Sonntag, 12. Juli 2015

Röder, Britta: Die Buchwanderer


Ein Blick auf die schöne Unbekannte und schon hat Ron die Verabredung mit seinem Cousin Magus vergessen und folgt ihr durch die Stadt. Doch in der Bibliothek verliert er ihre Spur – oder hat sie ihm mit Shakespeares „Romeo und Julia“ eine Botschaft zuspielen wollen? Sofort beginnt Ron mit der Lektüre und findet sich im selben Augenblick mitten in Verona wieder … Was wie eine romantische Liebesgeschichte beginnt, wird nicht nur für Ron zu einer literarischen Reise durch die Weltliteratur – von Verona in das Russland Puschkins, wo Ron plötzlich nicht mehr nur eine Randfigur ist, sondern in die Rolle Eugen Onegins schlüpfen muss – und weiter zu Cervantes „Don Quijote“. Schon bald bemerkt Ron, dass er nicht der einzige Wanderer zwischen den Bücherwelten ist. Doch der Ausweg bleibt verschlossen und die Ereignisse mysteriös. Ist die schöne Rosalia der Schlüssel zu diesem Geheimnis? Und welche Rolle spielt der heimlich in seine Nachbarin Charlotte verliebte Magus, der die eigenen Gefühle stets hinter seiner Kunst versteckt? Immer fließender werden die Grenzen zwischen Lesen und Erleben. Und immer stärker rückt die existentielle Frage in den Vordergrund, wo zwischen Realität und Fiktion jeder einzelne seine eigene Wirklichkeit (er-)findet.


  • Broschiert: 212 Seiten
  • Verlag: Acabus Verlag; Auflage: 1., Aufl. (November 2011)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3862820173
  • ISBN-13: 978-3862820177













 AUF DER SUCHE...


 

Ron ist gerade erst in die neue Stadt gezogen und befindet sich auf dem Weg zu seinem Cousin Magus, mit dem er zum Mittagessen verabredet ist. In der Straßenbahn dann verliert er dieses Vorhaben jedoch aus den Augen.


Ruckelnd beschrieb die Straßenbahn gerade eine unharmonische Kurve, als ein äußerst unsanfter Rempler ihn zurück in seine Realität stieß. Ein kantiger Rucksack hatte seine Schulter hart gestreift. Um Entschuldigung bittend drehte sich die junge Besitzerin des Rucksacks zu ihm um. Leuchtend grüne Augen trafen ihn schutzlos bis auf den tiefsten Grund seiner Seele. Smaragdaugen. - "Tut mir leid." Ihre Stimme klang hell und klar. - "Nichts passiert", antwortete er und sprach, ohne es zu wissen, die größte Lüge seines Lebens aus. (S. 10)



Was wie eine einfache Liebesgeschichte beginnt, erweist sich jedoch rasch als etwas Komplizierteres. Denn obwohl Ron versucht, der schönen Unbekannten durch die Stadt zu folgen, verliert er ihre Spur gleich darauf in der Bibliothek. An der Stelle, wo er sie zum letzten Mal sah, liegt nur noch ein aufgeschlagenes Buch: Shakespeares 'Romeo und Julia'. Da dies seine einzige Spur ist, nimmt Ron das Buch mit nach Hause und schlägt es dort auch gleich auf...


Seine Augen flogen über die bekannten Zeilen. In seinem Kopf verwandelten sie sich in den Klang fremder Stimmen, die desto deutlicher zu ihm sprachen, je tiefer er den Sinn des Gelesenen erfasste. Immer dichter wurde die Atmosphäre, die die Worte um ihn herum erschufen. Immer konkreter wuchs das Bild einer neuen Umgebung heran. Ein Luftzug streifte ihn. Hatte er in seiner Wohnung ein Fenster offengelassen? Plötzlich fühlte er sich beobachtet. Er spürte es ganz deutlich und hob überrascht den Kopf. Die Stimmen waren verklungen und er stand auf einem hell gepflasterten Platz inmitten einer fremden Stadt. (S. 15)



Auf diese Art ist Ron jedenfalls noch nie in die Bücherwelt eingetaucht. Völlig verblüfft ist er plötzlich Teil der Handlung, lernt zumindest von ferne Romeo und Julia kennen - und trifft tatsächlich auch die schöne Unbekannte wieder. Doch es bleibt nicht bei dieser einen Geschichte. Immer weiter treibt es Ron auf der Suche nach Rosalia, nach der Liebe, nach dem Leben. Ein Wanderer zwischen den Bücherwelten ist er - doch er ist nicht allein.


