Eine Rezension von
TinSoldier
Eine Zeitreise in das Jahr 1812
Napoleon fasste sich, und mit ruhigem Ton sagte er mir folgende Worte: Die Franzosen können sich nicht über mich beklagen; um sie zu schonen, habe ich die Polen und die Deutschen geopfert. Ich habe in dem Feldzug von Moskau 300.000 Mann verloren; es waren nicht einmal 30.000 Franzosen darunter. Sie vergessen, Sire, dass Sie zu einem Deutschen sprechen!
(Gespräch zwischen Napoleon Bonaparte und dem österreichischen Kanzler Graf von Metternich vom 26. Juni 1813)
Das Jahr 1812 war ein Schicksalsjahr für Europa und für Napoleon Bonaparte gleichermassen:
Napoleon fasste sich, und mit ruhigem Ton sagte er mir folgende Worte: Die Franzosen können sich nicht über mich beklagen; um sie zu schonen, habe ich die Polen und die Deutschen geopfert. Ich habe in dem Feldzug von Moskau 300.000 Mann verloren; es waren nicht einmal 30.000 Franzosen darunter. Sie vergessen, Sire, dass Sie zu einem Deutschen sprechen!
(Gespräch zwischen Napoleon Bonaparte und dem österreichischen Kanzler Graf von Metternich vom 26. Juni 1813)
Das Jahr 1812 war ein Schicksalsjahr für Europa und für Napoleon Bonaparte gleichermassen:
Es war das Jahr, welches auf dem Höhepunkt seiner Macht den Wendepunkt brachte und in dem sein Niedergang besiegelt wurde.
Das vorliegende Buch von Adam Zamoyski erzählt diese Geschichte und lässt uns teilhaben sowohl an den politischen als auch an den militärischen, vor allem aber an den erschütternden menschlichen Tragödien dieses Jahrhundertereignisses.
Ist es ein Geschichtsbuch? Ja es ist eines, und was für eines! Es ist ein Geschichtsbuch, dass uns bildet und fesselt zugleich, spannender als jeder Aktion-Schmöker und als jeder Krimi. Und, nebenbei gesagt, auch mit wesentlich mehr Leichen.
Dabei ist das Furchtbare, das Verstörende daran, dass die Dinge, die wir da lesen müssen, nicht erfunden sind, sondern wirklich geschahen! Woran liegt es nun, dass wir in diesem Buch so nah dabei sind, dass wir oft glauben, selbst die grimmige Kälte gnadenloser Frostnächte zu spüren und mitleiden, wenn die Verwundeten schreiend auf dem Schlachtfeld liegen? Liegt es daran, dass der Autor hunderte und aberhunderte authentische Quellen befragt hat, ja, dass die Akteure dieses Dramas in ihren erhaltenen Tagebüchern und schriftlichen Aufzeichnungen mit Texten und Zeichnungen selbst "zu Wort" kommen? Erkennen wir in diesen Schilderungen den eiskalten Hauch der Geschichte, der uns anbläst? Wir lesen, teils mit Grauen, teils mit Neugier, immer aber mit Spannung, und wir erkennen:
Wir wissen so wenig, so verdammt wenig von der Welt, von der Geschichte und von der Natur des Menschen.
Und davon, dass die Realität für die Menschen vor 200 Jahren genauso Realität war, wie für uns heute.
Ist es nun ein Geschichtsbuch?
Die Antwort ist: Ja! Und zwar eines der Besten, das ich kenne!
Und ein zutiefst menschliches zugleich.
Der württembergische Leutnant Karl Kurz schrieb über das Schicksal der in Wilna zurückgebliebenen Soldaten:
"Säle und Zimmer ... lagen voll toter und Sterbender, die in der Hungerwut ihre toten Kameraden benagten... Unbeschreiblich war das Elend der armen Gefangenen in den Tagen des 11. - 15. Dezember, in welchen durch die Waffen des Feindes, durch Misshandlungen aller Art, durch Kälte und Hunger mehr als 1.000 Offiziere und 12.000 Gemeine aller Nationen zugrunde gingen. Das Massaker endete erst, als die reguläre russische Armee eintraf - die Kosaken zählten nicht zur regulären Armee..." [2]
Dieser Feldzug war ein gewaltiges Unternehmen.
