Samstag, 6. August 2016

Oskamp, Nils: Drei Steine




Vor einigen Wochen machte ein Buch aus dem Panini-Verlag eine Runde, welches sich als sogenannte Graphic Novel mit dem Thema rechter Gewalt beschäftigte. Es stellt sich mir wiederholt die Frage, inwieweit dieses Medium nun Geschichte oder Politik vermitteln kann. Es ist strittig, was denn nun eine Graphic Novel von einem Comic unterscheidet. Wird ein Comic zur Graphic Novel, wenn es thematisch und in Buchform daherkommt? 



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Dieses hier erzählt eine Geschichte, die ist in eine Rahmenhandlung eingebettet ist. Ein Vater erwacht aus einem Alptraum, sein kleiner Sohn hat ihn geweckt und möchte wissen, was den Vater so erschreckt hat. Der Junge fragt auch nach seinem Namen. Es ist der Name eines Freundes des Vaters. Sie schauen sich Fotos an. Der Vater erinnert sich: Wilhelm-Busch-Realschule in Dortmund.

Passt zum Thema: Comic lesen war verboten, so mitten in den 80zigern. Trockener Geschichtsunterricht. Holocaust. Mitschüler, die ihn in der Pause leugnen. Nils Oskamp, der dagegen spricht, Schlägerei. Auf dem Nachhauseweg kommt Nils, der Autor erzählt seine persönliche Geschichte, an einem jüdischen Friedhof vorbei, die Grabsteine wurden umgeworfen und mit Hakenkreuzen beschmiert. „Es gibt keine Gräber nach 1938…. Wenn es hier seit 45 Jahren kein jüdisches Leben mehr gibt, wie kann man dann behaupten, dass es den Holocaust nie gegeben hat?“ (Seite 20). Er nimmt DREI STEINE von einem Grabstein mit. So beginnt die Geschichte.  Nils steht ziemlich allein da. Nur einer wird zu ihm stehen, Thomas. Zuerst aus Gründen der Gerechtigkeit. Viele gegen Einen, dass macht er nicht mit.

Die, sagen wir mal jugendlich schnoddrige Art, mit der Nils gegen andere Schüler aufbegehrt, stößt auf kein Verständnis bestimmter Lehrer, so potenziert sich nach und nach der Ärger. Außerdem sind wohl einige der älteren Lehrer echt "von gestern" gepolt.

Die Erinnerungen vor Augen, beginnt Nils Oskamp seine Geschichte zu zeichnen. Die Auseinandersetzungen gehen weiter. Thomas hatte Kontakt zu einer richtigen Neonazitruppe. Doch er löst sich von ihr. 

Welchen Weg nehmen die drei Steine?

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Die Geschichte ist sehr authentisch, weil sie autobiografisch ist. Im Nachwort erklärt Nils Oskamp die Tradition der Steine auf den Grabsteinen oder Grabplatten. Den dritten Stein hat er selbst nach Yad Vashem gebracht. Eine Interpretation lautet, dass das hebräische Wort Stein aus den Silben Vater und Sohn besteht. „Was geben die Väter ihren Söhnen weiter? Den Irrglauben einer menschenverachtenden Ideologie oder Mitgefühl? Im Dortmund der 1980er Jahre waren es Altnazis, die die erste Generation von Neonazis radikalisierten. Heute haben wir es mit der zweiten und dritten Generation von Neonazis zu tun.“ (Seite 121)

Zu den drei Steinen erklärt er: „Am Anfang meiner Geschichte stehen die drei Steine für das Gedenken, ihre ursprüngliche Bedeutung. Der erste Stein wird zur Waffe, der zweite Stein zum Symbol dafür, nicht zu töten, und der dritte Stein verweist dann wieder zurück auf das Gedenken.“ (ebenda)

Das Buch schließt ab mit einem ausführlichen Bericht über die Entwicklung rechtsextremer Gruppen im Ruhrgebiet bis in die Gegenwart.

Betrachtet man nun dieses Buch in seiner Gesamtheit, dann haben wir es tatsächlich nicht mit einem Comic zu tun, sondern einer Bildergeschichte, wenn man Graphic Novel mal so übersetzt. 

Die Bilder sind sehr genau gezeichnet, die Texte sind gut lesbar. Eine sehr gute Idee sind die verschiedenen Farbschemata für die unterschiedlichen Zeitebenen von Rahmenhandlung und Rückblick. Heraus sticht die rote Farbe, sie wurde nur eingesetzt bei den Gewaltszenen mit entsprechenden Verletzungen. Die Bilderfolge ist ähnlich eines Storyboards, die Seiten laufen wirklich fast ein Film vor den Augen ab. Die Farbgestaltung gefällt mir damit besser als zum Beispiel die Bilder im Buch Jerusalem, ebenfalls aus dem Panini-Verlag.


