Dienstag, 27. Januar 2015

Die wundersame Geschichte von Mama, vom Hasa und vom Kackerli - Episode 3



Episode 3: Mama, Hasa, Kackerli

Süße, allzu ferne Kindheitstage.
Leise erwachendes Bewusstsein, noch getaucht in rätselhaftes Dunkel. Vages Erahnen des hauchdünnen Hauchs einer Erinnerung nur: Filigran-zerbrechlich, durchscheinend zart wie Seidenpapier, verschwommen, konturlos.
Melodie gewordene Gefühle, die in mir schwingen, liegen wie ein zartes Gespinst über meinem Bewusstsein, untrennbar mit ihm verwoben, als untrennbarer Teil meines Ichs: Da sind vage Schatten von Gedanken an Wärme und gedämpftes Licht, an wohlig-warm-zufriedenes satt sein, an unendlich große Geborgenheit. An Mutterliebe, Vaterliebe. Gedämpfte Geräusche wie leises Murmeln beruhigend - vertrauter Stimmen. Sanft streichelnde, zärtliche Hände, weiche Haut mit vertrautem Geruch. Wie warm-süße Muttermilch sog das erwachende Bewusstsein alles in sich auf:
Eine ganze symphonische Dichtung zart-leiser, bittersüße Sehnsucht weckender Töne und Wahrnehmungen, unendlich fern und gleichzeitig so nah, hat sich auf Ewig eingeprägt in die kindliche Seele und lässt sie noch heute schwingen im Takt jener schlaftrunkenen, glücklich-sorglosen ersten Lebenstage……
Langsam, unendlich langsam nur will das kindliche Bewusstsein auftauchen aus diesem See aus Liebe und Geborgenheit, aus schlaftrunkenen Träumen.
Doch längst hat dieses kleine Menschlein begonnen, sich aus unschuldigem, ahnungslosem Nichtsein emporzuarbeiten und das Vakuum aus dunklem Nichtwissen ganz allmählich aber stetig zu erhellen, es zu füllen mit Wahrnehmung, mit Erinnerung.
Auch hier ein vager Anfang nur, ein kindliches, erkennendes Lächeln vielleicht beim Anblick der Mutter oder das Greifen nach ihrem Finger, die beruhigende Wirkung der vertrauten Stimme oder einer Melodie.
Wie ein trockener Schwamm saugt der erwachende Verstand alle Sinneseindrücke restlos auf und beginnt, mit seiner Umwelt auf kindliche Art in Beziehung zu treten.
Unwiderstehlich wird der Drang, zu kommunizieren, sich mitzuteilen, unbeholfen und unartikuliert noch am Anfang, aber plötzlich, eines schönen Tages dann ist es da, das so oft gehörte Wort, von kindlicher Stimme unbeholfen intoniert:

"M a m a" ………….

- und wird begleitet von einem glücklichen Lächeln !  

Empor zu tauchen aus jener geheimnisvoll – dunklen Ursuppe des Unbewussten in jenen Zustand des wachen Bewusstseins, der denkenden und fühlenden Lebewesen eigen ist, dies ist ein Prozess, den jedes denkende Wesen durchlebt, ist Teil des langen Weges von der Wiege bis hin zum unabänderlichen Ende, das jedem Lebensweg früher oder später unerbittlich durch den Tod gesetzt wird.
Und doch erlebt jedes Lebewesen diesen Prozess anders.
Gemeinsam ist uns allen nur, dass wir auf diesem unserem Weg in´ s und durch´ s Leben unvermeidlich Stück um Stück von jener kindlichen Unschuld verlieren, mit der wir geboren wurden. Und scheinbar gelingt es nur wenigen Glücklichen, sich bis an ihr Ende im Inneren ein kleines Stückchen unschuldiges Kindsein zu bewahren…
Es ist an der Zeit, den Faden unserer Geschichte wieder aufzunehmen, jedoch nicht an jener Stelle, wo wir sie verlassen haben:
zwischenzeitlich schreiben wie das Jahr 1957.

 

Aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen...
und Rahn schießt!!!!
Deutschland hat das „Wunder von Bern“ erlebt, ist seit 3 Jahren Fußball – Weltmeister, ein großer und unerwarteter sportlicher Erfolg, Balsam für die angeschlagene Psyche einer ganzen Nation.
Die Trümmer der zerbombten Häuser in den deutschen Großstädten sind fast beseitigt, nur die Trümmer des ehemaligen Hauses meiner Großeltern in Halberstadt sollten noch Jahrzehnte später, vom Gras und von der Geschichte längst überwuchert, wie ein Mahnmal an längst vergangene Zeiten erinnern.


 
 
Im Westen Deutschlands bahnt sich das sog. „Wirtschaftswunder“ an, die Kinos zeigen süßlich-sentimentale Heimatfilme, die nach den wüsten Jahren des Krieges die Bedürfnisse des Publikums nach ein wenig heiler Welt befriedigen und der „kalte Krieg“ hat längst die ehemaligen Alliierten entzweit. „Sputnik 1“ saust um die Erde, ein tiefer Schock für den Westen. Das Raumfahrtzeitalter ist eingeläutet.
Mein erstes zaghaftes „Ma ma“ ,Teil jener undefinierbaren Ursuppe an frühkindlichen Äußerungen, die sich n i c h t in meiner Erinnerung manifestiert haben, dürfte ich in dieser Zeit gestammelt haben.
Sicher zur Freude meiner Eltern und meiner mittlerweile 4 Geschwister, denn zu den beiden Ältesten hatten sich noch ein weiterer Bruder und eine Schwester gesellt.



