Die Autoren von "Auflaufend Wasser" haben unlängst ihr neuestes Buch veröffentlicht. Das musste ich natürlich haben:
Nagars Nacht: Die Bewältigung dessen, was man nicht bewältigen kann |
heißt also das neueste Buch des Autorenteams Astrid Dehe und Achim Engstler, den Autoren der hervorragenden Novelle "Auflaufend Wasser", die ich in diesem Blog bereits ausführlich rezensiert habe.
Nagars Nacht kommt im schlichten schwarzen Schutzumschlag. Wie passend.
Mit unvorsichtiger Neugier habe ich das Buch aufgeschlagen und, wie es immer mache, sozusagen probeweise die erste Seite gelesen. Denn eigentlich lag ja zunächst noch anderer Lesestoff auf meinem Tisch.
Aus der ersten Seite wurden dann die ersten zwanzig. Die las ich in einem Zuge durch. Und nun musste ich mich zwingen, nicht sofort weiter zu lesen! Aber, da war ja, wie gesagt, zuerst noch andere Lektüre zu beenden...
Muss ich mehr sagen?
Eigentlich würde dies doch schon reichen, aber dann wäre diese Besprechung des Buches doch ein wenig kurz, oder?
Immerhin sollte der Leser jetzt aber schon neugierig geworden sein - und so werde ich doch wohl noch ein wenig mehr erzählen über dieses neue Buch, dass mich sofort mit seinem Thema und vor allem mit seiner präzisen, unprätentiösen Sprache in seinen Bann gezogen hat.
Denn Dehe/Engstler sind wirklich (muss ich das hier wirklich noch einmal betonen??) gute Autoren:
Mit Spaß am Erzählen, und immer sind es Geschichten mit Tiefgang, die Sätze kurz und auf den Punkt, fügen sich zu Texten, die "unter die Haut" gehen. Und das gelingt ihnen auch bei sehr, sehr ernsten Themen. Denn "Nagars Nacht" ist ein "schweres" Buch, denn sein Thema ist so schwarz wie sein Einband! Und dennoch: Das ist Literatur, wie ich sie mag. Nichts ist gekünstelt, nichts intellektuell überladen.Verständlich die Sprache also und schön, vor allem schön! Ich mag das, aber das sagte ich wohl schon. Im Falle von "Nagars Nacht" bin ich aber geneigt, das Adjektiv "schön" zu ersetzen durch "entsetzlich"! Ja, e n t s e t z l i c h , hier aber in einem positiven Sinne gemeint, denn
im Fall von Nagars Nacht versagen die üblichen Kategorien, ja, es fällt mir schwer, hier von "guter Unterhaltung" und "schöner Sprache" zu reden. Dieses Buch ist nicht unterhaltend, es ist vielmehr verstörend!
Und seine Sprache ist brutal schonungslos. So, wie der Gegenstand der Erzählung:
Adolf Eichmann |
Auf Eichmanns Mercedes?
Oder daneben. Eichmann ist schlecht geworden...."
Dieses Zitat aus Nagars Nacht mag andeuten, was ich meine.
Das Zitat verrät uns zugleich, um was oder besser gesagt um
w e n es geht:
Um Adolf Eichmann, um den kleinbürgerlich Buchhalter und Organisator der Judentransporte des sog. "Dritten Reichs".
Eichmann war während der Diktatur des Nationalsozialismus in Deutschland als Leiter des sog. "Eichmannreferats" im "Reichssicherheitshauptamt" (RSHA) in Berlin verantwortlich für die Deportation der jüdischen Bevölkerung in die Vernichtungslager. In diesem Zusammenhang war er unmittelbar beteiligt an der Ermordung von ca. 6 Millionen jüdischer Menschen in Europa.
Adolf Eichmann vor Gericht in Israel |
Soweit zum Sujet des Buches.
