Samstag, 10. Januar 2015

Inge von Wangenheim: Station 5

"Nur was man verstanden hat, kann man bewältigen".
(Inge von Wangenheim)

Zugegeben:
Ich wusste anfangs nicht so recht, was ich von diesem schmalen Bändchen, noch dazu von einer mir bis dahin völlig unbekannten Autorin, halten sollte. Vor etlichen Wochen schon hatte es mir KaratekaDD mit der Post geschickt. "Ein schmales Bändchen aus vergangener Zeit" schrieb Uwe dazu und brachte zum Ausdruck, dass er gespannt sei, was ich (und Anne Parden, an die ich es weiterreichen werde), davon halten würde(n).
Doch zunächst sollten noch etlichen Wochen vergehen, bis ich mich an die Lektüre wagte:
Mein alljährlicher "Novemberblues" und die stressige, von vielen Terminen verknappte Freizeit in den letzten Monaten des vergangenen Jahres forderten ihren Tribut:
Uwe wurde ungeduldig und brachte das mir gegenüber auch mit leichter Verärgerung zum Ausdruck. Sorry Uwe, manchmal brauchen Dinge Zeit, brauche ich Zeit!

Station 5: Romanze einer Genesung ist das Bändchen betitelt.
Ein Blick auf den schon etwas abgegriffenen Umschlag und in das Büchlein mit den leicht vergilbten Seiten offenbarte, dass die Ausgabe 1985 (also vor der sog. "Wende") in der 3. Auflage im Mitteldeutschen Verlag Halle . Leipzig erschienen war. Ein Stück "DDR-Literatur" also!
Mit Autoren aus der ehemaligen "DDR" hatte ich eigentlich bisher kaum Berührung:
Ein forschender Blick in meinen Bücherschrank lässt mich dennoch schnell die beiden einzigen DDR-Autoren finden, die sich bereits in den 1970´iger Jahren dorthin "verirrt" haben:
Reiner Kunze (Die wunderbaren Jahre. Lyrik, Prosa, Dokumente) und Günter Kunert (Die Schreie der Fledermäuse. Geschichten. Gedichte. Aufsätze). Ich erstand die Bücher damals, vermutlich kurz nach der Ausbürgerung Wolf Biermanns (genau erinnere ich mich nicht mehr), im Buchclub Bertelsmann. Wie auch immer:
In Kunze´s Fall war mein Motiv damals, etwas über die Geisteshaltung eines Mannes zu erfahren, der 1977, mitten im "kalten Krieg", aus der Deutschen Demokratischen Republik in die Bundesrepublik übersiedelte; bei Kunert war es hingegen eher die Neugier auf die in seinem Band enthaltene, im doppelten Wortsinn phantastische Geschichte "Der Schwimmer", die mich doch stark an Franz Kaffkas Geschichte "Die Verwandlung" erinnerte. Von Kafka hatte ich damals gerade einiges (u.a. "Der Prozess" und "Das Urteil") gelesen, und stand noch völlig unter dem Eindruck dieser großartigen, wenn mir auch bis heute in großen Teilen rätselhaften Texte.
Doch zurück zu Inge von Wangenheim. Wie in vielen anderen Dingen auch, half mir das Internet.
Bei Google und Wikipedia wurde ich schnell fündig:


"Inge Freifrau von Wangenheim (* 1. Juli 1912 als Ingeborg Franke in Berlin; † 6. April 1993 in Weimar) war eine deutsche Schauspielerin und Schriftstellerin" las ich dort.

Als Mitglied der KPD emigrierte sie mit ihrem Mann 1933, nach der Machtergreifung der Nazis, nach Moskau, wo sie als Journalistin und Schauspielerinn arbeitete. 1941 wurde sie vor den anrückenden Wehrmachtstruppen in das usbekische Taschkent evakuiert. Ab 1943 kehrte sie nach Moskau zurück, wo sie journalistisch für das "Nationalkomitee Freies Deutschland" tätig war.
1945 kehrte sie nach Deutschland zurück und arbeitete als Regisseurin und Schauspielerin in Ost-Berlin, um sich ab Ende der
1940´iger Jahre vornehmlich als Schriftstellerin zu betätigen. Ihren Lebensabend verbrachte sie in Weimar. Inge von Wangenheim starb 1993 in Weimar.

