Donnerstag, 14. Juli 2016

Bazyar, Shida: Nachts ist es leise in Teheran.



Manchmal „schiebt“ man nicht nur Bücher vor sich her, auch die Rezensionen müssen gegebenenfalls etwas warten. So war das auch bei diesem Buch, welches ich während der Buchmesse in Leipzig 2016 am Stand von Kiepenheuer & Witsch erhielt. NACHTS IST ES LEISE IN TEHERAN. So heißt das Buch der 1988 geborenen Shida Bazyar.

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Vierzig Jahre umspannt diese ungewöhnliche Familienchronik, in der im Abstand von jeweils 10 Jahren Vater, Mutter, Tochter, Sohn zu Wort kommen. Das Ganze beginnt in Teheran 1979. Es herrscht eine revolutionäre Stimmung, denn der Schah musste abdanken. Der erste Erzähler ist Behsad, ein kommunistischer junger Revolutionär. Seine Freunde und er wollen eine neue, eine fortschrittliche Ordnung. Doch die Macht erhält Ajatollah Chomeini, der eine Regentschaft der Geistlichkeit einführte und eine islamische Republik ausrief. Kein besonders gutes Feld für junge idealistische säkulare Revolutionäre. 

Behsad, der im Kreise dieser jungen Leute die literaturdurstige schöne Nahid findet, die Liebe seines Lebens, geht außer Landes. Chomeini, das eigentliche Symbol des Kampfes gegen die Monarchie, setzt auch Gewalt gegen anders Denkende ein. Behsad und Nahid gehen mit ihren Kindern Laleh und Morad nach Deutschland.

1989. Nahid erzählt von ihrem Leben in Deutschland. Sie haben Freunde aus der westdeutschen linken Szene, die irgendwie vom Mauerfall überrascht sind und wirken, als wüssten sie nicht mehr so richtig, wo sie stehen sollen. Sie hängen oft am Radio um Nachrichten aus der Heimat zu empfangen. Nachrichten, Nachrichten, Nachrichten. Was gibt es neues aus der Heimat? Zwei Revolutionen erlebt. Die zu Hause und nun den Mauerfall im Exil, einem Land, in das sie nicht so richtig zu gehören scheinen. Tragisch erscheint das vor allem für Nahid. Von der lernenden, lesebesessenen jungen Frau scheint nicht viel übrig geblieben zu sein. Sie kümmert sich um Familie und Mann, lernt nicht so gut Deutsch und entspricht äußerlich wohl viel dem Klischee, dass viele Menschen von Muslima haben, dabei ist sie gar keine. Die Kontakte, dies sie mit Deutschen hat beschränken sich auf wenige Personen. Bindeglied sind die noch kleinen Kinder. Arbeit? Kinder und die Wohnung. In ihr zeigt sich dem Leser das Elend des Exils. 

Zehn Jahre später. 1999. Den Faden spinnt jetzt Laleh weiter. Den Hauptteil ihrer Erzählung nimmt eine Reise mit ihrer Mutter nach Teheran ein. Das Mädchen kommt in eine für sie fremde Kultur. Sie trifft auf eine große, eine herzliche, freundliche Verwandtschaft. Laleh bringt diese neuen Erlebnisse mit ihren Kindheitserinnerungen nicht richtig zusammen. Es ist schwer für das Mädchen, inmitten der Frauen und Mädchen sich über Geheimnisse und Schönheitsrituale zu unterhalten und dabei sich auf der Straße verhüllen zu müssen. Lalehs Sprache ist ganz anders als die ihrer Eltern. Hier merkt man die offene Gesellschaft in der neuen Heimat – für Laleh hat der Begriff Exil wenig Bedeutung. Sie ist es, die feststellt, dass es tagsüber laut, in der Nacht aber leise ist in Teheran.

Schwieriger wird es für ihren Bruder Morad. Der ist weitere zehn Jahre, im Jahr 2009,  ein ziemlich lotterhafter Student, eher Feten und Bierdosen zugeneigt als dem ernsthaften Studium. Mo hat wiederum eine andere, eine schon sehr differenzierte Sicht auf seine Eltern und dazwischen steht die ältere Schwester, trennendes und bindendes Glied. Mo besteht beide nicht richtig. Mutter und Vater hören immer noch ständig Nachrichten aus dem Iran. Laleh ist „mehr“ Iran als er. Der Freund des Vaters aus Jugendtagen ist wohl umgebracht worden, Behsad hadert mit sich, dass er in der Fremde ist, weil er vermutet, immer noch gesucht zu werden.

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Qelle Verlag
Shida Bazyar hat literarisches (kreatives) Schreiben studiert, mehrfach Stipendien erhalten und vor diesem ersten Roman Kurzgeschichten und Anthologien veröffentlicht. Dass sie schreiben kann, merkt die Leserin bzw. der Leser vor allem an der sich ändernden Sprache oder besser Erzählweise, bei der die Generationen sehr gut getroffen sind. Autobiografische Züge hat der Roman wohl auch. Shida ist wie Tara, die jüngste Tochter von Behsad und Nahid, bereits in Deutschland geboren. Auch Shidas Eltern kamen nach der islamischen Revolution nach Europa. Insofern hat sie die hier niedergeschriebene Geschichte sicherlich in Teilen zu Hause oder bei Bekannten erlebt. Ich halte nicht nur deswegen das Buch für sehr gelungen.
Für ihren Roman erhielt sie 2016 den den Kulturförderpreis der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannover 2016.


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Am tragischsten emfand ich hier die Erzählung von Nahib. Da war nichts mehr von der studierenden, politisch interessierten, lesehungrigen Iranerin, irgendwie allein in einem fremdgebliebenem Land. Für ihre Tochter Tara ist der Iran viel weiter weg. Einige Jahre später ist sie mit ihrer Nichte unterwegs. Aber plötzlich ist der Iran wieder in aller Munde. Der Westen nähert sich an, der Gottesstaat wird offener – Ein Symbol gegen den Terror in der Region? Wenige Seiten schließen die Geschichte mit Taras Worten und doch beginnt sie von neuem. Wird sie gut? Hoffen wir, dass dies wirklich so sein wird.

Dem Verlag danke ich für dieses Exemplar, es fügt sich ganz hervorragend in mein Bücherregal ein.

Ganz aktuell ist dieser Artikel der Autorin, in welchem sie sich zu ihrem "Sicherheitsgefühl" äußert, im Angesicht der Bestrebungen des aktuellen US-Präsidenten, die Einwanderung für z.B. Iraner auszusetzen. (11.02.2017)

DNB / Kiepenheuer & Witsch / Köln 2016 / ISBN: 978-3-462-04891 / 275 S.
Leseprobe

© KaratekaDD

2 Kommentare:

  1. Das klingt ganz nach einem Buch für Dich... :)

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    1. War es ja auch. Arndt Stroscher hatte beim Verlag hinterlassen, dass es da ein Buch geben wird, welches ich unbedingt lesen sollte. Vergessen hatte ich, dass dieses erst im August oder so herauskommt. Aber ich fragte nach und im Gespräch griff die Gesprächspartnerin in ein Regal und meinte, das könnte mich interessieren, Recht hatte sie.

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