Waldreichste Stadt Deutschlands: Brilon im Hochsauerland
Die Familie lebte jetzt in der idyllischen Kreisstadt B., malerisch im bergigen Hochsauerland am Rande des Rothaargebirges gelegen und waldreichste Stadt Deutschlands.
Hier, wo sich die Jahreszeiten dazumal noch deutlicher als heute voneinander unterschieden, waren die Sommer heiß und rochen für uns Kinder verführerisch nach Sonne, nach Hitzefrei, Badeanstalt und Eiskrem, während im Winter die Landschaft unter einer tiefen, glitzernden Schneedecke ausruhte und der Frost die Feuchtigkeit des Atems in der Luft kondensieren ließ.

Winter im Sauerland


In dieser wunderbaren Landschaft sollte ich also aufwachsen.
Nun, einstweilen machte ich in meiner Entwicklung, namentlich der sprachlichen, jedoch nur bescheidene Fortschritte.
Meine linguistischen Fähigkeiten beschränkten sich bis dato bekanntlich darauf, einsilbig - monoton das zweisilbige Wort „Ma ma“, zu stammeln. Eine anregende Konversation war damit kaum möglich.
Ich hoffe jedoch, der geneigte Leser möge registrieren, dass sich dahinter mehr verbirgt, als es auf den ersten flüchtigen Blick scheinen mag, nämlich unbestreitbar die Fähigkeit, eine andere Person, in dem Fall meine Mutter, als eigenständige Person zu erkennen.
Nun wäre es natürlich ein weiterer wesentlicher Schritt auf meiner persönlichen Evolutionsleiter, auch mein eigenes kleines Ich zu reflektieren, mich folglich als eigene Person wahrzunehmen.

Ich vollzog diesen Schritt mit der zuverlässigen Hilfe meiner Mutter, die mir peinlicherweise den Kosenamen „Hasilein“ oder kurz „Hasi“ zugedacht hatte. Nachdem sie mich nur häufig genug bei diesem Kosenamen gerufen hatte, plapperte ich ihn irgendwann nach, verballhornte ihn jedoch dabei in „Ha sa“. Dies hinderte meine stolze Mutter aber nicht, zu der unerschütterlichen Überzeugung zu kommen, aus mir müsse einmal „was werden“.
Hätte ich geahnt, dass mich dieser Kose- um nicht zu sagen Spitzname - einige Jahre verfolgen würde, ich hätte ihr den Gefallen wohl nicht getan. Oder doch? Schließlich war er später noch sehr einträglich.
Doch d i e Geschichte erzähle ich ein anderes Mal.
War meine frühkindliche, geistig – soziale Entwicklung auch soweit planmäßig und zufriedenstellend verlaufen, indem ich sprechen und zwischen „DU“ und „ICH“ differenzieren lernte, so war dies aber kein Grund, sich auf den berühmten Lorbeeren auszuruhen.
Meine Mutter legte anscheinend großen Wert darauf, dass ich mich weiter in Selbstreflektion übte. Ehrlich gesagt bin ich ihr bis heute dankbar dafür, ist Selbstreflektion doch eng verbunden mit Selbstkontrolle und diese wiederum mit kritischer Selbstbetrachtung.
Sich in kritischer Selbstbetrachtung zu üben aber ist eine Fertigkeit, die jedem Menschen gut zu Gesicht steht, aber leider viel zu wenig verbreitet ist. Selbstkritik schützt vor der Volkskrankheit Selbstüberschätzung und Überheblichkeit!
Womit wir also beim „Kackerli“ wären. 
Der geneigte Leser hat sich sicher schon die Frage gestellt, was es mit diesem rätselhaften Begriff auf sich haben könnte.
Und genau jetzt beginnt die Geschichte, mir peinlich zu werden !
Kurz und schmerzlos gesagt, verhielt sich die Sache so:
Wie jeder unschuldige neue Erdenbürger hatte ich einen gesunden Appetit und eine ebensolche Verdauung. Meine demzufolge regelmäßig vollen Windeln animierten meine stolze Mutter jedes Mal zu dem freudigen Ausruf: „Ach Du mein kleiner KACKERLI…..“ .
Lernfreudig, wie ich war, griff ich diese neue Redewendung bald auf, und da war er geboren, mein neuer Schlachtruf:

„Mama – Hasa ------ Kackerli !“
Der feinsinnige Leser wird bemerkt haben, dass dies ein ganz entscheidender Schritt in meiner geistigen Entwicklung war, weil ich nun erkannte, was ich wirklich war: Ein kleiner Hosenscheißer!
Und die Moral von der Geschicht´ ?
Wir waren in unserem Leben a l l e mal kleine Hosenscheißer, aber manche von uns haben es vergessen ! Die Erinnerung daran kann helfen, sich selbst

 
             

nicht  a l l z u  w i c h t i g  zu nehmen in diesem Leben.
Denn diese Welt kann im Zweifel gut auf uns verzichten – auf j e d e n von uns.
Noch Jahrzehntelang danach war diese Geschichte gern genommen auf diversen Familienfesten, von meiner Mutter immer mit Begeisterung und Liebe zum Detail vorgetragen.
Wie oft haben wir im Familienkreise herzlich darüber gelacht, ich selbst immer am meisten, wenn auch immer mit dem wehmütig-bitteren Gefühl, Kindheit und Jugend auf immer verloren zu haben.





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Alle Fotos: Internet


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2 Kommentare:

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