Manchmal „schiebt“ man nicht nur Bücher vor sich her, auch
die Rezensionen müssen gegebenenfalls etwas warten. So war das auch bei diesem
Buch, welches ich während der Buchmesse in Leipzig 2016 am Stand von Kiepenheuer
& Witsch erhielt. NACHTS IST ES LEISE IN TEHERAN. So heißt das Buch der
1988 geborenen Shida
Bazyar.
* * *
Vierzig Jahre umspannt diese ungewöhnliche Familienchronik,
in der im Abstand von jeweils 10 Jahren Vater, Mutter, Tochter, Sohn zu Wort
kommen. Das Ganze beginnt in Teheran
1979. Es herrscht eine revolutionäre Stimmung, denn der Schah musste
abdanken. Der erste Erzähler ist Behsad,
ein kommunistischer junger Revolutionär. Seine Freunde und er wollen eine neue,
eine fortschrittliche Ordnung. Doch die Macht erhält Ajatollah Chomeini,
der eine Regentschaft der Geistlichkeit einführte und eine islamische Republik
ausrief. Kein besonders gutes Feld für junge idealistische säkulare
Revolutionäre.
Behsad, der im
Kreise dieser jungen Leute die literaturdurstige schöne Nahid findet, die Liebe seines Lebens, geht außer Landes. Chomeini,
das eigentliche Symbol des Kampfes gegen die Monarchie, setzt auch Gewalt gegen
anders Denkende ein. Behsad und Nahid
gehen mit ihren Kindern Laleh und Morad nach Deutschland.
1989. Nahid erzählt
von ihrem Leben in Deutschland. Sie haben Freunde aus der westdeutschen linken
Szene, die irgendwie vom Mauerfall überrascht sind und wirken, als wüssten sie
nicht mehr so richtig, wo sie stehen sollen. Sie hängen oft am Radio um
Nachrichten aus der Heimat zu empfangen. Nachrichten, Nachrichten, Nachrichten.
Was gibt es neues aus der Heimat? Zwei Revolutionen erlebt. Die zu Hause und
nun den Mauerfall im Exil, einem Land, in das sie nicht so richtig zu gehören
scheinen. Tragisch erscheint das vor allem für Nahid. Von der lernenden, lesebesessenen jungen Frau scheint nicht
viel übrig geblieben zu sein. Sie kümmert sich um Familie und Mann, lernt nicht
so gut Deutsch und entspricht äußerlich wohl viel dem Klischee, dass viele
Menschen von Muslima haben, dabei ist sie gar keine. Die Kontakte, dies sie mit
Deutschen hat beschränken sich auf wenige Personen. Bindeglied sind die noch
kleinen Kinder. Arbeit? Kinder und die Wohnung. In ihr zeigt sich dem Leser das
Elend des Exils.
Zehn Jahre später. 1999.
Den Faden spinnt jetzt Laleh weiter.
Den Hauptteil ihrer Erzählung nimmt eine Reise mit ihrer Mutter nach Teheran
ein. Das Mädchen kommt in eine für sie fremde Kultur. Sie trifft auf eine
große, eine herzliche, freundliche Verwandtschaft. Laleh bringt diese neuen Erlebnisse mit ihren Kindheitserinnerungen
nicht richtig zusammen. Es ist schwer für das Mädchen, inmitten der Frauen und
Mädchen sich über Geheimnisse und Schönheitsrituale zu unterhalten und dabei
sich auf der Straße verhüllen zu müssen. Lalehs Sprache ist ganz anders als die
ihrer Eltern. Hier merkt man die offene Gesellschaft in der neuen Heimat – für
Laleh hat der Begriff Exil wenig Bedeutung. Sie ist es, die feststellt, dass es
tagsüber laut, in der Nacht aber leise ist in Teheran.
Schwieriger wird es für ihren Bruder Morad. Der ist weitere zehn Jahre, im Jahr 2009, ein ziemlich lotterhafter Student, eher Feten
und Bierdosen zugeneigt als dem ernsthaften Studium. Mo hat wiederum eine
andere, eine schon sehr differenzierte Sicht auf seine Eltern und dazwischen
steht die ältere Schwester, trennendes und bindendes Glied. Mo besteht beide
nicht richtig. Mutter und Vater hören immer noch ständig Nachrichten aus dem
Iran. Laleh ist „mehr“ Iran als er. Der
Freund des Vaters aus Jugendtagen ist wohl umgebracht worden, Behsad hadert mit sich, dass er in der
Fremde ist, weil er vermutet, immer noch gesucht zu werden.
* * *
Qelle Verlag |
Shida Bazyar hat
literarisches (kreatives) Schreiben studiert, mehrfach Stipendien erhalten und
vor diesem ersten Roman Kurzgeschichten und Anthologien veröffentlicht. Dass
sie schreiben kann, merkt die Leserin bzw. der Leser vor allem an der sich
ändernden Sprache oder besser Erzählweise, bei der die Generationen sehr gut
getroffen sind. Autobiografische Züge hat der Roman wohl auch. Shida ist wie Tara, die jüngste Tochter von Behsad und Nahid, bereits
in Deutschland geboren. Auch Shidas Eltern kamen nach der islamischen
Revolution nach Europa. Insofern hat sie die hier niedergeschriebene Geschichte
sicherlich in Teilen zu Hause oder bei Bekannten erlebt. Ich halte nicht nur deswegen
das Buch für sehr gelungen.
Für ihren Roman erhielt sie 2016 den den Kulturförderpreis der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannover 2016.
Für ihren Roman erhielt sie 2016 den den Kulturförderpreis der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannover 2016.
* * *
Am tragischsten emfand ich hier die Erzählung von Nahib. Da war nichts mehr von der studierenden, politisch interessierten, lesehungrigen Iranerin, irgendwie allein in einem fremdgebliebenem Land. Für ihre Tochter Tara ist der Iran
viel weiter weg. Einige Jahre später ist sie mit ihrer Nichte unterwegs. Aber
plötzlich ist der Iran wieder in aller Munde. Der Westen nähert sich an, der
Gottesstaat wird offener – Ein Symbol gegen den Terror in der Region? Wenige
Seiten schließen die Geschichte mit Taras Worten und doch beginnt sie von
neuem. Wird sie gut? Hoffen wir, dass dies wirklich so sein wird.
Dem Verlag danke ich für dieses Exemplar, es fügt sich ganz hervorragend in mein Bücherregal ein.
Ganz aktuell ist dieser Artikel der Autorin, in welchem sie sich zu ihrem "Sicherheitsgefühl" äußert, im Angesicht der Bestrebungen des aktuellen US-Präsidenten, die Einwanderung für z.B. Iraner auszusetzen. (11.02.2017)
Ganz aktuell ist dieser Artikel der Autorin, in welchem sie sich zu ihrem "Sicherheitsgefühl" äußert, im Angesicht der Bestrebungen des aktuellen US-Präsidenten, die Einwanderung für z.B. Iraner auszusetzen. (11.02.2017)
© KaratekaDD
Das klingt ganz nach einem Buch für Dich... :)
AntwortenLöschenWar es ja auch. Arndt Stroscher hatte beim Verlag hinterlassen, dass es da ein Buch geben wird, welches ich unbedingt lesen sollte. Vergessen hatte ich, dass dieses erst im August oder so herauskommt. Aber ich fragte nach und im Gespräch griff die Gesprächspartnerin in ein Regal und meinte, das könnte mich interessieren, Recht hatte sie.
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