Freitag, 22. Juli 2016

Bayer, Thommie: Weißer Zug nach Süden (Hörbuch)


Chiara stammt aus Italien. Warum sie nach Deutschland gekommen ist, geht niemanden etwas an. Jetzt führt sie das Leben, das ihre Freundin Leonie ihr hinterlassen hat: Sie wohnt in deren Haus auf dem Hügel und hat auch ihren Job übernommen. Sie putzt. Es gefällt ihr, in fremde Wohnungen zu schauen und die Dinge in Ordnung zu bringen. Die Wohnung von Herrn Vorden übt dabei eine besondere Anziehung auf sie aus. Und auch er scheint eine tiefere Verbindung zu ihr zu haben denn jede Woche findet Chiara auf seinem Schreibtisch einen Stapel Blätter mit einer Geschichte ...

(Klappentext Audio Media Verlag)

  • Audio CD: 3 Seiten (ungekürzte Lesung)
  • Verlag: audio media verlag GmbH; Auflage: 1. (18. Februar 2015)
  • Sprache: Deutsch
  • Sprecherin:  Petra Schmidt-Schaller
  • ISBN-10: 3868044345
  • ISBN-13: 978-3868044348
















VON LEBENSENTWÜRFEN UND ENTTÄUSCHUNGEN...



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Der kurze Roman erzählt von Chiara, einer jungen Italienerin, die aus ihrem Heimatdorf Castelnuovo, unweit von Rom, nach Deutschland geflohen ist. Den Grund dafür erfährt der Leser zunächst nicht, aber Chiara hat die Möglichkeit, in das Leben ihrer Freundin Leonie zu schlüpfen, in deren Haus zu wohnen und deren diverse Jobs zu übernehmen, da Leonie für einige Zeit nach New York geht. Chiara wohnt in dem kleinen Häuschen ihrer Freundin, putzt in den zehn Wohnungen, die Leonie zuvor geputzt hat und ist erst einmal zufrieden - sie mag es, die fremden Wohnungen zu betrachten, Rückschlüsse auf die oftmals nicht anwesenden Besitzer zu ziehen und die Dinge in Ordnung zu bringen.

Eine der Wohnungen gefällt ihr besonders, dort fühlt sie sich wie zu Hause, wie angekommen. Die Wohnung des ihr unbekannten Herrn Vorden ist geschmackvoll und kultiviert eingerichtet und entspricht genau ihrem Geschmack. Jedes Mal, wenn Chiara dort geputzt hat, schaut sie dort aus dem Fenster dem weißen Zug nach, der gen Süden fährt, und steigt am Ende in die Badewanne voll duftenden Schaums und fühlt sich wohl, gestattet sich für eine kurze Zeit das Gefühl, tatsächlich dort zu Hause zu sein. Als Chiara eines Tages die beschriebenen Blätter zur Hand nimmt, die jede Woche aufs Neue auf dem Schreibtisch des Herrn Vorden liegen, beginnt sie sich zu fragen, ob dieser Mann ihre Gedanken lesen kann. Seine Geschichten, die sie fortan jede Woche liest, verschaffen ihr das Gefühl, dass der Mann sie und ihr Leben kennt. Aber wie kann das sein?

144 Seiten hat das Buch lediglich, das ungekürzte Hörbuch entsprechend nur eine Länge von 3h 35 Min. Petra Schmidt-Schaller liest die sehr ruhig angelegte Geschichte in einem angemessenen Tempo und in einer unaufgeregten und damit passenden Modulation. Und was ich nicht für möglich gehalten hätte: die Erzählung ist derart kompakt, vielschichtig und raffiniert gestrickt, dass ich am Ende das Gefühl hatte, einen deutlich längeren Roman gelesen zu haben. Denn Thommie Bayer gelingt es, seine Hauptfigur derart deutlich zu zeichnen, die Betrachtung wie unter einer Lupe zu fokussieren, dass ich Chiara letztlich beinahe wirklich zu kennen glaubte - und auch die anderen Charaktere schälen sich zunehmend plastischer heraus, obschon sie größtenteils gar nicht wirklich auftauchen.

Und vieles packt der Autor in die kleine Erzählung hinein, ohne dass diese auf irgendeine Art überfrachtet wirkt. Chiara, die Ordnung in ihr Leben bringen will, die in ein fremdes Leben schlüpft, übergangsweise, die Einblicke in anderer Leute Leben erhält und sich dadurch auch viele Gedanken über sich selbst macht, die Sehnsucht nach einem Ziel im Leben, nach einer Heimat, nach einem Ankommen, nach einem Neuanfang... Und dazu die Geschichen des Herrn Vorden, die geschickt in die eigentliche Erzählung eingeflochten sind und Fantasie und Wirklichkeit gekonnt miteinander verknüpfen. Thommie Bayer erzählt ebenso souverän wie empathisch von den kleinen Dingen des Alltags, von Lebensentwürfen wie von Enttäuschungen, und das alles auf eine sehr ansprechende poetisch leichte Art, gewürzt mit einigen unaufdringlichen erotischen Einschüben.

Mich konnte diese kleine Erzählung wirklich positiv überraschen, und sicher wird dies nicht mein letztes Buch von Thommie Bayer gewesen sein. Der hält sicher noch so manche Entdeckung parat...


© Parden









Der Piper Verlag schreibt über den Autor:

Thommie Bayer, 1953 in Esslingen geboren, studierte Malerei und war Liedermacher, bevor er 1984 begann, Stories, Gedichte und Romane zu schreiben. Neben anderen erschienen von ihm »Die gefährliche Frau«, »Singvogel«, der für den Deutschen Buchpreis nominierte Roman »Eine kurze Geschichte vom Glück« und zuletzt »Weißer Zug nach Süden«.

übernommen vom Piper Verlag

2 Kommentare:

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