Vor einigen Wochen machte ein Buch aus dem Panini-Verlag
eine Runde, welches sich als sogenannte Graphic Novel mit dem Thema rechter
Gewalt beschäftigte. Es stellt sich mir wiederholt die Frage, inwieweit dieses
Medium nun Geschichte oder Politik vermitteln kann. Es ist strittig, was denn
nun eine Graphic Novel von einem Comic unterscheidet. Wird ein Comic zur
Graphic Novel, wenn es thematisch und in Buchform daherkommt?
* * *
Dieses hier erzählt eine Geschichte, die ist in eine
Rahmenhandlung eingebettet ist. Ein Vater erwacht aus einem Alptraum, sein kleiner
Sohn hat ihn geweckt und möchte wissen, was den Vater so erschreckt hat. Der Junge
fragt auch nach seinem Namen. Es ist der Name eines Freundes des Vaters. Sie schauen
sich Fotos an. Der Vater erinnert sich: Wilhelm-Busch-Realschule in Dortmund.
Passt zum Thema: Comic lesen war verboten, so mitten in den
80zigern. Trockener Geschichtsunterricht. Holocaust. Mitschüler, die ihn in der
Pause leugnen. Nils Oskamp, der dagegen spricht, Schlägerei. Auf dem
Nachhauseweg kommt Nils, der Autor erzählt seine persönliche Geschichte, an einem jüdischen
Friedhof vorbei, die Grabsteine wurden umgeworfen und mit Hakenkreuzen
beschmiert. „Es gibt keine Gräber nach 1938…. Wenn es hier seit 45 Jahren kein
jüdisches Leben mehr gibt, wie kann man dann behaupten, dass es den Holocaust
nie gegeben hat?“ (Seite 20). Er nimmt DREI STEINE von einem Grabstein mit. So beginnt
die Geschichte. Nils steht ziemlich
allein da. Nur einer wird zu ihm stehen, Thomas. Zuerst aus Gründen der
Gerechtigkeit. Viele gegen Einen, dass macht er nicht mit.
Die, sagen wir mal jugendlich schnoddrige Art, mit der Nils
gegen andere Schüler aufbegehrt, stößt auf kein Verständnis bestimmter Lehrer,
so potenziert sich nach und nach der Ärger. Außerdem sind wohl einige der älteren Lehrer echt "von gestern" gepolt.
Die Erinnerungen vor Augen, beginnt Nils Oskamp seine
Geschichte zu zeichnen. Die Auseinandersetzungen gehen weiter. Thomas hatte
Kontakt zu einer richtigen Neonazitruppe. Doch er löst sich von ihr.
Welchen Weg nehmen die drei Steine?
* * *
Die Geschichte ist sehr authentisch, weil sie
autobiografisch ist. Im Nachwort erklärt Nils Oskamp die Tradition der Steine
auf den Grabsteinen oder Grabplatten. Den dritten Stein hat er selbst nach Yad
Vashem gebracht. Eine Interpretation lautet, dass das hebräische Wort Stein aus
den Silben Vater und Sohn besteht. „Was geben die Väter ihren Söhnen weiter?
Den Irrglauben einer menschenverachtenden Ideologie oder Mitgefühl? Im Dortmund
der 1980er Jahre waren es Altnazis, die die erste Generation von Neonazis
radikalisierten. Heute haben wir es mit der zweiten und dritten Generation von
Neonazis zu tun.“ (Seite 121)
Zu den drei Steinen erklärt er: „Am Anfang meiner Geschichte
stehen die drei Steine für das Gedenken, ihre ursprüngliche Bedeutung. Der
erste Stein wird zur Waffe, der zweite Stein zum Symbol dafür, nicht zu töten,
und der dritte Stein verweist dann wieder zurück auf das Gedenken.“ (ebenda)
Das Buch schließt ab mit einem ausführlichen Bericht über die
Entwicklung rechtsextremer Gruppen im Ruhrgebiet bis in die Gegenwart.
