Zwischendurch gelesen.
Gelegentlich unterhält man sich ja auch in der Verwandtschaft über Bücher. Und Verwandtschaft hat beileibe nicht, oder nicht immer, oder meist nicht den gleichen Lesegeschmack. Letztens suchten wir den Roman PLANET DES TODES von Stanislaw Lem. Zuerst fanden wir nur GAST IM WELTRAUM von ebendiesem polnischen Autoren.
Den Film DER SCHWEIGENDE STERN, die Geschichte des PLANET DES TODES sahen wir dann von einer DVD. Filmmaterial aus den sechziger Jahren. Man siehe, wenn nicht zu Hand irgendeine Folge aus der ersten STAR TREK Serie.
Im Zuge der Diskussion, was denn eigentlich Sience-Fiction wäre, was utopisch und was wissenschaftlich-fantastisch, ging es plötzlich um ENDERS GAME. Oder auf Deutsch ENDERS SPIEL von Orson Scott Card.
Vermutlich wäre es interessant, die vergangenen Ausgaben (1977, 1985,1991) mal zu vergleichen, hier bleibt nun aber erstmal nur die Besprechung der deutschen Ausgabe von 2012 aus dem Heyne Verlag mit Hinweisen auf die Verfilmung im Jahr 2013.
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Die Geschichte:
Vor rund 70 bis 80 Jahren wurde die Erde von Außerirdischen, den ameisenähnlichen Krabblern angegriffen. In mehreren Invasionskriegen gelang es, die Angriffe zurückzuweisen und die Krabbler zu schlagen. Als großer Held steht Mazer Rackham immer noch im Rampenlicht. Diese Krabbler verfügen über außergewöhnliche „Echtzeitkommunikation“ und können sich äußerst schnell auf neue Gegebenheiten, Waffen, Taktiken und mehr einstellen. Doch die „Königin“ der Krabbler führt absolut zentral. Es gibt nur die eine Zentrale.
Die Erde ist (wieder einmal) in zwei Pakte zerfallen. Noch arbeiten die Staaten in der I.F. (International Forces) zusammen. Aber der Anführer der Staaten, der HEGEMON gehört dem westlichen Bündnis an, der POLEMARCHOS, der Oberbefehlshaber ist wohl Russe. Außerdem gibt es noch den STRATEGOS, den Heerführer – Die Staaten leiten die Titel ihrer Führer aus der griechischen Antike ab, sie wollen wohl darstellen, das von der Demokratie etwas übrig wäre. Beschrieben wird allerdings eher eine Diktatur und in dieser lebt die Familie Wiggins.
Zwei Kinder, Peter und Valentine, waren bereits auf der sogenannten Kampfschule der I.F. Peter allerdings ist ein brutaler, über Leichen gehender Typ, Valentine´s Sanftmut passte den Vorgesetzten auch nicht ins Konzept. So durften die Eltern einen (in der Gesellschaft verachteten) „DRITT“ bekommen, denn die Intelligenz der älteren Geschwister war einzigartig. Der DRITT ist Andrew, genannt ENDER. Dessen Geschichte wird nun auf 465 Seiten erzählt.
Oberst Graff und Major Anderson sind Lehrer und Erzieher an der Kampfschule, die der sechsjährige Ender nun kennenlernt. Seine außergewöhnlichen Fähigkeiten, insbesondere sein Können, die „Computerspiele“ viel schneller als andere zu durchschauen, führen zu Beförderungen: Er verlässt das START-Team viel schneller, setzt sich im Kommando der Salamander gegen den Kommandanten durch, kommt in ein weiteres Team und bekommt danach als jüngster dann ein eigenes Team, die DRACHEN. Mit denen zeigt er seine Führungseigenschaften, er setzt auf Eigeninitiative, Variantenreichtum und auf die Fähigkeiten der Untergebenen. So kommt es, dass er die Kampfschule bereits mit elf Jahren verlässt und mit Oberst Graff auf die Kommandoschule auf einem ehemaligen Krabbler-Stützpunkt, dem Asteroiden Eros fliegt. Er ist der, welcher die vermutlich bevorstehende erneute Invasion der Krabbler abwehren und diese vernichten soll. Wird er es schaffen, gemeinsam mit Mazer Rackman, mit Alai, dem Freund aus der Startergruppe, mit Petra, die, selbst Außenseiterin, mit ihm im Kampfraum trainierte und mit Bean, ebenfalls einem kleinerem Jungen, der ihm bei den Drachen zugeteilt wurde?...
