Dienstag, 26. Juli 2016

Vossius, Corinna: Seh' ich aus, als hätt' ich sonst nichts zu tun?


Als Helga ihre verwitwete Tante Beate »erbt«, die ­niemand sonst aus der Familie haben will, bleibt auf der norwegischen Insel Setersholm nichts, wie es war. Denn Beate hat ihren eigenen Kopf. In dem geht es manchmal etwas durcheinander, und sie ist partout nicht davon abzubringen, Hühner aus einer Hühnerfarm retten zu wollen und mit selbstgestrickten Mützen und Schals zu beglücken. Doch als es darauf ankommt, ist es Tante Beate, die Helga zeigt, was im Leben wirklich zählt und wann es sich zu kämpfen lohnt.

(Klappentext Verlagsgruppe Droemer Knaur)

  • Broschiert: 288 Seiten
  • Verlag: Knaur TB (3. August 2015)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3426517434
  • ISBN-13: 978-3426517437
















LEBENSTRÄUME?




Helga wächst in einem kleinen Kaff an der ehemaligen ostdeutschen Grenze auf - der Vater betreibt eine KfZ-Werkstatt, in der Helga gelegentlich aushilft, die Mutter arbeitet in einer Kantine und hat danach keine Lust mehr aufs Kochen, und Helgas Schwester, etwas älter als sie und hübscher obendrein, angelt sich einen Mann nach dem anderen, während Helga ein einsames, sehnsuchtsvolles Dasein fristet. Doch dann taucht plötzlich Trond auf - ein durchreisender Norweger, der mit seinem verrosteten R4 eine Zwangspause in der Werkstatt von Helgas Vater einlegen muss, und da die Ersatzteile für den Wagen erst bestellt werden müssen, logiert Trond für einige Tage in dem kleinen staubigen Zimmer über der Werkstatt. Helga und der Norweger kommen sich näher, heimlich, und in dem jungen Mädchen explodieren die Gefühle.

Eigentlich ist Trond auf dem Weg nach Polen, auf der Suche nach einer Ehefrau - denn auf der einsamen kleinen Insel vor der norwegischen Küste gibt es keine Einheimische, die es mit ihm aushalten würde. Doch als sich Helga nach erfolgreicher Reparatur des R4 mit gepackter Tasche kurzentschlossen auf den Beifahrersitz setzt, als Trond weiterreisen will, zuckt dieser ergeben mit den Schultern und wendet. Helgas Leben bekommt eine neue Richtung - weg aus dem kleinen Kaff, in dem das Leben vorgezeichnet scheint und hin zu ihrer großen Liebe nach Norwegen.

Doch das Leben hält oft nicht, was man sich davon verspricht. Die kleine (fiktive) Insel Setersholm bietet ein hartes, tristes Dasein, geprägt von rauem Klima und noch raueren und kleingeistigen Bewohnern - und das raue Klima herrscht bald auch im winzigen Häuschen von Helga und Trond. Der Mann lieblos und egoistisch, ein tagträumender Nichtsnutz, der die Enttäuschungen des Daseins mit viel Alkohol herunterspült - die ganze Arbeit seiner immer neuen Projekte dagegen bleibt an Helga hängen. Als sich selbst der Kinderwunsch nicht erfüllt, hört Helga auf, an Träume zu glauben, sondern funktioniert nur noch, tagein, tagaus. Dreimal fährt sie noch in ihr Heimatdorf: einmal zur Beerdigung ihres Vaters, dann zu der ihrer Mutter und schießlich zu der ihres Onkels Karl, der früher immer dafür gesorgt hatte, dass es auch Lösungen zu den Problemen gab, die das Leben bereithielt. Doch nun stellt sich heraus, dass er Helga selbst ein Problem hinterlässt: seine Frau, Tante Beate.

Tante Beate kann nämlich aufgrund einer fortschreitenden Demenz nicht mehr alleine leben, und für ein gutes Heim fehlt einfach das Geld. Notgedrungen nimmt Helga ihre Tante mit nach Setersholm und sorgt damit dafür, dass das Leben dort gehörig auf den Kopf gestellt wird. Denn Tante Beate hat ihren eigenen Kopf, und von ihren oftmals recht skurrilen Ideen lässt sie sich einfach nicht abbringen. Hühner aus einer Hühnerfarm zu retten, Schals und Mützen für das Federvieh zu stricken und frühmorgens in dem eisigen Meer ein paar Bahnen zu schwimmen sind nur einige der Einfälle, die Helga das Leben zusätzlich erschweren. Doch ganz allmählich bringt die Tante die junge Frau dazu, über ihr eigenes Leben nachzudenken. Und sie begreift allmählich, wofür es sich zu kämpfen lohnt...

Kein Glanzbild Norwegens erwartet den Leser hier, und ebenso kein heiterer Urlaubsroman. Doch ein angenehm zu lesender, von Humor geprägter und gleichzeitig nachdenklicher Roman, der eigensinnige und doch sympathische Charaktere bereithält - Alltagsheldinnen, die dem Leben Möglichkeiten abtrotzen, wo es eigentlich keine gibt. Die Geschichte ist amüsant und interessant aufgebaut, der Schreibstil eingängig und flüssig zu lesen - ein Buch für einen ruhigen Nachmittag.

In ihrem Debüt lässt Corinna Vossius, die als Deutsche seit 1999 in Norwegen lebt, eigene Erfahrungen einfließen - nicht nur die als Auswanderin in Norwegen, sondern auch die, die sie als leitende Ärztin im Umgang mit alten Menschen mit Demenzerkrankungen gemacht hat. Dies trägt sicher dazu bei, dass das Geschehen im Roman bei aller gelegentlichen Skurrilität glaubhaft und authentisch wirkt.

Obwohl ich aufgrund von Cover und Klappentext etwas Heitereres etwa im Stile der Bücher von Dora Heldt erwartet hatte, hat mich das Buch nicht enttäuscht. Die oftmals etwas düstere Note, die hier mitschwingt, verleiht der Erzählung in meinen Augen mehr Tiefe ohne zu dramatisieren - eine Mischung, die mir zugesagt hat.

Insgesamt sehr angenehm zu lesen und einmal mehr eine Ermutigung, dass es auch auf der Schattenseite des Lebens lohnt, für seine Träume zu kämpfen...



© Parden












Die Verlagsgruppe Droemer Knaur schreibt über die Autorin:

Corinna Vossius, 1963 in Darmstadt geboren, lebt seit 1999 mit ihrem Mann und den zwei Töchtern in Norwegen. Zurzeit arbeitet sie als leitende Ärztin des städtischen Gesundheitswesens in Stavanger und hat eine Forschungsstelle zum Thema Demenzerkrankungen. Ihr Debütroman "Seh‘ ich aus, als hätt‘ ich sonst nichts zu tun" basiert auf ihren eigenen Erfahrungen als Auswanderin in Norwegen und im Umgang mit alten Menschen.

übernommen von der Verlagsgruppe Droemer Knaur

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