Dienstag, 4. Mai 2021

Flaubert, Gustave: Bibliomania

Wenn ein Buch schon mit BIBLIOMANIE betitelt wird, dann sollte es wenigstens dazu führen, dass man es allein schon wegen seiner äußeren Gestalt besitzen möchte. Obwohl, es ist ja ein Insel-Büchlein und dann noch eines von der kleineren Sorte. Es hat die Größe eines Oktav-Heftchens und passt in die Innentasche eines Sakkos. Ich schau es an und sehe ein gefesseltes, ein förmlich verschnürtes Bücherregal...

Der Bibliomanie, das lernte ich einst bei Umberto Eco, bin ich wohl nicht verfallen, der BIBLIOPHILIE schon eher. Der italienische Professor widmete der Kunst des Bücherliebens ein ganzes Buch. Erst kürzlich war von diesem hier und nicht zum ersten Mal Geschriebenes zu lesen. Vermutlich hat Eco, nein, ganz sicherlich, den Verfasser des Büchleins gekannt, heißt, er hat ihn bestimmt gelesen. Eher nicht wegen des Titels, sondern überhaupt, denn es handelt sich um den Franzosen Gustave Flaubert (1821 – 1880).


* * *

„In einer engen, düsteren Gasse Barcelonas lebte vor einiger Zeit ein Mann mit bleicher Stirn und trüben tiefliegenden Augen, ein satanischer und wunderlicher Mensch, wie Hoffmann in seinen Träumen sie entdeckt hat... Er zählte dreißig Jahre und galt schon für alt und verbraucht; seine Gestalt war hoch, aber vornübergebeugt, wie die eines Greises; sein langes Haar wehte schlohweiß im Winde; seine starken sehnigen Hände waren vertrocknet und mit Runzeln bedeckt; sein Gewand armselig und zerschlissen. Er sah linkisch und verlegen aus, sein Gesicht war bleich, traurig häßlich, ja sogar unbedeutend...“ (Seite 7) 

Das ist der alte Buchhändler Giacomo. Doch eigentlich sammelt er Bücher. Da kommt ein Typ, gibt sich als Student aus und bietet eine horrende Summe für eine für ihn zwingend karrierefördernde Handschrift... Die wichtigste Botschaft aber ist, dass er Kenntnis von dem einen Buch hat, von welchem es nur ein Exemplar in Spanien gäbe, das elektrisiert den alten schon. Doch DAS MYSTERIUM DES HEILIGEN MICHAELS hat die Buchhandlung von Baptiste bereits verlassen... Doch dann... Eine Versteigerung... da ist ja das Geld des Studenten... Eine Unmenge an Piastern... 

Doch nein, es sollte nicht sein...


„Als Giacomo durch die Straßen heimkehrte, war sein Schritt langsam und schwerfällig. Sein Antlitz sah merkwürdig und stumpfsinnig aus, seine Haltung schien grotesk und lächerlich; er glich einem betrunkenen Menschen, denn er schwankte... Er hatte die Herrschaft über seinen Geist verloren, seine Gedanken irrten umher, wie sein Leib, ziellos und ohne Plan; sie schwankten unentschlossen, schwerfällig und wunderlich...“ ( Seite 34)

Wird er das Buch bekommen? 
Er bevorzugt eine etwas ausgefallene Art des Lesens, er betrachtet seine Schätze:

„Er nahm ein Buch, blätterte in den Seiten, betastete das Papier, prüfte den Goldschnitt, den Einband, die Lettern, die Druckerschwärze, den Falz und die Anordnung der Zeichnungen um das Wort ‚Finis‘; dann stellte er es auf einen anderen Platz, in ein höheres Fach, und betrachtete stundenlang seinen Titel und seine Form.“ (Seite 9)

Eine Bücherobsession. Die eines ehemaligen, eines wahnsinnigen Mönches, der der Idolatrie (hier Bücheranbetung). Mit Haut und Haar den Bücher verfallen. Ach anfangen kann er mit ihnen wenig... [1]  

* * *

Das Buch: Ich las auf einem anderen Blog von diesem Büchlein und nein, es war nicht die Aufmachung, die Gestaltung, die mich selbigen Tages dazu brachte, meinen Zugang zu einer bekannten Buchhandelskette, die nach Muse der komischen Dichtung und der Unterhaltung benannt ist, zu aktivieren. Wenig später war ich um zwei Bücher reicher, wobei der oben genannte Professor mein Regal mit einem weiteren Buch vertreten sein wird.




Ich schrieb ja schon, Ecos Art dem „Biblio“ und den daraus entstehenden, teils manischen Verirrungen zu huldigen, führte damals bei den Buchgesichtern zu einer ganzen Reihe bibliophiler Onlinebeiträge. 

Das Buch hat keinen weichen Ledereinband, kein besonders geschöpftes oder reines Papier. Es besteht aus einem Pappeinband, dessen Buchdeckel und Rückseite die bereits erwähnten gefesselten Regale zeigen. Schon beim Aufschlagen fällt einem auf, dass die fünfundsechzig Seiten nicht alle gelesen werden müssen, denn eine ganze Reihe sind durch ganzseitige passende Illustrationen gefüllt. Man könnte auch sagen, hier passen Farbe und Inhalt zusammen, denn düster war der schon etwas. Aber die Illustrationen wirken, und das ist bei mir eher selten, sofort beim Lesen, und so verharrte ich regelmäßig vorm weiter blättern bei diesen. 

Ich stelle mir vor, dass der etwas düstere Romantiker Flaubert die Feder ins Tintenfass steckt und dann auf losen Blättern beginnt zu schreiben. Allein schon das Tintenfass zwingt zu „Halbsätzen“; bei jedem Komma erneut gleiches Procedere. Das kostet Zeit. Aus diesen Gründen wird die Schreibmaschine als "Prototyp" um die Zeit der Geschichte erfunden werden. Aber, diese Zeit verlangsamt das Fortschreiten des Textes. Vielleicht ist das der Grund, weshalb die Sätze wie aus der Zunft, der schreibenden Zunft, gefallen wirken. Wahrscheinlich brannte ein Kerze oder eine Öllampe neben ihm und rußte vor sich hin.



Gustave Flaubert


Nein es ist kein so vergnügliches Buch wie das vom italienischen Professor für Semiotik, aber die Sprache, deren Melodie, die Beschreibungen des Menschen und seiner Handlungen, das ist faszinierende Literatur, hier im Erstlingswerk eines „besten Stilisten der französischen Literatur", eines Angehörigen der Académie francaise, einer der drei großen  realistischen Erzähler (mit Stendhal und Balzac). [2] 

Trotzdem komme ich noch einmal auf Umberto Eco zurück, der meinte, auch wenn man in einer riesigen Bibliothek nicht alles gelesen hat, so nahm man doch mal ein Buch in die Hand, beim Entstauben, blättert darin herum, liest mal einen Abschnitt oder nur eine Zeile, überlegt, wer es geschrieben hat und... stellt es vielleicht an einen anderen Platz.

Endlich mal ein Versuch mit großen Franzosen, bei dem es nicht dabei geblieben ist...


© Bücherjunge





2 Kommentare:

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