"Du hast dir viel Zeit gelassen, den Weg hierher zu finden", stellte sie fest. - "Es tut mir leid, wenn ich deine Geduld auf die Probe gestellt habe, aber den Weg zu finden war nicht so einfach. Ich war mir nicht sicher..." - "Und nun bist du es?" - "Sicher? Wohl kaum. Ich begreife noch immer nicht, was hier eigentlich vorgeht." - "Aber immerhin begreifst du, dass hier etwas vorgeht", stellte Rosalia zufrieden fest. (S. 104)



Realität und Fiktion verschwimmen zunehmend in diesem Debütroman von Britta Röder. Der Leser taucht mit Ron in altbekannte Bücherwelten ein - von Shakespeares 'Romeo und Julia' über Puschkins 'Eugen Onigin' bis hin zu Cervantes 'Don Quijote' geht die Reise quer durch Zeit und Raum.
Kursiv gedruckt stößt der Leser dabei auf Zitate aus den bekannten Werken, die gekonnt in die Handlung eingefügt sind und die Neugierde auf die Klassiker wecken, sofern man sie noch nicht kennt. Britta Röder hat darüber hinaus ihren Schreibstil dem altertümlichen Ausdruck der genannten Werke angepasst, was mir gut gefallen hat und zuweilen sehr poetisch anmutete, ohne aufgesetzt zu wirken. Ein angenehm flüssiger Schreibstil, und auch die gelegentlichen Schachtelsätze stellen hier keine Überforderung dar.


"Wenn du nicht auf direktem Weg zum Ziel kommst, dann nimm einen Umweg." - "Aber mein schöner perfekter Plan..." - "Sei flexibel. Das Leben lässt sich nicht so einfach dirigieren und berechnen. Es folgt seinen eigenen Gesetzen." - "Das Leben? Aber wir reden doch hier von der Kunst." - "Na, du bist mir ja ein schöner Künstler, wenn du meinst, das voneinander trennen zu können." (S. 97)


Die Handlung springt dabei von den Geschehnissen um Ron und seiner Suche nach Rosalia zwischendurch auch zu Magus, seinem Cousin. Er, der schon lange in der Stadt wohnt, seit Jahren Tür an Tür mit Charlotte, in die er heimlich verliebt ist, sich jedoch nicht traut, ihr diese Liebe zu gestehen. Und auch wenn es anfangs gar nicht so scheint: Magus spielt eine überaus gewichtige Rolle in diesem Stück.


Tagsüber war er ein Mann der vielen Gespräche. Abends kehrte er erleichtert heim, um die Ruhe und Erholung zu suchen, die er nur in den eigenen vier Wänden fand. In diesen Stunden dämmerte ihm manchmal, dass er vielleicht der einsamste Mann der Welt war. (S. 26)

Immer fließender werden im Verlauf der Geschichte die Grenzen zwischen Lesen und Erleben. Und immer stärker rückt die existentielle Frage in den Vordergrund, wo zwischen Realität und Fiktion jeder einzelne seine eigene Wirklichkeit (er-)findet. Doch im festgelegten Handlungsgefüge eines Romans ist es nicht einfach, eine eigene Geschichte zu erleben.


Es war nicht dumm Angst zu haben, sondern natürlich. Sie hatten erkannt, dass sie frei waren. Darin lag ihre große Chance, aber auch ihre größte Bedrohung. Denn die Freiheit zwang sie zur Wahl. Sie waren gezwungen, weiterzugehen, auch wenn sie nicht wussten wohin. (S. 132)


Bei aller Begeisterung gilt es jedoch auch, einen kleinen Kritikpunkt nicht zu verschweigen: das Schriftbild. Viel zu klein die Schrift, dazu noch ein geringer Zeilenabstand - da gerät das Lesen schnell zu einer unnötigen Anstrengung. Mir verleidete dies leider ein wenig die Lesefreude, was ich schade fand.

Ansonsten ist es ein bezauberndes Debüt, und ich hoffe sehr, dass Britta Röder nach 'Die Buchwanderer' und 'Zwischen den Atemzügen' noch weitere Ideen für tolle Bücher in petto hat! Ich werde jedenfalls Ausschau danach halten!


© Parden









Britta Röder in einem Café in Málaga
Zu meinem Lebenslauf gibt es eine offizielle und eine inoffizielle Variante. Hier kommt die Offizielle: 1967 geboren in Trier, aufgewachsen in Mainz, Magisterstudium in den Fächern Romanistik, Slawistik und Mittlere/Neue Geschichte an der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz und an der Université de Bourgogne in Dijon. Nach dem Magisterabschluss Einstieg ins Berufsleben. Seit 2000 arbeite ich bei einem großen Fachzeitschriftenverlag in Frankfurt/Main. Und zur Inoffiziellen gelang ihr über meine Homepage...
 Quelle Text


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