Mittwoch, 9. Februar 2022

Schlamassel um ein Buch...

 ... welches ich nicht lesen werde.

Wir schreiben über Bücher. Manche hören wir, andere lesen wir ohne zu blättern, meistens sind es Druckwerke. Über ein Buch zu schreiben, das man vermutlich gar nicht erst anfassen wird und das auch erst am 22. März 2022 auf deutsch erscheint ist eher ungewöhnlich.

In der Nr. 5 des Jahres 2022 druckt der SPIEGEL einen Artikel von Arno Frank ab, der mit „Ein entsetzlicher Schlamassel“ überschrieben ist. Das Wort entstammt dem Jiddischen, was im doppelten Sinne bezeichnend ist. Am 22. März 2022 erscheint ein Buch einer Rosemary Sullivan, welches auf den Ermittlungen eine interdisziplinären Teams, zu dem auch ein ehemaliger FBI-Ermittler gehört, basiert. Ein sogenanntes Cold Case Team, eines für kalte Fälle.


Ziel war es, unter den Stichworten „FBI“, „künstliche Intelligenz“ und „Anne Frank“ zu ermitteln, wer daran Schuld war, dass die Familie Frank plötzlich in der Prinsengracht in Amsterdam aufgespürt und deportiert wurde. Das Buch trägt den Titel Der Verrat an Anne Frank - Ermittlung eines Kalten Falls (Rosemary Sullivan) und darin wird auch ein Ergebnis präsentiert: Mit einer fünfundachtzigprozentigen Sicherheit könnte es Arnold van der Bergh – Notar – Jude gewesen sein. Van der Bergh war Mitglied im Amsterdamer Judenrat, einem Gremium, welches die Nazis zur „Selbstverwaltung“ der Juden in Amsterdam eingesetzt hatten. Besaß der Judenrat Listen über versteckte jüdische Familien? Dessen ehemalige Sekretärin, Mirjam Bolle, 104, Jerusalem, sagt „Nein!“. Eine berüchtigte Verräterin, eine Judenjägerin namens namens ans van Dijk, war gerade nicht in der Stadt. Onkel Nol, so wird der ehemalige Notar von seiner Nichte Elise Tak genannt, sei aber selbst schon untergetaucht, außerdem hat van der Bergh ihre Mutter und ihre Tante gerettet. Sieht das nach Verrat aus? Nun sei „das Stereotyp des jüdischen Verräters wieder in der Welt... es wird beitragen zum Judenhass über all auf der Welt“. [1]

Soweit zu dieser Geschichte und zu dem Buch, welches entsprechend beworben wurde und nun, vor allem von Historikern, enormer Kritik ausgesetzt ist, die nun, nach der ersten Welle im Zuge der Veröffentlichung, eine zweite Welle in Medien aller Art ausgelöst hat.

Man könnte es trotzdem lesen, wird jedoch nicht in der Lage sein, es auf Wahrheit zu prüfen. 

Auch wenn es unbestimmt ist, wie das Versteck der weltberühmten Tageschreiberin und ihrer Familie aufflog (War es vielleicht eine Razzia wegen gefälschter Lebensmittelkarten?), von welcher Bedeutung wäre diese Erkenntnis?

Schon einmal geriet ein Buch unter starke Kritik, welches die Geschichte eine jüdischen Verräterin erzählte, STELLA von Takis Würger wurde hier auf unserem Blog besprochen. Würger geriet in die Kritik, weil er eine reale Figur in ihrem zeitlichen Handeln verschob und fiktive Stränge einwob. Über Stella Goldschlag hatte auch Peter Weyden, ein Schulkamerad, geschrieben. Sie beging später Selbstmord, die oben angesprochene van Dijk wurde hingerichtet. Den in Berlin versteckten Juden wurde der Film Die Unsichtbaren gewidmet.


Warum erscheint es bedeutsam, denjenigen nachzuspüren, die ihresgleichen verrieten, nicht wissend, ob sie sich dadurch bestimmt retten könnten? Ich weiß es nicht. Das es Menschen gab, die aus größter Angst zum Verräter wurden, oder aus Hass, oder Niedertracht ist nicht neu. Dass andere Menschen das Gegenteil verkörperten, ebenso. 

Erschreckend erscheint mir, dass mit diesem Thema wieder einmal viel Geld verdient werden soll, durch Verlage und TV-Shows und Dokumentationen. Allein der Hinweis auf den Einsatz von KI für die Ermittlungen, die allerdings sehr umfangreich gewesen sein müssen. Da denke ich, das dem Takis Würger bei aller Kritik an seinem Buch eher Unrecht getan wurde.

Für mich ist die Geschichte über diese Stella Goldschlag genug, jedoch finde ich hier einen aktuellen Grund, die Gesamtausgabe von Das Tagebuch der Anne Frank und andere wieder einmal zur Hand zu nehmen. 

Der niederländische Verlag Ambo Anthos hat die Neuauflage nun ausgesetzt, berichtet Tagesschau online am 02.02.22  Spiegel online berichtet auch davon. 

Oliver Kaever erklärt in einem Artikel zum Neflix-Film Meine beste Freundin Anne Frank, dass der Film "gegen dsas Vergessen" gedreht worden wäre, das Buch um den Verräter aber den Wunsch, einen Schlussstrich unter das Gedenken zu ziehen, repräsentieren würde.

The Betrayal of Anne Frank wird daher nicht den Weg in meine Leseliste finden. Doch vergessen werde ich die die Geschichte, die breit in einer Unmenge an Medien erzählt wird, die Geschichte um die Ermittlungen des Cold Case Teams, nicht.

Vielleicht aber ist das Buch für andere Leserinnen und Leser trotzdem lohnend und führt zu Erkenntnissen, die gegen das Vergessen wirken.


© Bücherjunge

[1] Arno Frank: Ein entsetzlicher Schlamassel in: DER SPIEGEL Nr. 5  vom 29.01.2022, Seite110 ff

1 Kommentar:

  1. Ein Beitrag über ein ungelesenes und ungelesen bleibendes Buch - so was... Trotzdem interessant!

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