Interessant sind auch Vorzeichnungen und Konzeptzeichnungen, die Charakterstudien über verschiedene Personen am Ende des solide gebundenen Buches. 

Ich denke schon, dass dieses Buch, einerseits wegen der kompakt erzählten Geschichte und andererseits wegen der informativen Anhänge ein interessantes Unterrichtsmittel für deutsche Geschichte bzw. die politische Bildung an Schulen ist. Grapic Novels brauchen dafür vor allem auch solche Anhänge und Erläuterungen, im Text eines Buches lassen sich vie Gedanken sicher besser unterbringen.

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Momentan äußert sich Fremdenfeindlichkeit weniger im Antisemitismus, als vielmehr gegen muslimische Flüchtlinge. Dies bedeutet aber nicht, dass Ersterer, gegebenenfalls gepaart mit der Leugnung des Holocausts, abgelöst wurden wäre.

Der das Buch abschließende Bericht benennt Bedrohungen von Abgeordneten, Rathausbesetzungen, Körperverletzungen auf und mehrfache Verbote sich immer wieder neugründender "Vereine" unter neuem Namen. Extremismus bildet sich am schnellsten dort, wo die sozioökonomische Lage schwierig wird. Zechen wurden geschlossen, Stahlwerke stillgelegt oder entsprechend modernisiert, die Zahl der Arbeitslosen stieg. In einer ehemals "arbeitgebenden" Region für Abertausende, auch tausende Gastarbeiter der ersten Generation, fühlen sich heute wohl viele an den Rand gedrängt. 

Dem östlichen Teil der Republik wird nachgesagt, dass der Boden für fremdenfeindliche, rechtsextreme Handlungen und Gruppenbildung insbesondere nach dem Fall der Mauer fruchtbar war. Da ist was dran, vor allem, wenn man oben geschilderte Aspekte bedenkt. Überlegenswert dürfte aber sein, dass für solche sich relativ schnell gebildeten Gruppen ein gewisser Anschub notwendig war und dieser dürfte auch aus den rechten Gruppen und Parteien im Westen der Republik erfolgt sein. Die in diesem Buch beschriebenen Altnazis, die junge Leute um sich scharten, dürften nach der Wende ein dankbares Betätigungsfeld gefunden haben. Zum Beispiel in Gera, Zwickau, in der Sächsischen Schweiz, wie der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) und Skinheads Sächsische Schweiz (SSS) zeigen.
Meine Schulzeit lag in Dresden ebenso genau in den 1980er Jahren. Solche Lehrer allerdings wie von Nils Oskamp beschrieben kannte ich nicht, sie wären so auch nicht möglich gewesen.

Fünfundzwanzig Jahre nach der deutschen Einheit dürfte sich das relativieren. Altnazis gibt’s nicht mehr viele, schon gar keine aktiven, aber wie wir wissen, ist „der Schoß fruchtbar noch, aus dem das kroch.“ (Brecht). Auch Nils Oskamp erwähnt die zweite und dritte Generation.

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Quelle Webseite Nils Osborn
Nils Oskamp wurde 1969 in Bochum geboren und wuchs in Dortmund auf. Er studierte Illustrator, arbeitete als solcher und als Grafiker. Er hat eine Ausbildung in Storyboard- und Charakter-Design. Daher wohl auch der oben beschriebene Eindruck. Mehrfach erhielt er auch Auszeichnungen für seine Arbeiten. *


Die Geschichte erhält mit folgendem Beitrag noch einmal eine Verstärkung, denn ehrlich gesagt hatte ich das Bild einer Schulhofklopperei vor Augen, zwar mit sehr ernstem Hintergrund und keineswegs harmlos, aber Nils Oskamp gibt in diesem kurzen Beitrag auf arte selbst noch einige Informationen dazu. Denn dieselben Leute sind heute immer noch aktiv.


Dies ist wieder ein Buch gegen das Vergessen. Davon gibt es hier im Blog schon so einige. Die Panini-Bücher Israel verstehen und Jerusalem gehören dazu wie auch Hanas Koffer, Manja oder Die Bücherdiebin.

Das Bild zeigt eine Auswahl der Graphic Novels, die teilweise bereits auf unserem Blog besprochen wurden. Jerusalem, Israel verstehen, Die drei Steine und Die Stern-Bande stammen aus dem Panini-Verlag **, bei dem ich mich für die Zusendung des Buches recht herzlich bedanken möchte.






 ► DNB / Panini-Verlag / Stuttgart 2016 / ISBN: 978-395798-646-7 / 144 S.
 ► Vorschau auf die digitale Ausgabe

© KaratekaDD
aktualisiert: 15.08.2016

 *  siehe http://www.oskamp.de/about/
** Schaut man auf die erste Seite dieses Links, vermutet man solch aktuell politischen Bücher eher nicht. Da muss man schon mal suchen



1 Kommentar:

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