal habe ich es mir dann auch noch zeitgleich vom Übersetzer vorlesen lassen, wodurch es noch einmal einen anderen Charakter bekam - z.B. durch das Lesen über das Zeilenende hinaus:






Doch worum geht es in dem Gedicht eigentlich? Dies verrät der obige Klappentext im Grunde ganz gut.

Ich kann nicht behaupten, wirklich alle Stellen verstanden zu haben, aber das haben Gedichte zuweilen so an sich, so meine Erfahrung. Dies mag auch an mir liegen und meiner fehlenden Vorstellungskraft, bestimmte Bilder betreffend. Was mich allerdings verwirrt hat, war der Untertitel: 'Romantisches Liebesepo's. Romantisch ist durchaus doppeldeutig und hier im Sinne der kulturgeschichtlichen Epoche 'Romantik' gemeint. Aber ein Liebesepos war es für mich dennoch nicht, sondern vielmehr ein leises Drama voller intensiver Bilder.

Hier geht es vor allem um die letzten Stunden des Räuberhauptmanns vor seiner Hinrichtung, um seine düsteren Gedanken und Erinnerungen - die Tat geschah aus Eifersucht, Wilhelms große Liebe Jarmila wurde von einem anderen verführt, was der Räuberhauptmann nicht ertrug. Aber außer einem kurzen Verweis auf den Hintergrund der Tat spielte hier für mich die Liebe selbst tatsächlich keine große Rolle.

Interessanterweise betonte der Übersetzer in der Leserunde, dass das Werk in Tschechien unbedingt als Liebesepos wahrgenommen wird. Bis heute treffen sich lt. Ondřej Cikán die Verliebten am 1. Mai unter der Mácha-Statue in Prag und lesen sich Teile des Epos gegenseitig vor, weinen dabei z.T. sogar gemeinsam. Da ich nicht Teil dieser Tradition bin, nehme ich das so zwar zur Kenntnis, kann dies aber nicht nachempfinden - und bleibe bei meinem Eindruck, dass es sich hier v.a. um ein leises Drama handelt.

Abgesehen von dieser Irritation konnte mich das Epos und v.a. dessen Übersetzung ins Deutsche wirklich beeindrucken. Im Grunde handelt es sich hierbei um eine Mischung aus Lyrik (Lieder) und Epos (Gedicht mit Handlung). Auch dies lernte ich durch Hinweise des Übersetzers. 

Düster ist dieses Werk, hoffnungslos gar durch das Nichts, das einen nach Ansicht des Räuberhauptmanns Wilhelm nach dem Tod erwartet. Und dem entgegen setzt Karel Hynek Mácha die Schönheiten der Natur, in Bildern, die vor meinen Augen Gestalt annahmen und die stellenweise geradezu eine Sehnsucht heraufbeschworen. Gerade die Passagen mit den Naturbeschreibungen konnten mich hier sehr begeistern - so z.B. auf S. 69:


Es schläft der See geschwungen
Mitten im Tal, das blüht, ganz weiß.
Wie sich das Blau ans Ufer schmiegt -
Um weiter grün dann aufzublühn,
Und immer heller wird das Grün,
Bis es als bleicher Schein verfliegt.
Und Höfe stehn im weiten Kreis,
Das Ufer dann und wann zu säumen.
Im See der weißen Vögel Chor,
Der schnellen Boote helles Schäumen,
Bis nach den dunklen Bergen vor
Der weite See sich neigt.
Weiße Höfe, der Boote Wipfel -
Turm - Stadt - der weißen Vögel Funken -
Die Hügelkette - dunkle Gipfel -
Das alles ist im See versunken,
Als Spiegelbild gezeigt.


Was mir gefallen hat, war die Tatsache, dass das Gedicht nicht einem bestimmten Versmaß unterworfen ist, sondern 'wild' hin und herwechselt, wie auch im Nachwort ausführlich erläutert wird. Das dadurch wechselnde Tempo in Abstimmung zur jeweiligen Handlung oder Stimmung - ein genialer Schachzug.

Sehr beeindruckt hat mich die Leistung des Übersetzers. Schon das Übersetzen von Prosa verlangt eine große Sorgfalt, ein Abwägen und Feilen von Worten und Satzstellungen. Aber Verse? Die sich dann in der 'fremden' Sprache tatsächlich reimen und trotzdem ein flüssiges Ganzes bilden? Noch dazu im wechselnden Versmaß, wie im tschechischen Original? Hut ab! Das Nachwort bietet dann noch einen kleinen Eindruck davon, wieviel Mühe tatsächlich auf den Text verwandt wurde...

Die Aufmachung des Hardcover-Buches finde ich sehr gelungen, sehr liebevoll bis ins Detail. Die Gegenüberstellung des Textes (links im Original, rechts in der Übersetzung) bietet Sprachkundigen jederzeit die Möglichkeit eines Vergleichs. Tschechisch kann ich leider kein einziges Wort, aber ich habe zwischendurch trotzdem immer mal zur linken Seite gelinst. Die Illustrationen verstärken die Düsternis des Textes noch, sind von daher passend (auch hinsichtlich der Spiegelungen des Sees oder auch der Zweisprachigkeit, wie im Nachwort geschildert), auch wenn sie meinen persönlichen Geschmack überhaupt nicht treffen. Aber über Geschmack lässt sich eben nicht streiten. 

Der lange Anhang hat mich zunächst etwas erschlagen, aber ich habe bald begriffen, dass dies noch einmal die intensive Auseinandersetzung des Übersetzers mit dem berühmten Werk verdeutlicht. Manche Passagen sind womöglich eher etwas für Studierende, da sie sehr wissenschaftlich wirken, aber den Überblick selbst fand ich auch recht interessant. 

Alles in allem eine kleine Perle, die sich zu entdecken lohnt.



© Parden








Quelle: Wikipedia

1 Kommentar:

  1. Ich mag lange Anhänge... ;)
    An der Leserunde wäre ich bestimmt mit Absicht vorbei geschrammt, wäre sie mir denn aufgefallen. Zu Unrecht, wie man nun bei dir, liebe Anne, lesen kann.

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