Freitag, 1. Dezember 2023

Voskuil, J.J.: Die Nachbarn

 

Nicolien begrüßt den Zuzug der neuen Nachbarn ins Mehrparteienhaus überschwänglich. Ihr Mann Maarten hingegen beschließt nach nur einer Begegnung, die beiden Männer völlig uninteressant zu finden. Der Kontakt zu Petrus und Peer ist zunächst bemüht freundlich, nimmt dann zusehends groteske Formen an. Die Auseinandersetzungen zwischen Maarten und Nicolien über die Nachbarn im Speziellen und Außenseiter im Allgemeinen werden immer fundamentaler. In fulminanten Streitszenen schafft J.J. Voskuil das bewegende und vor allem urkomische Porträt einer Ehe im Zeichen einer unlösbaren Frage. Dieses Puzzlestück aus Voskuils literarischem Universum, wie immer kongenial übersetzt von Gerd Busse, durfte erst nach dem Tod des Autors veröffentlicht werden. Zu groß war die Sorge, das Porträt der misslingenden Freundschaft könnte die realen Vorbilder verdrießen. (Verlagsbeschreibung)

DNB / Verlag Klaus Wagenbach / 2023 / ISBN 978-3-8031-3358-8 / 304 Seiten

 

 

 

 

Erneut ein Roman, den ich bei Whatchareadin im Rahmen einer Leserunde lesen durfte. So viel verrate ich schon einmal vorweg: Das war diesmal wohl nichts. Ein langatmiges Psychodrama mit unsympathischen Zeitgenossen - solch eine Nachbarschaft möchte ich nicht geschenkt haben. Auch nicht als Buch... Mehr dazu könnt Ihr hier lesen:



 

 

 

 

 

 

 

 GRENZÜBERSCHREITUNGEN...

 


Die Rezension habe ich jetzt vor mir hergeschoben in der Hoffnung, dass sich meine Gefühlslage etwas beruhigt. Aber kaum setze ich mich daran, etwas über den Roman zu schreiben, kocht gleich wieder alles hoch. Ich bin genervt.

Erzählt wird hier aus der Ich-Perspektive von Maarten, der tagebuchartig über den Alltag und das Zusammenleben mit seiner Frau Nicolien berichtet. Dies erfährt eine Zuspitzung, als in ihr Mehrparteienhaus neue Nachbarn einziehen. Der ältere Petrus und der jüngere Peer entpuppen sich als schwules Pärchen, was sogleich Nicoliens Beschützerinstinkt wachruft. Sie sieht sich als flammende Verteidigerin der sog. "Underdogs", die sie vor jedwelcher Diskriminierung zu verteidigen beschließt. Dies nimmt bald groteske Züge an - jedwelche noch so berechtigte Kritik an den Nachbarn wird als Diskriminierung interpretiert, und Maarten muss sich wiederholt von seiner Frau "Schwulenfeindlichkeit" vorwerfen lassen. Dies wird in immergleichen Streitszenen bis zum Erbrechen wiederholt, so dass das, was anfangs wie ein Loriot-Sketch anmutet, nur zu bald in redundante und damit nicht nur nervige, sondern in ihrer Häufung gar langweilige Szenen mündet.

Maarten fungiert hier eher als Chronist denn als jemand mit einer eigenen Meinung. Mit der hält er lieber hinterm Berg, um nicht noch Öl ins Feuer seiner Frau zu gießen. Leider verhindert er so, dem Wahnsinn rechtzeitig ein Ende zu setzen. Nicolien zeigt für mein Empfinden starke Züge einer Borderline-Störung - keinen Argumenten zugänglich, willkürliche Uminterpretationen von Gesprächsinhalten, selbstgerechte Anklagen, hanebüchene Beschuldigungen ohne Ende. Dazu eine Wortwahl, die ihresgleichen sucht, gefolgt von kurzen Szenen vermeintlicher Reue: "Ich hab dich lieb. Das weißt du doch?" Ja, ist klar. Dazu die Nachbarn, die ebenfalls alles andere als sympathisch sind. Petrus bezeichnet sich selbst als Misanthropen, und ich würde ihm da nicht widersprechen wollen. Sehr engstirnig in seiner Meinung, niemandem zuhörend, an keinem anderen Menschen interessiert - außer vielleicht an Peer. Der - ach Mensch. Ein impulsiver, vielleicht lernbehinderter ADHSler, der sich schnell angegriffen fühlt und null Empathie für andere zeigt. In der Wahl der Mittel auch gerne mal komplett drüber ist. Die Empfindlichkeit nur einseitig, die andere Seite nicht wahrnehmend. Verdammt viel Psychokac... - ähm, Psychodrama.

Durch Nicoliens Wunsch / Bedürfnis / Zwang, beweisen zu müssen, dass sie - komme was da wolle - für das schwule Pärchen einsteht, werden Verhaltensweisen der Nachbarn hingenommen, die sich normalerweise niemand bieten lassen würde. Wenn selbst Nicolien nicht umhin kann, gelegentlich negative Aspekte bei Peer oder Petrus zur Kenntnis zu nehmen, muss sie, wie um das gleich wieder wett zu machen, direkt den nächsten Streit mit Maarten anfangen oder wenn möglich den beiden Nachbarn wieder etwas Gutes zukommen lassen. Sie hat für nichts ein Maß, die einen nutzen das aus, der andere sitzt es aus. Grenzüberschreitungen überall. Dazu fließt literweise Generver oder Cognac, gerne auch mal Wein - nüchtern erträgt das Drama offenbar niemand. Die Situation dreht sich lange im Kreis, spitzt sich schließlich noch zu - da kann man eigentlich nur die Flucht antreten. Aber der Autor hat beschlossen, stattdessen lieber ein Buch zu schreiben.

Tatsächlich scheint dies ein literarisch verwerteter Ausschnitt aus dem Leben des niederländischen Autors und seiner Frau zu sein. Der Roman durfte auch erst nach dem Tod des Autors und eines der Nachbarn erscheinen - und nachdem die Frau von J.J. Voskuil beschlossen hat, darüber hinwegzusehen, dass die zahlreichen Streitereien zwischen den Eheleuten hier zur Sprache kommen. Da kann man nur staunen. Tatsächlich hätte eine Raffung des Ganzen und die Einbettung in eine tatsächliche Handlung dem Ganzen gut getan. Diese unzähligen Tagebuchausschnitte (so zumindest wirkt es) wirken dagegen ermüdend, nervend, langweilig.

Toxische Beziehungen sind einfach nur anstrengend, auch allein schon, darüber zu lesen. Solche Nachbarn möchte ich nicht, solch einen Ehepartner möchte ich nicht, das Buch leider auch nicht. Von mir gibt es daher keine Leseempfehlung...


© Parden

 

 

 

 

 

 

 

J. J. Voskuil, geboren 1926 in Den Haag und gestorben 2008 in Amsterdam, arbeitete als Volkskundler und Romanautor. Der siebenbändige Romanzyklus »Das Büro« wurde mit rund einer halben Million verkauften Exemplaren in den Niederlanden zu einem Sensationserfolg. Voskuil wurde mit dem Ferdinand Bordewijk Prijs und dem Libris Prize ausgezeichnet. (Quelle: Verlag Klaus Wagenbach)

 

 

1 Kommentar:

  1. Das ist vermutlich der härteste Verriss der bisher 2140 veröffentlichten Beiträge… Selbst das Buch, welches wir beide mal am liebsten entsorgt hätten, kann nicht schlimmer gewesen sein. Allerdings hab ich vergessen, wie das hieß. Liebe Grüsse zum 1. Advent. Dein Bücherjunge.

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