Ich denke, dass informierte Leser wissen, von wem hier die Rede ist, es ist Sophia Magdalena „Sophie“ Scholl, geboren am 09. Mai 1921. Das Projekt, von dem ich schreibe, ist der Instagram-Kanal #ichbinsophiescholl.
Der SWR hat das Projekt im April 2021 gestartet, kurz vor dem 100. Geburtstag der jungen Widerstandskämpferin. Es war der Tag, an dem Sophie Scholl von Ulm nach München fährt, endlich studieren, endlich frei, endlich ihren Bruder Hans wieder sehen. An diesem Tag beginnt Luna Wedler, eine junge österreichische Schauspielerin, unter #ichbinsophiescholl ihr Leben öffentlich zu machen mit den Mitteln von Instagram.
Über Recherche und die historische Prüfung schreibt der SWR:
„Für die inhaltliche Annäherung haben die Macher*innen zunächst die Historie von Sophies Leben sowie die historischen Ereignisse im Zeitraum der zehnmonatigen Ausspielungszeit von Sophies Ankunft in München am 4. Mai 1942 bis zu ihrer Hinrichtung am 22. Februar recherchiert und in Zusammenarbeit mit der Historikerin Dr. Maren Gottschalk (“Schluss. Jetzt werde ich etwas tun. Die Lebensgeschichte der Sophie Scholl” und „Wie schwer ein Menschenleben wiegt“) historisch geprüft.“
Sophie Scholl, Bloggerin, Widerstandskämpferin, harter Geist, weiches Herz, so ist #ichbinsophiescholl unterschrieben, zu Beginn stand da noch was von Kaffeeliebhaberin...
Ich nehme es vorweg: Das Projekt hat seinen Zweck vermutlich erfüllt. Ich weiß nicht, wie viele Leute sich erstmals mit der Weißen Rose und ihren Mitgliedern beschäftigten, Follower, die von Insta auf den Buchhandel schalteten und tatsächlich eine der Biografien von Sophie Scholl bestellten. Es waren sicherlich eine Menge, die sich an den Interaktionen durch die Kommentare beteiligten, die nach und nach von einigen mit „Kalenderblättern“ versehen wurden. Diese Kalenderblätter erhielten eine wichtige, von den Produzenten vielleicht weniger beabsichtigte oder vorausgesehene Funktion, sie erinnerten an die Verbrechen der Nazis. Sie informierten über Hinrichtungen, Deportationen, Kriegsgeschehnisse und mehr. Gleichwohl dürften sie auf die Interaktion gespannt gewesen sein.
Aber wie füllt man ein Instagram-Tagebuch, welches täglich über einen Zeitraum von zehn Monaten einen Beitrag leisten muss? Wer stellt schon täglich was auf "Insta" ein, wenn er oder sie nicht zur Gruppe der "Influenzer" gehört? Da hilft etwas, woraus die Produzenten kein Hehl machten: Fiktion.
Es gibt Stimmen und Kommentare, wonach Beiträge von Feiern, Geburtstagen, Ausflügen in die Umgebung ablenkten von den Schrecken der Naziherrschaft, die Fiktionen schon fast Geschichtsfälschungen wären. Sophie Scholl soll gern gezeichnet haben, also veröffentlichte man auch Zeichnungen, die vielleicht von ihr hätten sein können. Unter Anderen eine, in der #ichbinsophiescholl einen Brief von Hans von der Ostfront (Sanitätseinsatz der Studentenkompanie – Medizinstudenten) eine Begebenheit so interpretiert, in der die Studenten mit Personal, dabei russische Krankenschwestern, irgendwas feierten. Dies nahm zum Beispiel Jan Böhmermann in ZDF Magazin Royale im ZDF am 19. Februar 2022 aufs Korn.
Es gab die vielen Follower, in der Hauptsache vermutlich junge Mädchen und Frauen, die versuchten, sich mit der Studentin zu identifizieren und sie zu verstehen. Während zu Beginn die Mitgliedschaft von Sophie im Bund deutscher Mädel (BDM) und Hans in der Hitlerjugend (HJ) lange Zeit Thema waren, änderte sich das ab dem Zeitpunkt in etwa, als Sophie mittbekam, was ihr Bruder und Andere als Weiße Rose taten. Ihre Hartnäckigkeit, ihr Mitmachen einfordernd, brachte Instagram-Sympathisanten, die den unzweifelhaften Mut der Studentin für Biologie und Philosophie, bewunderten.
Dieser Kanal zeigt letztlich insgesamt, wie sich eine Gruppe junger Leute, meist Studenten, von Hitler und Co. zujubelnden, begeisterten Kindern und, in den NS-Jugendorganisationen jahrelang auch verantwortlich arbeitenden Schülern, zu ganz anders denkenden Studentinnen und Studenten mit enormem Bewusstsein für Unrecht und Verbrechen entwickelten und anfingen, aktiv gegen dieses Regime zu arbeiten.
Bezogen auf die Follower aber wird so manchen Jungen und vor allem Mädchen bewusst geworden sein, dass Sophie Scholl und die Weiße Rose etwas verkörpern, was als etwas Großes bezeichnet werden darf und muss.
Den Produzenten und den mitwirkenden Schauspielen, insbesondere der Luna Wedler. sei Dank gesagt für ein mutiges Projekt mit großer Reichweite. Die Methoden zum Darstellen deutscher Geschichte sind um eine weitere bereichert wurden. Dabei spielt es keine Rolle, dass es ein solches Projekt bereits einmal gab: Mit eva.stories versuchte man zu zeigen, wie es wäre, wenn ein junges Mädchen während des Holocausts Instagram zur Verfügung gehabt hätte. Auch dieses Projekt hatte einen ziemlich großen Erfolg und wurde ebenfalls kontrovers diskutiert.
Ich bin dem Account gefolgt, nicht bei jedem Post bis die Tiefe der Kommentare, habe den Kopf geschüttelt bei so manchen Diskussionen, staunte über die emotionale Nähe, die Jugendliche dabei zu #ichbinsofiescholl entwickelten und war verblüfft, über die teilweise hervortretende Unkenntnis der Geschichte des sogenannten Dritten Reiches.
Das gelegentlich Kommentare auftraten, die in den Corona-Maßnahmen der Regierung eine Diktatur sehen wollten und diese mit der Nazidiktatur verglichen, war zu erwarten. Soweit ich das überblicke, wurde dem aber sofort nicht nur durch die Betreiber des Accounts Einhalt geboten, oft sogar noch schneller durch andere Follower.
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Gegen das Vergessen ist ein häufiger Grund für einen Post auf diesem Blog. Natürlich bot das SWR-Projekt sich dafür an.
© Bücherjunge
Eine tolle Zusammenfassung der beeindruckenden Instagram-Aktion, die ich (loser als du) ebenfalls verfolgt habe. Die Idee fand ich ebenfalls sehr beeindruckend, und wie sich immer wieder zeigt, ist es so wichtig, gerade auch den jungen Leuten die Geschichte näher zu bringen. Eben auch unter Zuhilfenahme moderner Kommunikationsmittel und sozialer Medien...
AntwortenLöschenDas Instagram-Projekt begann im April / Mai 2021, weil sich am 09.Mai 2021 der Geburtstag von Sophie Scholl zum einhundertsten Mal jährte. Daher endet es im Februar 2022 und nicht zum 80. Jahrestages der Vollstreckung des Todesurteils am 22. Februar 2023 (1943)
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