Montag, 13. Juli 2015

Schonhöft, Michaela: Kindheiten - Wie kleine Menschen in anderen Ländern groß werden

Michaela Schonhöft hat viele Länder bereist und mit Eltern rund um den Globus gesprochen. Ihr Fazit: Den Kindern und ihren Eltern geht es umso besser, je weniger Erwartungen auf ihnen lasten – Liebe und ­Gelassenheit sind immer noch die besten Voraussetzungen für glückliche Kinder.





  • Gebundene Ausgabe: 384 Seiten
  • Verlag: Pattloch (2. September 2013)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3629130372
  • ISBN-13: 978-3629130372




















 MAMA, WO WOHNT DAS GLÜCK?





Afrikanische Babys schreien viel weniger als deutsche; in japanischen Kitas fühlen sich die Kleinen viel wohler als in unseren; in Finnland leistet die Schul-Ambulanz erste Hilfe bei mangelndem Lernerfolg - es gibt noch viel mehr Beispiele gelingender Kindererziehung auf dieser Welt! Michaela Schonhöft war in Südostasien und Südamerika, in Skandinavien und Frankreich und anderswo und hat mit Eltern rund um den Globus gesprochen. Können es die anderen besser?


Mama, wo wohnt das Glück?


Diese Frage der zweieinhalbjährigen Tochter der Autorin stellt schon den Dreh- und Angelpunkt dieses Buches heraus. Denn Glück als das wesentliche Erziehungsziel - darauf können Eltern sich weltweit über alle Sprachen, Kontinente und Kulturen verständigen. Doch wie das Glück zu definieren und zu erreichen ist, darüber haben sie alle sehr unterschiedliche Ansichten.

Ein interessantes und gut recherchiertes Buch bietet Michaela Schonhöft hier, das Einblicke in die Kindheiten quer über den Globus vermittelt. Teilweise beruhen die Erkenntnisse auf eigenen Beobachtungen der Autorin durch Reisen in die verschiedensten Länder der Welt, teilweise beruft sie sich in ihren Ausfürungen aber auch auf Sekundärquellen wie Studien, Ratgeber und auch Medien.

Angefangen bei der Schwangerschaft bis hin ins Erwachsenenalter präsentiert die Autorin die landestypischen Unterschiede. In China beispielsweise schicken viele Eltern ihre Kinder gleich in zwei Kindergärten - morgens in den 'normalen', nachmittags in den englischsprachigen. In den Niederlanden sind Überstunden nahezu verpönt - die arbeitsfreie Zeit gehört der Familie und damit den Kindern. Und in Deutschland ist es wichtig, dass Kinder sich von klein auf an Regeln und Grenzen halten.
Aber auch das Heranwachsen der Jugendlichen ist erstaunlich unterschiedlich. Klar, die Kindheit endet nicht plötzlich - aber wie verschieden der Umgang mit der Pubertät sein kann, ist schon verblüffend. Dabei kristallisieren sich bei allen Unterschieden jedoch auch Gemeinsamkeiten heraus. So liegt beispielsweise dem oftmals nicht nachvollziehbaren Verhalten der Jugendlichen das dringende Bedürfnis zugrunde, sich zu bewähren. Statt von der Gesellschaft Mutproben gestellt zu bekommen (wie das Erlegen eines wilden Tieres) denken sich hierzulande die Jugendlichen eigene Bewährungsmöglichkeiten aus (wie der Diebstahl im Kaufhaus). In jedem Fall ein interessanter Gedankengang.


Kindern geht es dort am besten, wo Erziehung als gemeinschaftliche Aufgabe betrachtet wird.


Manches gerät hier in der Darstellung etwas wissenschaftlich-trocken, das meiste jedoch ist gut verständlich präsentiert und verschafft dem Leser einen wirklich guten Überblick über die kulturellen Unterschiede in der Kindererziehung. Damit ist das Buch in jedem Fall geeignet, um eigene und gesellschaftliche Werte gelegentlich doch einmal zu überdenken...

Vielleicht kommen wir so ja dem Glück ein Stück näher?


© Parden













Michaela Schonhöft

Michaela Schonhöft über die Recherche zu ihrem Buch Kindheiten

Die Autorin im Interview

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Für Ihr Buch haben Sie rund um den Globus recherchiert. Wie lange haben Sie daran gearbeitet und wie konnten Sie die Arbeit und die Reisen mit der eigenen Familie vereinbaren?
Das Buch war ein Herzensprojekt. Drei Jahre habe ich daran gearbeitet. Die Idee dazu entstand auf einer mehrmonatigen Reise durch Thailand. Meine kleinste Tochter war damals noch ein Baby, die ältere 2einhalb Jahre alt. Wir hatten eine Auszeit vom Job genommen. Und so waren die ersten, wichtigen Recherchen sehr gut mit Familiendingen zu vereinbaren. Wir sind begeisternde Reisende. Die Arbeit zu dem Buch konnte ich also prima mit unserer Leidenschaft verbinden. Ich habe zudem viele Kontakte aus dem Ausland aktiviert, die ich geknüpft hatte, bevor die Kinder auf die Welt kamen. Ich habe eine Weile in den Niederlanden, in den USA und Südamerika gelebt, bin viel in Asien und Afrika gereist.

