Freitag, 3. Dezember 2021

Ebert, Sabine: 1815 - Blutfrieden

Die Ankündigung, Sabine Ebert würde die historischen Romane um Henriette, die als junge Frau in den Krieg gegen Napoleon Bonaparte hineingezogen wird, um einen dritten Band erweiterten, wirkte wie elektrisierend. Über 1813 – Kriegsfeuer wurde auf diesem Blog bereits geschrieben, Die zerbrochene Feder liegt zum Lesen bereit, doch erschien es notwendig, vorher 1815 – Blutfrieden endlich zu rezensieren, was zum erneuten Lesen führte. Nun, da dies geschehen ist und ich der weiteren Geschichte der Romanheldin folge, ist Zeit für das Resümee…

Im ersten Buch floh die junge Henriette Gerlach mit ihrem jüngeren Bruder Franz von Weißenfels nach Freiberg zu ihrem Oheim Friedrich Gerlach, der dort als Buchhändler, Buchdrucker und Verleger wirkte. Sie dachte, sie hätte einen französischen Offizier umgebracht, der sie allerdings körperlich bedrängte. In Freiberg wird sie herzlich aufgenommen und hilft dann in den entstehenden Lazaretten aus. Es ist die Zeit der aus Russland zurückflutenden Grandé Armee. 

 

Zwei jungen Offizieren begegnet sie, dem französischen Etienné le Trousteau, der mit seinem Vater, einem Major, bei Gerlachs einquartiert ist und etwas später den verwundeten Maximilian Trepte, Gardeleutnant der Preußen. Kompromittierung fürchtend wegen eines französischen Balls, an dem sie teilzunehmen gezwungen wurde, flieht sie kurz vor dem Beginn der sogenannten Völkerschlacht nach Leipzig, wo sie deren Schrecken wiederum in den Lazaretten begegnet. Dort findet sie der preußische Leutnant wieder, als sie den in ihren Armen gestorbenen Etienné beweint… 

 


Unmittelbar findet so der erste Roman 1813 – Kriegsfeuer in 1815 – Blutfrieden seine Fortsetzung. Trepte bringt nicht nur aus Dankbarkeit die junge Frau samt mehreren verwundeten Offizieren bei Madame Lindenthal unter, einer reichen Witwe, die froh darüber ist: Sechs preußische Offiziere sind eine bessere Einquartierung als zwei Dutzend Kosaken. Maximilien Trepte bittet Henriette Gerlach um ihre Hand. Henriette hält sich erst für unwürdig, hatte sie sich doch dem Franzosen hingegeben, der sie ebenfalls liebte…

Der Premierleutnant steckt mittlerweile in Frankfurt, hat seinen Kommandeur um Heiratserlaubnis gebeten und seine Eltern in Berlin ebenso. Nach der Hochzeit in Frankfurt am Main zieht Henriette Trepte, geborene Gerlach, nach Berlin.

Es ist noch ein weiter Weg, geprägt vor allem durch Trennung. Wir erleben zum Beispiel eine  militärisch fast beispiellosen Forcierung des Rheins bei Kaub, als Blüchers Armee übersetzt und das mitten im Winter. Wir lesen von der französischen Insel in Thüringen, der Festung Erfurt, besetzt noch monatelang von den Franzosen, die Hauptarmee ist weit weg.



Festung Erfurt © Bücherjunge


Doch als Napoleon besiegt ist und auf der Insel Elba sitzt, trifft das Garderegiment wieder in Berlin ein. Maximilian aber fehlt...

Er kommt zurück. Rechtzeitig zur Geburt seines Sohnes, und doch...

* * *

Buch und Hintergrund Der Titel des Buches vermittelt zwar, die Leserinnen und Leser würden sich nun im Jahr 1815 befinden, jedoch beginnt der Roman im Jahre 1813. Das Feuer des Krieges brennt noch, bis 1815, als der Wiener Kongress beginnt und – der Blutfrieden.

Wir begleiten wieder den General Thielmann*, der Chef der sächsischen Armee wird, nachdem diese zu den Alliierten übergelaufen ist, seinen Versuch, die Übergabe der Festung Torgau, welche er selbst einmal führte, friedlich zu von dem typhuskranken französischem General zu bekommen, mit dem er auf dem Zug nach Russland gemeinsam kämpfte.

