Freitag, 6. März 2020

Habersetzer, G. und R.: Enzyklopädie

Im Herbst des letzten Jahres flatterte eine Ankündigung in den Postkasten. Frank Elstner vom Palisander-Verlag kündigte die „Enzyklopädie der Kampfkünste des Fernen Ostens“ an. Ein dickes Buch von Gabrielle und Roland Habersetzer.

Der Verlag beschreibt dieses Werk als „Ergebnis von fünf Jahrzehnten des Sammelns und der methodischen Aufarbeitung des Wissens über die traditionellen Kampfkünste, welche seit vielen Jahrhunderten in allen Ländern des Fernen Ostens praktiziert werden. Diese Arbeit hatte im Lauf der Zeit zur Entstehung von insgesamt 80 Werken über die Kampfkünste geführt.“

Eintausendzweihundert Seiten umfasst das Werk mit 9400 Haupteinträgen. „Die Einträge beleuchten technische, historische, philosophische, religiöse, kulturelle und biographische Aspekte der Kampfkünste aus Japan, Okinawa, China, Korea, Indien, Malaysia, Vietnam, Kambodscha, Birma, Thailand, Indonesien und den Philippinen. Insbesondere grundlegende Konzepte und herausragende Persönlichkeiten werden mit großer Ausführlichkeit und beispielhafter Tiefgründigkeit dargestellt.“

Es wäre die weltweit umfangreichste und umfassendste Darstellung der Thematik, erstmals in Frankreich erschienen im Jahr 2000. Und nun liegt sie vor mir.

Ich blätterte und blätterte und dann gab ich das Buch weiter. Ein Trainer unseres Karatevereins,  Dr. Eric Kaden, 5. Dan Wadokai, schrieb die folgende Rezension.




Wuchtig liegt die Neuausgabe des im Palisander-Verlag herausgegebenen Kompendiums über die Kampfkünste des Fernen Ostens in den Händen – denn beide Hände benötigt der Leser schon, um das auf über 1.200 Seiten und annähernd 10.000 Schlagworten zentrierte Wissen mit aller Ehrfurcht handzuhaben.

Hier liegt eine Fleißarbeit von Roland Habersetzer vor. Dieser ist ein unbestrittener Fachmann in den Kampfkünsten und konnte durch sein jahrzehntelanges Studium nicht nur ein immenses Fachwissen ansammeln, sondern dies in Fachpublikationen weitergeben.

Jeder, der sich mit den Kampfkünsten beschäftigt, wird in diesem Buch fündig werden. Es findet das ganze Spektrum der in Asien entstandenen Kampfkünste Berücksichtigung. Viel Nützliches, Unbekanntes oder Vertiefendes kann der interessierte Leser diesem Mammutwerk entnehmen.

In der universalen Betrachtungs- und Herangehensweise des Autors liegt das Manko des Buches. Obwohl Habersetzer mögliche Fehler und Lücken eingesteht, ist es dennoch ärgerlich, diese zu finden. Zwar wird dies jedem Leser nur in seinem eigenen Fachgebiet direkt auffallen, aber die Enttäuschung bleibt und lässt verdrießliche Rückschlüsse auf das Übrige zu.

Für das Wado-Karate – der Autor ist im 30. Jahr seines langes Karate-Weges - gibt es mehr als nur einen Fehler und Fehlstellen. Unerfreulich ist dabei, dass es sich nicht um Hintergrundwissen handelt, sondern beispielsweise auch um im Wado-Karate beheimatete Kata wie Jitte oder Betschurin. Durch kurze Blicke in das Prüfungsprogramm oder die vielgestreute Fachliteratur zum Karate, hätte unschwer eine Zuordnung zum Wado erfolgen müssen.

Die Zeit der Universalgenies ist seit Leibnitz vorbei. Das muss ebenso für die Kampfkünste gelten. Das Feld der asiatischen Budo-Traditionen ist weit, unübersichtlich und kompliziert. 

Erklärende Illustrationen und die in die Erstellung des Buches hineingesteckte Liebe zeichnen das Werk als hilfreiches Nachschlagewerk aus, das durchaus einen Platz im Bücherschrank verdient. Es verdient, oft in die Hand genommen zu werden, denn es verleitet zum Schmökern und Blättern. Letztlich bleibt aber immer ein Quentchen Unsicherheit in der Frage nach der Verlässlichkeit der gelesenen Aussagen.

