Samstag, 6. Juni 2020

Stephan, Carmen: Mal Aria

Am Abend lief Carmen noch um die Wette am Strand – in der Nacht weckt sie ein kalter Schmerz. Es ist der letzte Urlaubstag ihrer Reise durch den Amazonas. Von einem Tag auf den anderen kämpft die junge Frau um ihr Leben. Kein Arzt weiß ihr zu helfen, sieht das Naheliegende. In der scheinbaren Sicherheit eines Krankenhauses geschieht das Unvorstellbare – und nur einer weiß alles: der Moskito, der Carmen gestochen hat und von da an, durch das Blut mit ihr verbunden, zur Stimme der Natur, zum sprachmächtigen Erzähler wird. Immer tiefer verbindet er sich mit Carmen, immer tiefer zieht er den Leser in ihre Geschichte – eine Parabel über die Unkontrollierbarkeit des Lebens, über die großen Fragen des Menschseins.





  • Gebundene Ausgabe: 208 Seiten
  • Verlag: S. FISCHER; Auflage: 3 (23. August 2012)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3100751418
  • ISBN-13: 978-3100751416




Dieser Roman sprach mich aufgrund des auffälligen Covers und des merkwürdigen Titels an. Neugierig geworden, las ich den Klappentext. Und musste das Buch lesen... Eine Geschichte über Leben und Tod. Erzählt von einem Moskito. Wenn das nichts Besonderes ist?












DER EWIGE KREISLAUF...


Moskito (Quelle: Pixabay)
Ich habe ja schon die verrücktesten Perspektiven in Büchern erlebt - aber aus der Sicht einer Mücke, genauer: einer Anopheles, habe ich noch nie etwas gelesen. Als Überträgerin der Malaria hat sie Carmen durch einen einzigen Stich die gefährlichen Plasmodien in ihren Organismus geschleust. Nun übermannt die Mücke aber das schlechte Gewissen, so dass sie Carmen fortan begleitet und beobachtet, was geschieht. Die Mücke sieht sich selbst als Opfer der winzigen Einzeller und Carmen ebenso - dieses Schicksal verbindet.

Rein sachlich gesagt, präsentiert Carmen Stephan hier in ungewöhnlicher Perspektive viel Hintergrundwissen zu der gefährlichen Erkrankung, über die inzwischen zwar viel bekannt ist, die aber immer noch nicht wirklich bekämpft werden kann.

Der Moskito berichtet von dem dramatischen Krankheitsverlauf Carmens, die es mit immer neuen Ärzten versucht, die jedoch nur nach Wahrscheinlichkeiten urteilen. In Brasilien grassiert das Dengue-Fieber, also geht man davon aus, dass sich Carmen damit angesteckt hat. Auf die unwahrscheinlichere Variante Malaria kommt zunächst niemand, so dass die Plasmodien ihr Unheil anrichten können.

Der Moskito ist historisch bewandert, durch das Teilen des Blutes auch mit Carmens Gedanken- und Gefühlswelt eng verbunden und zudem philosophisch veranlagt. So bekommt der Leser hier nicht nur den Verlauf der Krankheit präsentiert, sofern sie nicht rechtzeitig behandelt wird, und erfährt auch einiges über die medizinische Forschungsgeschichte zu Malaria (italienisch: mala aria = schlechte Luft, Böses aus der Luft), sondern bekommt auch einen mitunter recht unangenehmen Spiegel vorgehalten. Die Mücke stellt einige Aspekte des Verhaltens der Menschen sehr in Frage.

Der ewige Kreislauf der Malaria - fast schon muss man die Raffinesse der einzelligen Plasmodien bewundern, die sich nicht nur etliche Male in ihrer Gestalt verändert, sondern die sich auch so gut anpassen, dass sich alle bisherigen Mittel letztlich gegen die richten, die es schützen sollte: die Menschen. Die Einzeller schaffen es beispielsweise auch, dass sich der Körpergeruch des Menschen derart verändert, dass die Mücken sich unfehlbar auf ihn stürzen, um das vom Erreger befallene Blut aufzunehmen und den Kreislauf der Malaria von neuem beginnen zu lassen.

Der Schreibstil ist gehoben, zuweilen fast schon poetisch, manchmal erscheinen die Sätze unzusammenhängend, passend jedoch zu den wirren Fieberträumen der Kranken. Alles in allem eine geschickte Wahl der Erzählperspektive, die gleichzeitig distanziert und doch emotional nah scheint.

Wahrlich ein besonderes Buch!


© Parden











Carmen Stephan, geboren 1974, wohnt in Genf. Sie lebte als Autorin für mehrere Jahre in Rio de Janeiro, wo sie zufällig auf die Geschichte von Orson Welles und dem Fischer stieß, die ihr neuer Roman »It's all true« erzählt. 2005 erschien der Geschichtenband »Brasília Stories«. Für ihren ersten Roman »Mal Aria« wurde sie mit dem Literaturpreis der Jürgen-Ponto-Stiftung 2012 und dem Debütpreis des Buddenbrookhauses 2013 ausgezeichnet.

Quelle: Fischerverlage


3 Kommentare:

  1. Es erstaunt immer wieder, auf was für Projekte Autorinnen und Autoren kommen.
    Liebe Grüße aus NZ.

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  2. Der Kommentar wurde von einem Blog-Administrator entfernt.

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