Gerade Thielmann verkörpert  in seiner Person die Zustände, in denen sich Europa befindet. Er, der zu seinem König hielt, in Torgau und der dann doch die Seiten wechselte. Friedrich August von Sachsen, König von Napoleons Gnaden, sitzt in Preußen als fürstlicher Gefangener, derweil um Sachsen und andere Länder gefeilscht wird.

Sabine Ebert gibt diesem Sachsen viel Raum. Dessen Teilung, der „verlorene“ König, lässt die Soldaten fast schon meutern, als Blücher die Armee in einen sächsischen und einen preußischen Teil zerschneiden soll. Der Protest führt tatsächlich zu Hinrichtungen, fast wäre wieder ein Tröger dabei gewesen... Der greise Feldmarschall ist so wütend darüber, dass er dem König einen Brandbrief schreibt:

„Eure königliche Majestät haben durch Ihre früheren Maßnahmen einen geachteten deutschen Volksstamm in das tiefste Unglück gestürzt. Durch Ihre späteren Maßnahmen, kam es dazu, dass er mit Schande bedeckt wird... Die Verbrecher [Rebellen] haben Bonaparte als ihren Beschützer ganz öffentlich proklamiert und mich, der ich meiner fünfundfünfzigjährigen Dienstzeit in der glücklichen Lage gewesen bin, nur das Blut meiner Feinde zu vergießen, genötigt, zum ersten Mal Hinrichtungen in meiner eigenen Armee vornehmen zu müssen...“  (Seite 1012)
Der Brief wird den König nicht erreichen.

Haben wir in „Kriegsfeuer“ Borodino und den Rückzug über die Beresina erlebt, so sehen wir hier zu Beginn die Zustände in Leipzig nach der großen Schacht. In einer Szene, überschrieben mit „Nie geschehen“, beschreibt Frau Ebert, wie zurückgebliebene verwundete Franzosen in Leipzig erschlagen werden. Der Frau, die dies schreiend mitten in Leipzig verkündet, wird gesagt:

„Niemand erschlägt niemanden, niemand könnte je offiziell einen solchen Befehl erteilen, niemand wird es je bestätigen und niemand spricht darüber- Sie erlösen die, denen sonst furchtbare Qualen bis zu ihrem unvermeidlichen Tod bevorstehen. Ein Akt der Gnade in einer außergewöhnlichen Notlage. Doch es ist nie geschehen,,,“ (Seite 200)

Wiederum sind es die, die „geblieben“ sind, „im Feld geblieben“, und die Verwundeten und Verstümmelten, denen die Stimme der Autorin gehört. Was heißt das: „Geblieben?“

„Geblieben – das klang, als wären all die Männer noch dort, weil es so schön war, als würden sie bald nachkommen!...
Erschossen. Von Kanonenkugeln in Stücke gerissen. Von Säbelhieben zerstückelt. Von Kartätschen zerfetzt. Von Bajonetten durchbohrt. Mit zerschlitztem Unterleib qualvoll verendet. Vergeblich um Hilfe schreiend verblutet. Zermalmt. Lebendigen Leibes verbrannt.“ (Seite 580)


Henriette Trepte kann das nicht zu Ende denken, könnte doch auch ihr Premierleutnant „auf dem Felde bleiben“...

Das Geschehen in den deutschen Kleinstaaten, Fürstentümern kann man kaum verstehen ohne den sogenannten Wiener Kongress. Der habsburgische Kaiser hat die Herrscher eingeladen und wird dadurch fast einen Staatsbankrott verursachen. Es gilt, die „neufranzösischen“ Fürstentümer wieder zu deutschen zu machen, Polen und Sachsen aufzuteilen. Es wird nicht die erste und auch nicht die letzte Teilung Polens sein. Der Preußenkönig will ein Stück und der russische Zar ein noch größeres. Die sächsischen Verhältnisse beleuchtet die Autorin genauer, sicher nicht nur, weil die Bücher eine Art „Auftragswerk“ sind: Frau Ebert wurde vor dem zweihundertsten Jahrestag der Völkerschlacht gebeten, einen Roman darüber zu verfassen. 