Allein die "nackten" Zahlen lassen uns schwindeln:
Ca. 450.000 bis 650.000 Soldaten (je nachdem, ob man das Personal für
die Logistik mitzählt), dazu zehntausende Zivilisten (Abenteurer, Kriegsgewinnler,
Marketenderinnen, zahlreiche Familienangehörige von Offizieren und Mannschaften,
darunter selbst schwangere Frauen sowie tausende Entwurzelte jeglicher Couleur plus ca.
120.000 Pferde:
Die Wenigsten dieses menschlichen Sammelsuriums und kaum eines der Pferde sollten die Heimat
jemals wiedersehen.
Von einem westfälischen Grenadierregiment kehrte z.B. nur ein einziger, einsamer Sergeant in seine Garnison zurück!
Andere Einheiten schrieben ähnlich grausame Verlustzahlen. Wer nicht im
Gefecht einer Kugel zum Opfer fiel, erstochen, erschlagen, von Kanonenkugeln und
Kartätschengeschossen zerrissen wurde, erfror schließlich auf dem Rückmarsch, verhungerte in der Gefangenschaft oder starb an Entkräftung, Ruhr oder Typhus.
Allein in der Schlacht von Borodino fielen am 26. August 1812 an einem
einzigen Tage 75.000 Franzosen und Russen.
Nur wenige waren stark oder glücklich genug, um dies zu überleben.
Die gesamten Verluste des Feldzuges lassen sich heute kaum noch
beziffern. Historiker schätzen die Zahl derjenigen, die zurückkehrten, zwischen
21.000 und ca. 81.000 Mann.
Da viele Dokumente verloren gingen, lässt sich die wirkliche Zahl nicht
mehr herausfinden.
Einen Anhaltswert für die Verluste mögen folgende Zahlen bieten:
"Von 30.000 Mann des bayerischen VI. Korps traten am 13. Dezember noch 68 kampffähige Soldaten an. Von mehr als 27.000 Westphalen kehrten nur 800 zurück.
Von 15.800 Württembergern waren nach dem Rückzug noch 387 Mann vorhanden.
Die badische Division, anfangs etwa 7000 Mann, bestand am 30. Dezember noch aus 40 kampffähigen und 100 kranken Soldaten.
Die sächsische Kavalleriebrigade Thielmann wurde bei Borodino fast vollständig vernichtet, 55 Mann kehrten zurück. Von 2.000 Mecklenburgern kehrten 59 zurück..."[1]
"Von 30.000 Mann des bayerischen VI. Korps traten am 13. Dezember noch 68 kampffähige Soldaten an. Von mehr als 27.000 Westphalen kehrten nur 800 zurück.
Von 15.800 Württembergern waren nach dem Rückzug noch 387 Mann vorhanden.
Die badische Division, anfangs etwa 7000 Mann, bestand am 30. Dezember noch aus 40 kampffähigen und 100 kranken Soldaten.
Die sächsische Kavalleriebrigade Thielmann wurde bei Borodino fast vollständig vernichtet, 55 Mann kehrten zurück. Von 2.000 Mecklenburgern kehrten 59 zurück..."[1]
Tausende, die sich von Moskau und über die zugefrorene Beresina durch
grausigem Frost zurückgeschleppt hatten, starben vom 07. - 09. Dezember 1812
noch in Wilna, die Heimat und damit die Rettung in greifbarer Nähe, an
Entkräftung, Hunger, Kälte und Typhus bei Temperaturen von bis zu - 39 Grad Celsius. Als die französische Armee am
10. Dezember 1812 schließlich aus Wilna abrückte, ließ sie etwa 20.000
Verwundete zurück.