Die Geschwister:
Der ältere brutale Peter hat den jüngsten, den verachteten „Dritt“ gequält und gedemütigt. Beschützt wurde er von der Zweitgeborenen, von Valentine. Sie spielt eine wichtige Rolle in der jahrelangen Ausbildung ihres jüngeren Bruders. In einer Ausbildungskrise Enders gewinnt Oberst Graff Valentine dafür, ihren Bruder von der Sinnhaftigkeit seiner Ausbildung zu überzeugen.
Eine „kleine“ Erpressung ist im Spiel: Peter und Valentine haben sich, obwohl noch Kinder, in den größten Computernetzen der Erde zu bekannten Kolumnisten entwickelt. Der nach Macht strebende Peter schreibt als Locke (nach dem bekannten Menschenrechtler) und Valentine als Demosthenes (athenischer Redner und Staatsmann). Während Peter selbst an die Spitze der Weltregierung will (Hegemon), aber auch den drohenden Krieg der Gesellschaftssysteme verhindern möchte, hetzt Valentine als Gegenpart demagogisch gegen zweiten Warschauer Pakt. Sie ist hin und her gerissen: Sie kennt die Abscheulichkeiten Peters (z.B. Tierquälerei), meint aber auch, dass er anders geworden ist. Beide besetzen mit ihren Kolumnen eigentlich die Person des jeweils anderen.
Valentin liebt Ender immer noch, trotz jahrelang unterbrochenen Kontaktes, sämtliche Kommunikation wir durch Graff und Co verhindert. Valentine wird am Ende erneut der wichtigste Partner für Ender; ob Peter sein Ziel erreichen wird?
Ender hat Angst, denn bereits zweimal hat er brutal andere Schüler zusammengeschlagen (dass er sie getötet hat, weiß er gar nicht) und meint, wie Peter zu sein. Valentine gesteht er, dass er aber nur eines möchte: Auch von Peter geliebt zu werden.
Die Gesellschaft:
Es ist nicht ganz klar, was für eine Art Gesellschaft sich auf der Erde entwickelt hat. Die Art und Weise, wie das Militär befähigte Kinder aus den Familien wegholt um sie als Raumpiloten und Kommandeure auszubilden, die Verhinderung jeglicher Kommunikation, die Darstellung der bisherigen Krabbler-Invasionen gegenüber der „nicht eingeweihten“ Menschen, lassen auf eine Diktatur schließen, in der sich zwei, auch kriegsbereite Staatengemeinschaften gegenüberstehen. Der Begriff des Zweiten Warschauer Paktes ist vermutlich der Überarbeitung der Ausgaben geschuldet, in der ersten Ausgabe gab es den „ersten“ ja noch wirklich. Von einer NATO als solcher wird gar nicht gesprochen. Das Ziel der vollständigen Vernichtung des außerirdischen Lebens zeigt den Hang zum Völkermord. Im Zusammenhang mit seiner Angst, so zu werden wie sein Bruder, lehnt Ender am Ende eine solche Lösung selber ab.