Welche Geschichten oder Gespräche haben Sie ganz besonders berührt? Was sind die größten Herausforderungen für Kinder und Eltern, die Ihnen begegnet sind, und wie kann man helfen?
Sehr emotional, egal auf welchem Kontinent, wird das Thema „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ diskutiert. Das beschäftigt alle Eltern, natürlich vor allem die Mütter, ob in Nigeria, Südafrika, Singapur, Japan, den USA, Frankreich oder eben Deutschland. In Asien arbeiten viele Mütter auf selbständiger Basis, da ihnen der Arbeitsmarkt oft keine andere Chance lässt, Kinder zu versorgen und einen Job zu haben. Japanische Mütter erzählten mir verzweifelt, wie schwierig die Work-Life-Balance für Familien ist. Arbeitgeber legen ihnen nach der Geburt der Kinder alle möglichen Steine in den Weg. Eine Präsenzkultur in den Unternehmen, wenig flexible Arbeitszeiten und lange Pendelzeiten machen es zusätzlich schwer. In vielen Ländern, auch in Indien, ganz besonders in Nigeria, fehlen Kindergärten und Horte. Dort können sich Frauen zum Glück noch häufig auf ein enges verwandtschaftliches Netz verlassen. Oft springen Oma oder die Tante bei der Betreuung der Kinder ein. Doch das wird auch in Indien zunehmend schwieriger, weil viele Großfamilien nicht mehr an einem Ort leben. Abgesehen von den skandinavischen Ländern, Frankreich und den Niederlanden, ist weltweit die Klage über mangelnde Betreuungsmöglichkeiten groß. In Indien gibt es zwar schon sehr viele Initiativen, die zum Beispiel Wanderarbeiter-Familien auf Baustellen mit mobilen Kindergärten unterstützen. Und natürlich tut sich auch in Deutschland einiges in Sachen Krippenausbau. Doch da muss noch viel investiert und diskutiert werden. Schließlich geht es um das Glück unserer Kinder.
Helfen kann man auf vielfältige Weise. Es gibt viele tolle Organisationen, die sich um Kinder und Kinderbetreuung in Entwicklungsländern kümmern, terre des hommes zum Beispiel. Hier in Deutschland ist es sicherlich im eigenen Umfeld möglich und sehr sinnvoll Hilfe anzubieten. Viele Alleinerziehende sind sehr froh, wenn ihnen mal jemand das Kind abnimmt, wenn es auch nur zum gemeinsamen Spielnachmittag mit dem Kindergartenkumpel ist. Wer keine Verwandten in der Nähe hat, kann sich seinen eigenen Ersatzklan schaffen und sich gegenseitig bei der Kinderbetreuung unterstützen. Aber eine vernünftige und gute öffentliche Betreuung kann das natürlich nicht ersetzen, sondern nur ergänzen.

Gibt es einen Punkt, bei dem sich alle Kulturen einig sind, was wichtig für ein Kind ist? Oder gibt es so etwas wie einen Trend?
Die Erziehungsziele in den Kulturen sind doch schon sehr verschieden, da die Heranwachsenden ja später sehr unterschiedliche Herausforderungen zu bewältigen haben. In einem Dorf in Kamerun sind soziale Kompetenzen überlebenswichtig. Es gibt kein staatliches Auffangnetz. Das muss der Klan, die Dorfgemeinschaft erledigen. Deshalb verscherzt man es sich besser nicht mit den Nachbarn, man könnte sie noch gebrauchen und umgekehrt. Im Milliardenvolk China ist der Konkurrenzdruck so groß, das schulische Prüfungswesen so hart, dass Eltern natürlich darauf achten müssen, dass ihre Kinder in der Schule möglichst nicht versagen. Sie wissen, dass sich die Paukerei für eine gute Zukunft sehr lohnen kann. Und das gilt für die gesamte Familie. In vielen westlichen Kulturen, in denen die Menschen sehr individualistisch leben, achten Eltern sehr auf frühe Selbständigkeit. Kinder sollen lernen, auch alleine klarzukommen. Das macht ja auch bis zu einem gewissen Grad Sinn. Wir sind in dieser Gesellschaft in der Tat oft auf uns allein gestellt. Aber dieser Trend geht vielleicht doch ein wenig zu weit. Es ist doch ein Trugschluss sich darauf zu verlassen, dass man es schon alleine schafft. Die Realität sieht anders aus. Wir brauchen Beziehungen und Netzwerke.
In einem sind sich die Kulturen weltweit einig: Sie wollen für ihre Kinder vor allem ein zufriedenes Leben, und das geben fast alle Eltern weit vor dem Bedürfnis nach materiellem Wohlstand an, natürlich nur, wenn sie nicht ums Überleben kämpfen müssen.

