Montag, 7. Februar 2022

von Schirach, Ferdinand: Jeder Mensch

Mit der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung 1776 und der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte 1789 in Frankreich wurden die Grundsteine für unsere moderne Gesellschaft gelegt, für unsere Freiheit und unsere unveräußerlichen Rechte. Das Erstaunliche an diesen Deklarationen ist, dass sie nicht die Wirklichkeit widerspiegelten. Die großen Manifeste der Menschheit verlangten eine Ordnung der Gesellschaft, die es noch nicht gab. Es waren Utopien. Heute stehen wir vor ganz neuen Herausforderungen. Globalisierung, Digitalisierung, künstliche Intelligenz, Klimawandel: Die Gefahren, denen wir heute ausgesetzt sind, waren vor 200 Jahren noch nicht einmal vorstellbar. Wir brauchen deshalb neue, zusätzliche Menschenrechte. Heute müssen wir wieder über unsere Gesellschaft entscheiden – nicht wie sie ist, sondern so, wie wir sie uns wünschen. Genau jetzt ist der richtige Zeitpunkt. Ist das nicht die eigentliche Aufgabe unserer Zeit? (Klappentext)

  • Herausgeber ‏ : ‎ Luchterhand Literaturverlag; Originalausgabe Edition (13. April 2021)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Gebundene Ausgabe ‏ : ‎ 32 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3630876714
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3630876719





Ferdinand von Schirach verrät in seinem Nachwort, dass der Urgroßvater seiner Urgroßmutter einer der 56 Gründerväter der Vereinigten Staaten war, die 1776 die amerikanische Unabhängigkeitserklärung unterschrieben haben. Des Autors Großvater jedoch war einer der Hauptkriegsverbrecher der Nationalsozialisten - er verriet alles, wofür seine Vorfahren gekämpft haben. Ferdinand von Schirach stellt sich spätestens mit diesem Büchlein in die Tradition dieser Vorfahren. Er schrieb diesen Entwurf, weil die Würde des Menschen unantastbar sein und bleiben muss. Ein wichtiger Denkanstoß, der wirklich jeden Menschen betrifft...
 

 















EIN PLÄDOYER FÜR NEUE MENSCHENRECHTE...

Quelle: Luchterhand-Literaturverlag

Dieses schmale Büchlein ist mitnichten ein Roman. Es ist vielmehr ein Essay, verbunden mit einem Plädoyer für die Einführung neuer Menschenrechte. Von Schirach weist darauf hin, dass auch die amerikanische Unabhängigkeitserklärung (1776) sowie die Menschen- und Bürgerrechte Frankreichs (1789) im Grunde utopische Forderung waren - der gesellschaftliche Status Quo der damaligen Zeit sah jedoch ganz anders aus.

Unsere moderne Gesellschaft fußt immer noch auf jenen damals festgelegten Rechten und Richtlinien, doch der Wandel der Zeit macht dringend Erweiterungen notwendig.


"Die Unterzeichner der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung und der Erklärung der Menschenrechte, die Mütter und Väter der alten Verfassungen in Europa kannten das Internet und die sogenannten Sozialen Medien nicht, sie wussten nichts von der Globalisierung, der Macht von Algorithmen, der künstlichen Intelligenz und dem Klimawandel. Die Gefahren, denen wir heute ausgesetzt sind, waren damals noch nicht einmal zu erahnen." (S. 16)


Deshalb formuliert Ferdinand von Schirach sechs neue Grundrechte, knapp auf den Punkt gebracht. Darin ist die Rede

  • vom Recht auf das Leben in einer gesunden und geschützten Umwelt,
  • vom Recht auf digitale Selbstbestimmung,
  • vom Recht auf die Transparenz von und die Entscheidungsgewalt über belastende Algorithmen,
  • vom Recht auf wahrheitsgemäße Äußerungen von Amtsträgern,
  • vom Recht auf Waren und Dienstleistungen, die unter Wahrung der universellen Menschenrechte hergestellt und erbracht werden und schließlich
  • vom Recht auf das Einklagen dieser Grundrechte vor Europäischen Gerichten.

Damit will der Autor nicht die Grundrechte in Europa kritisieren, sondern auf eine dringende Notwendigkeit zur Ergänzung dieser Rechte hinweisen. Und er zeigt einen Weg auf, wie sich jede:r Leser:in daran beteiligen kann: per QR-Code gelangt man auf eine Webseite, wo man sich dem Plädoyer für die neuen Menschenrechte anschließen kann - über 250.000 Stimmen sind bereits gesammelt. Wer mag, kann hier nachschauen:

https://you.wemove.eu/campaigns/fur-neue-grundrechte-in-europa

Dort stehen die geforderten neuen Grundrechte noch einmal ausformuliert.

Dieses Büchlein bietet einen wichtigen Denkanstoß, der jeden Menschen in unserer modernen Gesellschaft betrifft. Auch wenn es nicht alle lesen werden, viele Entscheidungsträger darüber hinwegsehen mögen - jede Stimme zählt. Und irgendwann wird man sich mit der Thematik doch beschäftigen müssen.

Lesenswert, interessant, überzeugend.


© Parden
















Der Spiegel nannte Ferdinand von Schirach einen »großartigen Erzähler«, die New York Times einen »außergewöhnlichen Stilisten«, der Independent verglich ihn mit Kafka und Kleist, der Daily Telegraph schrieb, er sei »eine der markantesten Stimmen der europäischen Literatur«. Die Erzählungsbände »Verbrechen«, »Schuld« und »Strafe« sowie die Romane »Der Fall Collini« und »Tabu« wurden zu millionenfach verkauften internationalen Bestsellern. Sie erschienen in mehr als vierzig Ländern. Sein Theaterstück »Terror« zählt zu den weltweit erfolgreichsten Dramen unserer Zeit. Ferdinand von Schirach wurde vielfach mit Literaturpreisen ausgezeichnet. Er lebt in Berlin. Zuletzt erschienen von ihm sein persönlichstes Buch »Kaffee und Zigaretten«, das Theaterstück »Gott«, der Band »Trotzdem« (mit Alexander Kluge) sowie »Jeder Mensch«, sein inspirierendes Plädoyer für neue Menschenrechte.

2 Kommentare:

  1. Das ist ja echt interessant. Passt auch zum Juristen Schirach. "Recht auf wahrheitsgemäße Äußerungen von Amtsträgern" - auch interessant, weil schwierig. Wenn sich der Amtsträger nämlich strafbar gemacht hat, darf auch er schweigen und Beschuldigte dürfen auch lügen. Aber dessen Vorgesetzter, der eben nicht.

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