Betrachtet man nun dieses Buch in seiner Gesamtheit, dann
haben wir es tatsächlich nicht mit einem Comic zu tun, sondern einer
Bildergeschichte, wenn man Graphic Novel mal so übersetzt.
Die Bilder sind sehr genau gezeichnet, die Texte sind gut
lesbar. Eine sehr gute Idee sind die verschiedenen Farbschemata für die
unterschiedlichen Zeitebenen von Rahmenhandlung und Rückblick. Heraus sticht
die rote Farbe, sie wurde nur eingesetzt bei den Gewaltszenen mit
entsprechenden Verletzungen. Die Bilderfolge ist ähnlich eines Storyboards, die
Seiten laufen wirklich fast ein Film vor den Augen ab. Die Farbgestaltung
gefällt mir damit besser als zum Beispiel die Bilder im Buch Jerusalem,
ebenfalls aus dem Panini-Verlag.
Interessant sind auch Vorzeichnungen und Konzeptzeichnungen,
die Charakterstudien über verschiedene Personen am Ende des solide gebundenen
Buches.
Ich denke schon, dass dieses Buch, einerseits wegen der
kompakt erzählten Geschichte und andererseits wegen der informativen Anhänge
ein interessantes Unterrichtsmittel für deutsche Geschichte bzw. die politische
Bildung an Schulen ist. Grapic Novels brauchen dafür vor allem auch solche Anhänge und Erläuterungen, im Text eines Buches lassen sich vie Gedanken sicher besser unterbringen.
* * *
Momentan äußert sich Fremdenfeindlichkeit weniger im Antisemitismus,
als vielmehr gegen muslimische Flüchtlinge. Dies bedeutet aber nicht, dass
Ersterer, gegebenenfalls gepaart mit der Leugnung des Holocausts, abgelöst wurden wäre.
Der das Buch abschließende Bericht benennt Bedrohungen von Abgeordneten, Rathausbesetzungen, Körperverletzungen auf und mehrfache Verbote sich immer wieder neugründender "Vereine" unter neuem Namen. Extremismus bildet sich am schnellsten dort, wo die sozioökonomische Lage schwierig wird. Zechen wurden geschlossen, Stahlwerke stillgelegt oder entsprechend modernisiert, die Zahl der Arbeitslosen stieg. In einer ehemals "arbeitgebenden" Region für Abertausende, auch tausende Gastarbeiter der ersten Generation, fühlen sich heute wohl viele an den Rand gedrängt.
Dem östlichen Teil der Republik wird nachgesagt, dass der Boden für fremdenfeindliche, rechtsextreme Handlungen und Gruppenbildung insbesondere nach dem Fall der Mauer fruchtbar war. Da ist was dran, vor allem, wenn man oben geschilderte Aspekte bedenkt. Überlegenswert dürfte aber sein, dass für solche sich relativ schnell gebildeten Gruppen ein gewisser Anschub notwendig war und dieser dürfte auch aus den rechten Gruppen und Parteien im Westen der Republik erfolgt sein. Die in diesem Buch beschriebenen Altnazis, die junge Leute um sich scharten, dürften nach der Wende ein dankbares Betätigungsfeld gefunden haben. Zum Beispiel in Gera, Zwickau, in der Sächsischen Schweiz, wie der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) und Skinheads Sächsische Schweiz (SSS) zeigen.
Der das Buch abschließende Bericht benennt Bedrohungen von Abgeordneten, Rathausbesetzungen, Körperverletzungen auf und mehrfache Verbote sich immer wieder neugründender "Vereine" unter neuem Namen. Extremismus bildet sich am schnellsten dort, wo die sozioökonomische Lage schwierig wird. Zechen wurden geschlossen, Stahlwerke stillgelegt oder entsprechend modernisiert, die Zahl der Arbeitslosen stieg. In einer ehemals "arbeitgebenden" Region für Abertausende, auch tausende Gastarbeiter der ersten Generation, fühlen sich heute wohl viele an den Rand gedrängt.