Der Weg ist das Ziel, so sagt man. Auch dieses Buch ist ein großer Schritt zur Vervollkommnung des Wissens. Mit Abstand und Kritik im Herzen, gehört es dennoch zu meiner zukünftigen Lektüre.

 * * *

aus Enzyklopädie...
Die von Eric Kaden beschriebenen Probleme führen bei anderen zur Ablehnung. Ob es nun nicht aufgeführte Kata sind, oder die „Behauptung“, dass Hironori Ohtsuka (1892 - 1982), 10. Dan, Mejin, der Gründer des Wado-Ryu Karates, nun das Menkyo Kaiden im Shindo Yoshin Ryu von seinem Meister Yukioshi Tatsusaburo Nakayama erhalten hat oder nicht. Es scheint, als hätte Habersetzer hier nicht breit genug recherchiert, denn Nakayama hätte diesen Titel nicht für das „gesamte“ Shindo Yoshin Ryu vergeben können, präsentierte er doch „nur“ eine von zwei Linien von wiederum einer der zwei Hauptlinien. Man vergleiche das einfach mal hier. Tobin Threadgill (USA), Menkyo Kaiden des Takamura ha Shindo Yoshin Kai, erklärt auf Lehrgängen gern gemeinsam mit hochrangigen Wado-Ryu Karatemeistern die gemeinsamen Grundlagen und Zusammenhänge.* Was man da alles erfährt, kann man gut hier nachschlagen.

Ist das kompliziert? Natürlich. Lohnt sich der Streit? Nein. Kampfkünstler / Kampfsportler schwören auf das, was sie betreiben. Oft schwören sie auf den Meister, der sie in den ersten Jahren am meisten voran gebracht hat. Die unglaubliche Breite, die die Habersetzer – Enzyklopädie aufweist, kann, wie jedes andere große lexikalische Werk, nicht allumfassend informieren. Letztlich sind Lexika und Enzyklopädien oft der Ausgangspunkt für weitere Studien und Recherchen, die dann das ursprüngliche Stichwort veraltet erscheinen lassen. 

Aufmachung und Druck machen das dicke Buch zu einem schönen Stück im Regal meiner „Karate“ – Bücher und so stimme ich meinem Freund und Trainer zu. 

(Im übrigen erwähnt Ohtsuka Sensei in seinem Buch die Katas auch nur bis Chinto  - Habersetzer kennt einfach nicht das Buch Der Weg des Schwarzgurtes von Teruo Kono - Behaupte ich mal einfach so)




© URDD / Die Autoren (1. von links / 3. von rechts)
mit weiteren Freunden
bei Sensei Tobin Theadgill, Berlin  2019


* * *

Von Roland Habersetzers Büchern sind einige im Palisander – Verlag herausgegeben wurden, übersetzt von Frank Elstner. Hier im Blog wurde ein Roman darunter besprochen:  Amakusa Shiro - Gottes Samurai. Ein sehr interessanter historischer Roman, vor allem für Freunde japanischer Geschichte.

Der 1942 geborene Roland Habersetzer ist einer der führenden französischen und weltweiten Kampfkunstexperten. Dem Gründer des Centre de Recherche Budo, (CBR) einer internationalen unabhängigen Organisation liegt der Erhalt der geistigen Werte der chinesischen und japanischen Kampfkünste am Herzen. Er ist 9. Dan im Karate und trägt den Titel Hanshi.


Nahezu täglich hat sich Frank Elstner über vier Jahre hinweg als Übersetzer mit diesem Werk beschäftigt, wahrscheinlich kennt er es nahezu auswendig. Vor dieser Mammut - Aufgabe kann man eigentlich nur zurückschrecken, Elstner aber verlegt im Palisander-Verlag eine ganze Menge Bücher über Kampfkünste, nicht nur von Habersetzer.

* Das der Repräsentant des noch vorhandenen und praktizierten Shindo yoshin Ryu, Tobin Threadgill, nicht erwähnt wird, halte ich allerdings selbst für bedauerlich.


© Bücherjunge



3 Kommentare:

  1. Ein kleiner Zusatz zum Thema Kata: Das Jitte fehlt, fand der Übersetzer ärgerlich, während Petschurin oder Suparimpei wohl nicht in allen Wado - Organisationen im Programm ist. Aber wir wissen ja selbst um diverse Unterschiede bei Wado Kai und Wado-Ryu.

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