Karten von Wikipedia *
 
Sabine Ebert hat Henriette Gerlach und ihren Bruder Franz in die Bücherwelt gesetzt. Buchbinder war deren Vater, Buchdrucker und Verleger ist ihr Onkel in Freiberg (eine historische Person); auch in Erfurt und Berlin lernen wir „Buchmenschen“ kennen. Die Rolle der Bücher für das Denken und Handeln nicht nur der Hauptperson und damit Gedanken zur Freiheit in diesen Zeiten sind ebenfalls Gegenstand, natürlich, wenn es um die „Befreiungskriege“ geht. „Befreiungskriege gegen die napoleonische Fremdherrschaft“ – so hieß das, glaube ich, im Geschichtsunterricht. Den Blutfrieden, der nach dem Ende des Wiener Kongresses herrscht, beschreibt Sabine Ebert durch Wilhelm Trepte, Henriettes Schwiegervater, auf die Frage Henriettes, was die vielen Opfer gebracht haben, so:

„Frieden. Das Ende der Franzosenherrschaft. Die Neuverteilung Europas... Ich weiß aus sicherer Quelle, dass der Begriff ‚Freiheitskrieg‘ bald strikt verboten wird; geredet werden darf nur noch von Befreiungskriegen. Versteht ihr: Es ging niemals um Freiheit. Dieser Krieg wird als Befreiungskrieg gegen die französische Vorherrschaft deklariert.... Es ging immer nur um Beute, nie um bürgerliche Freiheiten, es ging um die Sicherung der Monarchie.“ (Seite 1043)

 

Schillers vielfach zitierter Satz "Sire! Geben Sie Gedankenfreiheit!" aus Don Karlos, den Stein, Scharnhorst, Gneisenau und andere versuchen, dem preußischen König näher zu bringen, scheint weiter weg als je zuvor. 
 
Es ist, als ob die versierte Autorin historischer Romane vor sechs Jahren damit schon auf die Geschichte hinweisen wollte, die Die zerbrochene Feder heißt. Hat Sabine Ebert bereits an das Folgebuch gedacht, als sie Friedrich Gerlach seine Nichte auffordern lässt, zur Feder zu greifen, um sich ihre Erlebnisse im Krieg von der Seele zu schreiben?

Sabine Ebert zeigt nach den Büchern über die Hebamme im 12. Jahrhundert wiederholt, dass ihre historischen Romane nicht nur Geschichte wiedererzählen, sondern auch oft eher unbekannte Aspekte dazu geben. So wird hier über Felix Zeidler, den der Hauptheldin freundschaftlich verbundenen Freiberger Bergstudenten, erneut von der Kavallerieeinheit des Majors von Colomb berichtet, die doch viel erfolgreicher operierte als die bekannteren Lützower Jäger. Der erwähnte Brief Blüchers gehört dazu, die Geschichte Thielmanns und die der vielen historischen Personen, din in einem sehr hilfreichen Anhang aufgeführt werden. Es steckt auch eine berührende Geschichte in dem Buch, trotz der vielen Historie. Eine Geschichte von Liebe und Freundschaft. Die ist ein wichtiges Bindeglied zwischen den erwähnten und dann umfangreich dargestellten historischen Ereignissen.
 

© Bücherjunge


  • Abb: Wolfgang David: Im Aufwind der Macht (Rezension)
  • Europa Karte links:  Von Blank map of Europe 1812.svg: Alphathonthis file: Furfur - Diese Datei wurde von diesem Werk abgeleitet: Blank map of Europe 1812.svg, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=52429297
  • Europa Karte rechts: Von Alexander Altenhof - Eigenes Werk. Source of Information:Historical atlases– Map "1815 - L'Europe apès le Congrès de Vienne" (Author unknown)(Link)– Ramsay Muir, George Philip (ed.): Philip's New School Atlas of Universal History, George Philip & Son, Ltd., London 1928– Dr. Walter Leisering (ed.): Putzger Historischer Weltatlas, Cornelsen Verlag, Berlin 1992, ISBN 3-464-00176-8– Bayerischer Schulbuch-Verlag (ed.): Großer Historischer Weltatlas, Dritter Teil, Neuzeit, Bayerischer Schulbuch-Verlag, München 1981, ISBN 3-7627-6021-7.– Prof. Dr. Hans-Erich Stier, Prof. Dr. Ernst Kirsten a. o. (ed.): Großer Atlas zur Weltgeschichte, Orbis Verlag, München 1990, ISBN 3-7627-6021-7Other publications– Reinhard Stauber: Der Wiener Kongress, Böhlau Verlag, Wien/Köln/Weimar 2014, ISBN 978-3-8252-4095-0– Thierry Lentz: 1815. Der Wiener Kongress und die Neugründung Europas, Siedler Verlag, München 2014, ISBN 978-3-8275-0027-4, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=50255880

1 Kommentar:

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