Der württembergische Leutnant Karl Kurz schrieb über das Schicksal der in Wilna zurückgebliebenen Soldaten:
"Säle und Zimmer ... lagen voll toter und Sterbender, die in der Hungerwut ihre toten Kameraden benagten... Unbeschreiblich war das Elend der armen Gefangenen in den Tagen des 11. - 15. Dezember, in welchen durch die Waffen des Feindes, durch Misshandlungen aller Art, durch Kälte und Hunger mehr als 1.000 Offiziere und 12.000 Gemeine aller Nationen zugrunde gingen. Das Massaker endete erst, als die reguläre russische Armee eintraf - die Kosaken zählten nicht zur regulären Armee..." [2]
Und welche Ironie des Schicksals:
Die Toten wurden nun in genau jenen Schützengräben begraben, die sie
selbst oder ihre Kameraden erst wenige
Monate zuvor auf dem Vormarsch in Wilna ausgehoben hatten...[3]
Aber zunächst herrschte noch Jubel und Begeisterung, und selbst die rund
120.000 Deutschen aus den sog. Rheinbundstaaten, darunter etwa 30.000 Bayern, 27.000
Westfalen und 20.000 Sachsen sowie die Kontingente aus Österreich und Ungarn,
aus Polen, aus Holland und Belgien - und woher auch immer sie stammen mochten, sie
alle marschierten mit dem Stolz in der
Brust, dieser siegreichen, glanzvollen Armee anzugehören. Und sie opferten sich
letztendlich für eine Sache, die nicht die ihre war.
Adam Zamoyski schildert diese Ereignisse in einer Weise, die präzise
und spannend zugleich ist und bereichert die bloße Darstellung historischer
Fakten immer wieder mit Schilderungen aus den überlieferten Aufzeichnungen
namentlich bekannter Protagonisten des Geschehens. Gerade hierdurch gewinnt der
Leser den Eindruck einer Unmittelbarkeit, die uns, wenn sie bei der
Darstellung historischer Ereignisse
fehlt, Historie oft trocken und fade erleben lässt. Zamoyski lehrt uns, dass es
auch ganz anders geht und dass man ein Geschichtsbuch wie einen Thriller lesen
kann.
Es ist so, als erzählten uns unsere Eltern und Großeltern ihre
Erlebnisse, und wir hören zu, atemlos
und gebannt , weil es nicht die
unnahbaren Großen und Berühmten sind, die uns die Geschichte erzählen, sondern normale Menschen, mit denen wir uns
identifizieren können.
Und hier liegt das Geheimnis:
Adam Zamoyski erzählt uns die Geschichte aus beiden Blickwinkeln, lässt
uns die Ereignisse durch die Augen der Offiziere und Generale, der Staatsmänner
und Diplomaten und im nächsten Moment durch jene des einfachen Soldaten
betrachten. So entsteht ein Kontrast, der sich in unserem Kopf zu einem
stimmigen Gesamtbild fügt, und so ganz nebenbei erfahren wir viele
aufschlussreiche Details aus dem Alltag und dem Gefühlsleben eines einfachen
Soldaten in der napoleonischen Armee des Jahres 1812 und über den Wahnsinn des
Krieges.
1812: Ein absolut empfehlenswertes Buch.
Verlag C.H.Beck, München 2012
Sollte es mir gelungen sein, Dich, lieber Leser, neugierig zu machen, dann kann ich Dir als ergänzende Lektüre die folgenden Büchlein empfehlen, die allesamt u.a. bei Amazon erhältlich sind:
Förster Fleck:
Erzählung von seinenSchicksalen auf dem Zuge Napoleons nach Russland und von seiner Gefangenschaft 1812 - 1814. Von ihm selbst geschrieben
Joseph Schrafel:
Des Nürnberger Feldwebels Joseph Schrafel merkwürdige Schicksale
Jacob Meyer:
Erzählung der Schicksale und Kriegsabenteuer des westfälischen Artillerie Wachtmeisters Jacob Meyer aus Dransfeld
Links:
Napoleons verlorene Armee, DOKU 24, Teil 1:
Napoleons verlorene Armee, DOKU 24, Teil 2:
Napoleons verlorene Armee, DOKU 24, Teil 3:
Der erste Beitrag von TinSoldier, manche sagen auch Rudi zu ihm. Ich freue mich sehr auf unsere Zusammenarbeit.
AntwortenLöschenGrüße vom KaratekaDD
Lieber Uwe,
AntwortenLöschenvielen Dank für die nette Begrüßung. Ich freue mich darauf, hier mitmachen zu dürfen!
Grüße vom TinSoldier
Wieso, du machst doch schon mit? ;)
AntwortenLöschenMann, du setzt neue Maßstäbe...
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