Was läuft in Deutschland gut, wo haben wir noch Nachholbedarf und könnten uns etwas aus anderen Ländern abschauen? Was sollten wir zum Wohl der Kinder ändern?
Deutschland gibt sehr viel Geld für Familienförderung aus. Das ist natürlich grundsätzlich zu begrüßen. Das Geld wird allerdings schlecht verteilt. Darauf weisen immer wieder neue Studien hin. Es sollte vermehrt in qualitativ wertvolle Betreuung und Förderung für lernschwache Kinder investiert werden. Es wird noch viel zu wenig auf Qualitätsstandards in Kindergärten, Krippen und Horten geachtet. Dabei gibt es einen solch großen Erfahrungsschatz aus dem Ausland. Viele Eltern in Deutschland haben zudem das Gefühl, Kinder sind in Deutschland nicht willkommen. Das ist natürlich nur eine Verallgemeinerung, beschreibt jedoch eine Tendenz. Kinder sollen sich möglichst nur an den für sie vorgesehen Orten aufhalten. Aus Sicherheitsgründen ist das natürlich oft angesagt. Aber Kinder sind inzwischen vielerorts einfach unerwünscht, ob in Restaurants oder in Saunen etc… Sie haben sich möglichst ruhig zu verhalten. In Italien dagegen stört sich kaum jemand an lärmenden Kindern, man erfreut sich an ihnen. Das gilt für viele andere Länder ebenso.
Gerade Mütter haben in Deutschland sehr hohe Ansprüche an sich. Sie wollen perfekte Mütter, perfekte Berufstätige, perfekte Ehefrauen sein. Das geht oft weiter über die Belastungsgrenzen hinaus. Hierzulande haben Frauen ganz besonders den Anspruch alles selbst zu stemmen. Sie geben ungern Verantwortung ab, das wird leider auch häufig von ihnen erwartet. Das Bedürfnis Erziehung, Fürsorge für Kinder auf mehrere Schultern zu verteilen, könnte ausgeprägter sein. Es fehlen natürlich auch deutschlandweit noch die Strukturen dafür.

Auf Ihrer Webseite schreiben Sie, dass Ihre Recherchen Sie als Mutter lässiger und weitsichtiger gemacht haben. Inwiefern denken Sie, das Reisen und eine internationale Erziehung für Kinder wichtig sind?
Kinder lernen auf Reisen, unter welch unterschiedlichen Bedingungen andere Kinder aufwachsen. Sie lernen auch zu erfahren, dass Menschen andere Traditionen, andere Werte pflegen und das diese ihre Berechtigung haben. Sie lernen auch, was es heißt, eine Sprache nicht zu verstehen und sind deshalb vielleicht ein wenig verständnisvoller, wenn sie im Kindergarten oder der Schule auf ein Kind treffen, dass sich mit dem Deutschen noch ein wenig schwertut.
Die Recherchen haben mir geholfen, wesentlich entspannter mit Erziehungsdoktrinen umzugehen. Ich kann das ein wenig mehr aus der Vogelperspektive betrachten. Es ist wichtig, sich mit möglichst vielen Eltern, möglichst auch aus anderen Kulturen über Kindheit und Erziehung auszutauschen. Es gibt ja nicht nur den eigenen Weg, man lernt nie aus.

Was würden Sie aus dem gesammelten „Weltwissen der Kindererziehung” gern übertragen in Ihr eigenes Familienleben?
Vor allem Geduld! Ich habe mit sehr vielen Eltern in Ostasien gesprochen. Mich hat beeindruckt, wie entspannt viele von ihnen mit ihren kleinen Kindern umgehen, dass sie sehr viel durchgehen lassen, zwar „dranbleiben“, aber nicht ständig mit Konsequenz oder gar Strafen drohen. Man verlangt kleinen Kindern noch kein großes Verständnis ab, versucht ihnen stattdessen ein gutes Vorbild zu sein, sie immer wieder sanft auf sozial akzeptables Benehmen hinzuweisen. Für sehr nachahmenswert halte ich, wie selbstverständlich sich niederländische Familien Zeit für ihre Kinder nehmen, auch wenn dort die Zeiten schwieriger werden. „Feierabend ist Feierabend“, sagt sich dort ein Großteil der Arbeitnehmer, und das gilt auch für die Väter. Den Familien ist sehr wohl bewusst, wie wichtig Zeit für die Familie ist. Wir versuchen inzwischen ebenfalls mindestens einmal am Tag, meistens abends, zusammen zu essen. Ich lebe ja in einer Patchwork-Familie, mein Mann, ich, zwei Teenager, zwei Kleinkinder. Da entstehen schnell Konflikte, und gemeinsame Familienzeit ist unheimlich wichtig, um diese nicht einfach unter den Tisch zu kehren oder gar eskalieren zu lassen.


 






Michaela Schonhöft, geboren 1973, studierte Sozialwissenschaften und arbeitete als Reporterin für verschiedene Fernsehsender und Zeitungen. Sie berichtete unter anderem aus Südamerika und den USA. Heute lebt sie als freie Autorin mit ihrem Mann und vier Kindern in Berlin. Quelle Text und Bild

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