"Nagars Nacht" ist aber keine Dokumentation des Eichmann-Prozesses, sondern eher der Versuch einer Bewältigung dessen, was man eigentlich nicht bewältigen kann. So sehr real und wahr die grausige Geschichte des Adolf Eichmann ist, so wenig liegt der Fokus des Buches auf einer dokumentarischen Aufarbeitung. Nein, hier geht es weniger um historische Fakten (wenngleich die natürlich auch in dem Buch verarbeitet sind), sondern um das Begreifen des Ungeheuerlichen, um das Sichtbarmachen des Grauens, das uns hier in der Gestalt eines äußerlich harmlos wirkenden, biederen, pedantischen Bürokraten entgegentritt, der sich auf den "Befehlsnotstand" beruft und argumentiert, er selbst habe nie einen Juden getötet.
So werden wir in "Nagars Nacht" konfrontiert mit der "Banalität des Bösen", nämlich mit der erschütternden Erkenntnis, dass die NS-Verbrecher oft nichts anderes waren als kleinbürgerliche Bürokraten, die, bar jeder Fähigkeit zur Emphatie , ihre Verbrechen an der Menschlichkeit mit Pflichterfüllung und einer Art von Nibellungentreue begründeten und diese damit gar zu Tugenden umdeuteten!
Beispiel gefällig?
Himmler besichtigt das Konzentrationslager Dachau |
Auf der anderen Seite sei dieser Auftrag das „Allerhärteste und Allerschwerste“ gewesen, „was es gibt“. Für ihn selbst sei dies zur „schwersten Frage“ seines Lebens geworden. Deshalb solle dessen Ausführung für die SS ein „niemals zu schreibendes Ruhmesblatt“ bleiben. Alle sollten „das Geheimnis“ mit ins „Grab“ nehmen. – Anders war es bei Hitler: Kurz vor seinem Ende, am 2. April 1945, sah er hierin seine bleibende Leistung: „So gesehen wird man dem Nationalsozialismus ewig dankbar sein, daß ich die Juden aus Deutschland und Mitteleuropa ausgerottet habe.“ Hitler jedenfalls war stolz auf die Judenvernichtung und suchte nicht, diese vor seinem Umkreis zu verbergen.[57]
(Quelle: Internet, Wikipedia)
Soweit einige Beispiele zur Charakterisierung der Täter.
Wer aber ist Nagar?
Nagar ist der Gefängniswärter und spätere Henker Adolf Eichmanns, ein einfacher, kleiner Mann, Jude, des Deutschen nicht mächtig, der seit jener Nacht, als er den Knopf drückte, der die Falltür unter Eichmanns Füßen öffnete, nicht mehr zur Ruhe kommt. Für ihn ist Eichmann nicht tot, sondern lebt als Inkarnation des Bösen immerfort...
Nagar erzählt seine Geschichten Ben und Moshe - und Moshe beginnt zu schreiben. Er schreibt über Eichmann, den Prozess, über Nagar. So erleben wir die Geschichte einer versuchten Bewältigung dessen, was man nicht bewältigen kann, aus den Blickwinkeln Nagars und Moshes, zweier Juden, deren Schicksale, wie wir erfahren, auf ihre jeweils ganz eigene Weise mit dem Ungeheuer Eichmann verknüpft sind.
Mehr muss man nicht sagen.
Lest es selbst - dieses Buch, das Dich danach so schnell nicht mehr loslässt!
Nagars Nacht
Roman, 239 Seiten, Leineneinband mit Schutzumschlag
Verlag Steidl, Göttingen
Preis: 20,- Euro
ISBN-10: 386930829X
ISBN-13: 978-3869308296
DNB
Die "Banalität des Bösen" wird auch in meinem nächsten Beitrag benannt werden, das die Formulierung ja von Hannah Arendt stammt, die mit EICHMANN IN JERUSALEM maßgeblich an der Diskussion um eben dieses "verbrecherische Bürokratentum" beteiligt war.
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