Das Militär:
Kampf- und Kommandoschule unterrichten einerseits durch Drill, andererseits zeigen auch Graff und Anderson, dass sie sich mit den Eigenschaften der anvertrauten Kindersoldaten intensiv beschäftigen und diese keinesfalls als Kanonenfutter sehen. Major Anderson geht dabei weiter als Graff, der seinen Vorgesetzten, die erst am Ende als solche sichtbar werden, berichten muss. Andererseits ist es seltsam, dass sie Jungs als Kommandeure einsetzen, die augenscheinlich und eindeutig nicht als solche geeignet sind. Es steht wohl die ziemlich verzweifelte Suche nach dem EINEN Flottenkommandeur dahinter, auf den man hofft. Die im Buch gezeigten Widersprüche scheinen diesbezüglich unlösbar. Warum eigentlich schult man Kinder?
Die Lösung, die Ender am Ende seiner Abschlussprüfung auf der Kommandoschule zeigt, erinnert ein wenig an den Kobayashi-Maru-Test aus dem zweiten Star Trek Film DER ZORN DES KHAN: Nun unter großen Opfern oder Selbstvernichtung ist der Sieg möglich.
Computerspiele:
Im Jahr 1977, als die Geschichte als Kurzgeschichte erstmals veröffentlicht wurde, aber auch im Jahr 1985, als der Roman erschien, waren Computerspiele in der Regel zweidimensionale „Spielereien“. Zumindest für die „allgemeinen“ Computerspieler, die sich ein solches Gerät schon mal leisten konnten. Die beschriebenen äußerst komplexen Spiele und Simulationen dürften eine Spannung aufgebaut haben, die wahrhaftig fantastisch wirkte.
Heute sind viele solcher Dinge bereits vorhanden. Die Komplexität scheint noch nicht erreicht zu sein, doch viele Schritte fehlen wohl nicht. Das Psychospiel, welches Ender immer wieder versucht, zeigt in den fortgeschrittenen Levels plötzlich „Eigenleben“, die Psyche des Spielers wird unmittelbar vom „Spiel“ verwendet.
Warum Kindersoldaten? Der Autor spielt wohl, und das ist für die Entstehungszeit des Romans bemerkenswert, auf deren Leistungsfähigkeit an, die es ermöglicht, spielerisch komplexe Situationen zu erfassen und Lösungen zu finden. Heute wäre es wohl eher denkbar, aus den besten „Spielerkindern“ einige herauszufinden, deren Leistungsfähigkeit für die Lösung solch komplexer Situationen gegeben ist. Ob dies Erwachsenen gleichwohl möglich wäre?
Der Film:
Harrison Ford spielt den Oberst Graff, Ben Kingsley den Mazer Rackham und Viola Davis Major Anderson. Anders als im Buch spielt die Handlung nicht während mehrerer Jahre, sondern nur in Monaten oder Wochen. Dadurch wird die Ausbildung und Entwicklung des Ender Wiggins allerdings ziemlich unglaubwürdig. Die gesellschaftlichen Gegebenheiten auf der Erde wurden ausgeblendet, alles konzentriert sich auf den Kampf gegen die Außerirdischen. Die Rollen von Peter und Valentine wurden auf die Geschwisterrolle reduziert. Dass die Krabbler nun Formics heißen, spielt keine Rolle.
Die Erläuterung des Produzenten, Card selbst, hilft da weiter. Die Konzentration erfolgte noch stärker auf Ender. Dem Film dürfte so besser zu folgen sein, bekannter Weise sollte man ja eh nicht annehmen, dass solch komplexe Romane gleichermaßen verfilmt werden könnten.
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Trailer YouTube
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Buch wie Film waren einerseits durchaus lesenswert wie spannungsreich anzuschauen. Das Buch mit seinen Hintergründen und Nebengeschichten natürlich noch mehr. Die Botschaft allerdings erachte ich als ziemlich fragwürdig. Das betrifft natürlich zuerst das Thema Kindersoldaten, denen eingetrichtert wird, dass sie die militärischen Retter der Menschheit werden sollen. Dem Ziel, der Vernichtung der Menschheit zu entgehen, wird sehr viel untergeordnet. Da lässt man schon mal ungeeignete Jungs in Führungspositionen um herauszufinden, wie diese auf andere wirken. Dass dies nicht öfter in Mord und Totschlag (nur einmal) endet, wirkt ebenfalls unglaubwürdig. Welche Gegensätze auf der Erde wirken, ein Krieg zwischen den Pakten wird nach der Abwehr der möglichen Krabbler-Invasion als sehr wahrscheinlich angesehen, wird kaum erklärt.
