Sonntag, 21. Juni 2020

Enright, Anne: Die Schauspielerin

Kann man seine Mutter wirklich kennen? Norah blickt zurück auf das Leben ihrer Mutter, der einst gefeierten Schauspielerin Katherine O’Dell, die es von den irischen Dorfbühnen bis nach Hollywood geschafft hat. Doch mit zunehmendem Alter verblasste ihr Stern, sie betäubte sich mit Alkohol und Tabletten, bis es eines Tages zu einem bizarren Skandal kam: Ohne Vorwarnung schoss sie auf einen Filmproduzenten. Jeder Augenblick in Katherines Leben war große Geste, und Norah war ihr Publikum. Wer aber war diese Frau, die alles für die Kunst gab, deren Beziehungen kalt waren – und warum erzählte sie Norah nie, wer ihr Vater ist? 







  • Gebundene Ausgabe: 304 Seiten
  • Verlag: Penguin Verlag (23. März 2020)
  • Sprache: Deutsch
  • Übersetzung: Eva Bonné
  • ISBN-10: 3328601341
  • ISBN-13: 978-3328601340
  • Originaltitel: Actress



Ein weiterer Roman, den ich im Rahmen einer Leserunde bei Whatchareadin lesen durfte - auf diesem Wege noch einmal ein herzliches Dankeschön an den Verlag und die Organisatoren für die Bereitstellung des Leseexemplars! Um es gleich vorwegzunehmen: das Buch war eine nicht zu leugnende Anstrengung. Ob sich diese gelohnt hat? Das führe ich im Folgenden aus...
















 EINE LESEANSTRENGUNG...


Quelle: Pixabay
Die fiktive Biografie einer nichtexistenten Schauspielerin (geboren 1928 in London, Karriere als Theaterschauspielerin in Irland und als Filmschauspielerin in Hollywood), eine erfundene Mutter-Tochter-Geschichte - der Sinn dieser 'unechten' Lebensgeschichten erschloss sich mir ehrlich gesagt bis zum Schluss nicht. Gut, die Suche nach Anerkennung wohnt vermutlich jeder Mutter-Tochter-Beziehung inne, aber Romane dazu gibt es schon etliche. 'Das Lächeln meiner Mutter' von Delphine de Vigan ist mir da beispielsweise lebhaft in Erinnerung.

Erzählt wird 'Die Schauspielerin' aus der Sicht von Norah, der Tochter von Katherine O'Dell, die, veranlasst durch eine Interviewanfrage, beginnt, die Geschichte ihrer Mutter niederzuschreiben, die gleichzeitig auch eine Erzählung von Mutter und Tochter ist. Erinnerungsfetzen und Flashbacks werden in aller Hast und in einem chronologischen Chaos aneinandergereiht, zusammenhanglos oft, verwirrend und überladen.

Der Leser wird vor allem in den ersten zwei Dritteln des Romans mit einer Vielzahl an Personen, Handlungen und Umständen bombardiert, die er spätestens beim Umblättern gleich wieder aus dem Blick zu verlieren droht. Der Inhalt von Norahs Erinnerungen wird oftmals nur angedeutet, die zahllosen Zeitsprünge fordern die Konzentration zusätzlich, und der Strom der vorbeidefilierenden Personen, die alle irgendwie immer nur posieren und eine Rolle spielen, reißt einfach nicht ab.  

Würde sich die Erzählung auf das Mutter-Tochter-Verhältnis fokussieren und das Leben der Schauspielerin nur insoweit streifen, wie es für eben diese Beziehung von Bedeutung war - ich vermute, ich wäre begeistert gewesen. Denn schreiben kann Anne Enright, das wird in vielen Passagen deutlich: präzise und gestochen scharf. Hier aber bekommt man die Puzzleteile eines riesigen Bildes um die Ohren gehauen, ohne dass ich in der Lage gewesen wäre, mich an einzelnen Details zu erfreuen. Viel zu überladen, zu hektisch, zu nüchtern. 

Die Überflutung mit Charakteren, die unabhängig von ihrer Bedeutung gleichberechtigt nebeneinderstehen, dazu die zahllosen Themen, die von der Schauspielerei, dem Theater, der (blutigen) Geschichte Irlands, einer Vatersuche, dem Blick hinter die Kulissen Hollywoods, bis hin zur Literatur u.v.m. reichen - all dies hat mich über weite Strecken einfach nur überfordert. Überfordert, ungeduldig werden lassen und ehrlich gesagt phasenweise einfach auch gelangweilt. Mich ermüdete diese Art des Erzählens, auch wenn mir einzelne Sätze bedeutungsvoll erschienen und vom Schreibstil her durchaus gefielen.           

Die Ich-Erzählerin Norah erzählt hier mit viel Abstand, distanziert und reflektiert. Und dadurch wenig emotional, wodurch die Personen auf Distanz blieben. Nur selten hatte ich zudem das Gefühl, überhaupt die 'echten' Personen vor Augen zu bekommen - und wenn das Empfinden einmal kurzzeitig aufkam, wurde es gleich darauf wieder weggewischt. Die Ambivalenz der Rollen spiegelt sich in der Ambivalenz der Erinnerungen und der Darstellung von Fakten und Meinungen - wodurch ich oftmals nicht entscheiden konnte, was ich nun eigentlich glauben sollte. Norah fungiert hier als absolut unzuverlässige Erzählerin, was ich per se schon anstrengend finde.

Die letzten 60 Seiten des Romans versöhnten mich dann ein wenig. Dieser letzte Abschnitt war deutlich ruhiger und weniger sprunghaft, so dass ich die Schreibkunst von Anne Enright endlich genießen und mich von der melancholischen Stimmung durch die letzten Zeilen gleiten lassen konnte.  

Alles in allem war dieser Roman für mich in erster Linie eine Leseanstrengung, die das Lesevergnügen deutlich überwog. Da mich aber der Schreibstil von Anne Enright faszinieren konnte, bleibe ich neugierig auf weitere Romane der Gewinnerin des Booker-Preises 2007.


© Parden









Anne Enright, 1962 in Dublin geboren, zählt zu den bedeutendsten englischsprachigen Schriftstellerinnen der Gegenwart und wurde 2015 zur ersten Laureate for Irish Fiction ernannt. »Das Familientreffen« wurde unter anderem 2007 mit dem renommierten Booker-Preis ausgezeichnet, ist in gut dreißig Sprachen übersetzt und weltweit ein Bestseller. Für »Anatomie einer Affäre« (2011) erhielt sie die Andrew Carnegie Medal for Excellence in Fiction und für »Rosaleens Fest« (2015) den Irish Novel of the Year Prize.

(Quelle: Verlagsgruppe Randomhouse)


2 Kommentare:

  1. "dazu die zahllosen Themen, die von der Schauspielerei, dem Theater, der (blutigen) Geschichte Irlands, einer Vatersuche, dem Blick hinter die Kulissen Hollywoods, bis hin zur Literatur u.v.m. reichen" - Eigentlich klingt das ganz interessant...

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