Freitag, 10. Januar 2020

Leconte, Patrice: Die Liebe ist ein guter Grund, den Ärmelkanal zu durchschwimmen

Erhältlich ist dieser schmale Roman wohl nur noch gebraucht - Bastei Lübbe führt ihn jedenfalls nicht mehr in seinem aktuellen Sortiment. Glücklicherweise entdeckte ich ihn eines Tages in einer Grabbelkiste voller Mängelexemplare - und schon war er mein...
 
Verrückte Titel ziehen mich magisch an - und französische Autoren lese ich ab und an auch ganz gern. Ob ich mich mit dem kleinen Büchlein anfreunden konnte, könnt Ihr hier erfahren:







 Inhalt: (Quelle: Amazon.de)

Gérald ist das, was man das fünfte Kind hinter dem Wagen nennt: Die Familie übersieht und vergisst ihn regelmäßig. Mit der Zeit gewöhnt er sich daran, entdeckt die Vorzüge seiner Unsichtbarkeit. Als er sich jedoch eines Tages Hals über Kopf in seine schöne Kollegin Victoire verliebt, möchte Gérald endlich sichtbar werden. Sein Plan: mit einem kühnen Schwimmabenteuer Victoires Herz zu erobern. Aber die Liebe verleiht nicht nur Flügel, manchmal sorgt sie auch für unsanfte Bauchlandungen...











(K)EINE LIEBESGESCHICHTE...


Quelle: Pixabay
Gérald ist dreißig Jahre alt und von eher unscheinbarem Äußeren. Mit der Zeit hat er sich daran gewöhnt, regelmäßig übersehen zu werden, und weiß die Vorzüge seiner Transparenz zu schätzen. Als er sich jedoch eines Tages unsterblich in seine hübsche Kollegin Victoire verliebt, wünscht er sich nichts sehnlicher, als von ihr wahrgenommen zu werden. Um sie zu beeindrucken, plant er, den Ärmelkanal zu durchschwimmen. Er hinterlässt Victoire eine Nachricht, wann sie sich am Strand von Calais einfinden möge. Dort will er ihr nach seinem vierzig Kilometer langen Schwimmabenteuer bei Sonnenuntergang heldenhaft gegenübertreten. Doch sein kühner Plan birgt so manche Tücke...


"Es kam sogar vor, dass sie mich vergaßen. Meine Familie behandelte mich wie Luft (dieser Vergleich hinkt natürlich, denn Luft braucht man zum Atmen, aber meine Familie brauchte mich nicht.)" (S. 6)


Dies ist nur bedingt eine Liebesgeschichte. Gérald hat sich zwar in seine junge Kollegin Victoire verguckt, doch weiß diese (noch) gar nichts von ihrem Glück. Sie übersieht ihren unscheinbaren Kollegen meist ebenso wie die anderen Angestellten der Bank - doch das ist Gérald gewöhnt. Und eben diese 'Unsichtbarkeit' und der Weg da hinaus ist hier vor allem das Thema der kleinen Erzählung.

"Le garçon qui n'existait pas" (der Junge, der nicht existierte) lautet der fanzösische Originaltitel, der für mich den Kern der Handlung eher trifft. Niemand sieht Gérald, niemand hört ihn, niemand nimmt ihn wahr. Das ging ihm schon als (fünftes) Kind seiner Familie so, die schließlich ohne ihn nach Argentinien verzog, und danach auch sein ganzes Leben lang. Im Restaurant wird er nicht bedient, seine Kollegen bemerken nicht, dass er bei der Firmenfeier überhaupt anwesend ist und bei einem Banküberfall wird er von der Polizei noch nicht einmal zum Tathergang befragt. Es ist tatsächlich, als gebe es ihn gar nicht.


"Ich bin im Zeichen des Chamäleons geboren und kann nichts dagegen tun. Ich nehme die Farbe der Tapeten an und friste ein Schattendasein." (S. 10)


Gérald hat sich mit diesem Umstand arrangiert, möchte dann aber doch zumindest für seine hübsche Kollegin Victoire endlich sichtbar werden. Die Idee, dafür den Ärmelkanal zu durchschwimmen, ist natürlich reichlich überspannt. Aber letztlich wird es dann doch eher eine schräge Reise zu sich selbst...

Erzählt wird aus der Ich-Perspektive des 30jährigen Bankangestellten Gérald. Lakonisch berichtet er von den Erlebnissen seiner Nicht-Existenz von Kindesbeinen an, doch bei allen Versuchen, es möglichst gleichgültig und bestenfalls humorvoll darzustellen, schleicht zuweilen doch auch eine gehörige Portion Bitterkeit um die Ecke. Manche Episoden ließen mich dann aber doch kichern, denn Gérald versteht es, im Laufe der Zeit durchaus Nutzen zu ziehen aus seiner Unsichtbarkeit...

Eine Botschaft ziehe ich aus der Erzählung nicht, aber sie lässt sich flüssig an einem Nachmittag lesen und erscheint charmant, humorvoll und prall von Fantasie. Eine schräge Idee, die mich gut unterhalten konnte...


© Parden











 Produktinformation: (Quelle: Amazon.de)
  • Gebundene Ausgabe: 160 Seiten
  • Verlag: Bastei Lübbe (Lübbe Ehrenwirth); Auflage: 1. Aufl. 2015 (16. Juli 2015)
  • Sprache: Deutsch
  • Übersetzung: Karin Meddekis 
  • ISBN-10: 3431039170
  • ISBN-13: 978-3431039177



Informationen zum Autor: (Quelle: Lovelybooks)

Der französische Regisseur, Drehbuchautor und Schriftsteller Patrice Leconte kommt am 12.11.1947 in Paris zur Welt. Aufgewachsen in Tours, ist er von 1970 bis 1995 als Autor sowie Illustrator von Bildergeschichten für die Zeitschrift Pilote tätig. Im Jahr 1975 gibt er sein Regiedebüt mit einer Comic-Verfilmung, ehe er 1978 mit der Satire Les Bronzés über eine Gruppe Urlauber in einem Club Méditerrané einen bahnbrechenden Publikumserfolg in Frankreich und somit den nationalen Durchbruch schafft. Mit der amour fou-Geschichte Die Verlobung des Monsieur Hire (nach einem Roman von Georges Simenon) kann er auch als Autorenfilmer an seinen großen Erfolg anknüpfen. Im Jahr 1997 erhält Patrice Lecontes Film Ridicule eine Oscar-Nominierung. Im Jahr 2000 veröffentlicht er seine Autobiografie unter dem Titel "Je suis un imposteur".

2 Kommentare:

  1. Ich glaube da hätte ich auch zugegriffen ;-)
    Das Foto vom Schwimmer erzugte ein Lächeln in mein Gesicht.

    Regina

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    Antworten
    1. Stimmt, das wäre sicher auch ein Buch für dich! ♥ Und ja, das Foto hat was...

      Liebe Grüße,
      Anne

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