Dem östlichen Teil der Republik wird nachgesagt, dass der Boden für fremdenfeindliche, rechtsextreme Handlungen und Gruppenbildung insbesondere nach dem Fall der Mauer fruchtbar war. Da ist was dran, vor allem, wenn man oben geschilderte Aspekte bedenkt. Überlegenswert dürfte aber sein, dass für solche sich relativ schnell gebildeten Gruppen ein gewisser Anschub notwendig war und dieser dürfte auch aus den rechten Gruppen und Parteien im Westen der Republik erfolgt sein. Die in diesem Buch beschriebenen Altnazis, die junge Leute um sich scharten, dürften nach der Wende ein dankbares Betätigungsfeld gefunden haben. Zum Beispiel in Gera, Zwickau, in der Sächsischen Schweiz, wie der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) und Skinheads Sächsische Schweiz (SSS) zeigen.
Meine Schulzeit lag in Dresden ebenso genau in den 1980er
Jahren. Solche Lehrer allerdings wie von Nils Oskamp beschrieben kannte ich nicht, sie
wären so auch nicht möglich gewesen.
Fünfundzwanzig Jahre nach der deutschen Einheit dürfte
sich das relativieren. Altnazis gibt’s nicht mehr viele, schon gar keine
aktiven, aber wie wir wissen, ist „der Schoß fruchtbar noch, aus dem das kroch.“
(Brecht). Auch Nils Oskamp erwähnt die zweite und dritte Generation.
* * *
Quelle Webseite Nils Osborn |
Nils Oskamp wurde 1969 in Bochum geboren und wuchs in Dortmund auf. Er studierte Illustrator, arbeitete als solcher und als Grafiker. Er hat eine Ausbildung in Storyboard- und Charakter-Design. Daher wohl auch der oben beschriebene Eindruck. Mehrfach erhielt er auch Auszeichnungen für seine Arbeiten. *
Die Geschichte erhält mit folgendem Beitrag noch einmal eine Verstärkung, denn ehrlich gesagt hatte ich das Bild einer Schulhofklopperei vor Augen, zwar mit sehr ernstem Hintergrund und keineswegs harmlos, aber Nils Oskamp gibt in diesem kurzen Beitrag auf arte selbst noch einige Informationen dazu. Denn dieselben Leute sind heute immer noch aktiv.
Die Geschichte erhält mit folgendem Beitrag noch einmal eine Verstärkung, denn ehrlich gesagt hatte ich das Bild einer Schulhofklopperei vor Augen, zwar mit sehr ernstem Hintergrund und keineswegs harmlos, aber Nils Oskamp gibt in diesem kurzen Beitrag auf arte selbst noch einige Informationen dazu. Denn dieselben Leute sind heute immer noch aktiv.
Dies ist wieder ein Buch gegen das Vergessen. Davon gibt es
hier im Blog schon so einige. Die Panini-Bücher Israel
verstehen und Jerusalem
gehören dazu wie auch Hanas
Koffer, Manja
oder Die
Bücherdiebin.
Das Bild zeigt eine Auswahl der Graphic Novels, die teilweise bereits auf unserem Blog besprochen wurden. Jerusalem, Israel verstehen, Die drei Steine und Die Stern-Bande stammen aus dem Panini-Verlag **, bei dem ich mich für die Zusendung des Buches recht herzlich bedanken möchte.
► DNB / Panini-Verlag / Stuttgart 2016 / ISBN: 978-395798-646-7 / 144 S.
► Vorschau auf die digitale Ausgabe
© KaratekaDD
aktualisiert: 15.08.2016
aktualisiert: 15.08.2016
* siehe http://www.oskamp.de/about/
** Schaut man auf die erste Seite dieses Links, vermutet man solch aktuell politischen Bücher eher nicht. Da muss man schon mal suchen
** Schaut man auf die erste Seite dieses Links, vermutet man solch aktuell politischen Bücher eher nicht. Da muss man schon mal suchen
Eine gelungene Buchbesprechung!
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