Werke:
-Am Morgen ist der Tag ein Kind
-Station 5
-Reise ins Gestern
-Die Entgleisung
-Genosse Jemand und die Klassik
-Auf Germanias Bärenfell
und viele andere mehr....

 In Station 5 erzählt Inge von Wangenheim kurzweilig und überaus tiefsinnig ihren Aufenthalt, ihre Erlebnisse und Bekanntschaften in der Klinik "Eisenberg", einem Bezirkskrankenhaus, in dem sie sich einer komplizierten Operation unterziehen muss:
"Alsbald, ich ahnte es längst, war es beschlossene Sache: ich gehörte in eine Werkstatt, wo das Unmögliche geleistet wird und die Wunder vollbracht werden. Mit Pillen, Bädern, Strom und Massage war an meinem Fall nichts mehr zu bessern, auch nahm die Verunstaltung des Ganges rapide zu, was mich, ehrlich gestanden, am empfindlichsten traf. Wer tritt schon gerne humpelnd vor sein Auditorium. Blieb die Frage nach dem berufensten Zauber in möglichster Nähe. Aber das war keine Frage: Die Wahl fiel auf Eisenberg..."
Was nun folgt, ist eine kluge, und (ich wiederhole mich) tiefsinnige Reflexion der eigenen Empfindungen und Gedanken vor und während der Genesungsphase sowie eine Schilderung ihrer Begegnungen mit Ärzten, Schwestern und Mitpatienten:
"Wir sind alle Unikümer!"
Inge von Wangenheim bringt uns die Atmosphäre in dem Krankenhaus, das einmal ein Kriegslazarett und völlig aus Holz gebaut war, einfühlsam nahe und insbesondere in den Schilderungen ihrer Begegnungen mit Mitpatienten offenbart sie ein großes, kluges Herz und wunderbare Erzählkunst.
Diese Frau war, so scheint es mir, sehr klug, erfahren und aus ihrer Erzählung offenbart sich uns eine große Menschlichkeit.

Als "Kind" der Nachkriegsgeneration und im Westen Deutschlands aufgewachsen, bin ich zeitlebens entsprechend "sozialisiert" worden. Dies bedeutete unter anderem, dass ich wie viele andere "Wessis" dem Kommunismus und dem Staatssystem der DDR äußerst kritisch, ja ablehnend, gegenüberstand. Daneben entwickelte sich fast unmerklich ein gewisses "Überlegenheitsgefühl" gegenüber "denen da drüben" im Osten Deutschlands.
Ich muss gestehen: Meine Abneigung gegen den Kommunismus und auch gegen das Regime der DDR, die meiner Meinung nach ein Unrechtssystem war, hat sich bis heute gehalten. Nicht aber meine Meinung gegenüber den ehemaligen Bewohnern der "DDR" und das einstige Gefühl der Überlegenheit, ja teilweisen Geringschätzung, ist einem Gefühl der Sympathie und der Zusammengehörigkeit gewichen. Und noch eines: Biografien von Menschen wie Inge von Wangenheim, deren Lebensgeschichte ich nun kenne, machen mir deutlich:
Abseits politischer Weltanschauungen ist es die Menschlichkeit, die uns verbindet - und dann kann mir selbst ein "Kommunist" sympathisch sein!
Sollte sich da bereits andeutungsweise ein winziger Anflug von "Altersweisheit" bei mir einstellen?
Ich weiß es nicht, aber ich weiß, dass Inge von Wangenheim recht hat, wenn sie formuliert:

"Nur was man verstanden hat, kann man bewältigen".

Dem habe ich nur noch hinzuzufügen:

Danke Uwe, für dieses Büchlein!


Station 5
Inge von Wangenheim
Mitteldeutscher Verlag Halle . Leipzig
3. Auflage 1985
erhältlich u.a. hier

2 Kommentare:

  1. Was lange währt wird gut, Rudi. Inge von Wangenheim ist, auch von der Familiengeschichte her, eine sehr widersprüchliche Person gewesen. Die besten Bücher waren für mich DIE ENTGLEISUNG, DEUTSCH UND GESCHICHTE, SPAAL und STATION 5. Aber auch einige andere. Zum Beispiel DAS ZIMMER MIT DEN OFFENEN AUGEN. Da geht es um die Kunstfaserfabrik in Rudolstadt. Sehr interessant.

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