Während die Fähigkeit von Kindern, unkonventionelle Lösungen für Videospiel zu finden noch verständlich erscheint, so ist die Manipulation, welche die Kinder Peter als Kolumnist LOCKE und Valentine als DEMOSTHENES erreichen, trotz ihres brillanten Verstandes nicht nachzuvollziehen. Denn dies ist kein Spiel.
Die Kritiken reichen von Ablehnung wegen Verherrlichung des Kriegsspieles der Kindersoldaten und kritiklose Nichtbeantwortung moralischer Fragen bis zur Attestierung eines gewissen Unterhaltungswertes. Der Roman selbst wirkt wesentlich gesellschaftskritischer als der Film, bei dem das Kriegsspiel bei weitem überwiegt.
SPRECHER DER TOTEN und ENDERS SCHATTEN könnte man daher vielleicht für Fans empfehlen.
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Ausgabe 1986 |
Der 1951 geborene US-amerikanische Schriftsteller Orson Scott Card schreibt wohl hauptsächlich Science Fiction und wurde mit DAS Große spiel bekannt. Der Roman erhielt mehrere Auszeichnungen, ebenso wie der Nachfolger SPRECHER FÜR DIE TOTEN. Laut Wikipedia wird er eher als rechts-konservativ eingeschätzt, was Buch und Film aus meiner Sicht eher bestätigen.
► DNB / Heyne Verlag / München 2012 / ISBN: 978-3-453-31420-7 / 465 Seiten
© KaratekaDD
Der Film lebt in weiten Teilen von den Spezialeffekten und der charismatischen Darstellung von Kingsley und Ford. Mir wurde zu viel weggekürzt. Es gibt noch eine Hörspielfassung, die sich auf Dialoge des Buchs und Soundeffekte reduziert. Trotzdem sehr gelungen.
AntwortenLöschenDie Logik innerhalb der Story bleibt tatsächlich oftmals auf der Strecke. Insbesondere der Schluss, der so vollkommen aus der Handlung fällt, konnte mich nicht wirklich überzeugen.
Sag ich ja, die gesamte gesellschaftliche Situation blieb im Film auf der Strecke.
LöschenIm Buch erscheint der Schluss logisch. Wie wird Ender zum Sprecher der Toten? Folgerichtig zusammen arbeitend mit Valentine?
Im Film wird das selbst wenn man das Buch gelesen hatte nur oberflächlich angerissen, hat man das Buch nicht gelesen, bleibt es unverständlich.
Danke für den Kommentar, Markus.
Andrew "Ender" Wiggins - Der Auserwählte?
AntwortenLöschenFrodo Beutlin oder Harry Potter der Zukunft?
(Frodo ist älter...)
Die Geschichten ähneln sich.
Wieder ein schönes 'Rundum-Paket', das Du hier lieferst. Gerade der Vergleich Buch und Film interessiert Fans sicherlich. Ich gehöre allerdings wohl eher nicht der Zielgruppe an... ;)
AntwortenLöschenImmer wieder erstaunlich, wie man ein und denselben Film so unterschiedlich wahrnehmen kann :) (Das Buch habe ich bisher nicht gelesen.) Ohne zu spoilern, kann ich hier wenig dazu sagen, aber für mich war die Botschaft keineswegs eine Verherrlichung des Kriegsspiels oder gar fehlende Moral. Ganz im Gegenteil, der Clou ist für mich gerade die Prämisse, dass Kindersoldaten manipulierbar sind. Damit steht und fällt die gesamte Handlung. Ein bisschen vorhersehbar im letzten Drittel, aber konsequent zu Ende gedacht, fand ich.
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