Abb 1 |
„Roter Vogel“ heißt
auf Lakota Zitkala-Ša. Zitkala-Ša wure im Jahr 1876 geboren. In
diesem Jahr wurde durch die vereinten Stämme der „Sieben Ratsfeuer“ – Dakota –
und der Cheyenne unter Führung von Tȟašúŋke Witkó, Tȟatȟáŋka Íyotake[1]
und Matohinshdar, besser bekannt als Grazy Horse, Sitting Bull und Gall, die
Schlacht am Little Bighorn gewonnen und das 7th. Kavallerieregiment unter Lt.
Col. Custer geschlagen.[2]
Doch ist ihr
Geburtsjahr wohl weniger ausschlaggebend für ihren späteren
schriftstellerischen, politischen und musikalischen Einsatz für die Rechte und
die Kultur der Indianer.[3] Gertrude Simmon Bonnin besuchte als junges Mädchen eine Boarding School, eine Internatsschule und lernte
dort wohl hervorragend Englisch. Dies bewies sie 1896 auf einem Rede-Wettbewerb
mit dem Vortrag „Seite an Seite“.[4]
Dieser ist in Roter Vogel erzählt abgedruckt und wird hier noch näher behandelt
werden.
Später unterrichtete
sie zwei Jahre an der Carlisle Indian Industrial Border School.[5]
Diese Schule war
eine der ersten und ihr Gründer Richard Pratt hatte den Standpunkt, dass „man
den Indianer in den Kindern töten muss, um Amerikaner aus ihnen zu machen.“[6]
Mit Zitkala-Ša ist dies überhaupt nicht gelungen,
diese Art von „Lehr- und Lernziel“ veranlasste die talentierte Halbindianerin
die Schule wieder zu verlassen.
Abb 2 |
Im ersten Teil von des
Buches gibt es einen Abschnitt der mit „Schultage eines Indianermädchens“
überschrieben ist. Darin erzählt sie, die ja unbedingt auf die Schule wollte,
in das „Land der Roten Äpfel“, wie ihr die Haare geschnitten werden sollten:
„Auf Händen und Füßen kroch ich unter das
Bett und kauerte mich in den dunklen Winkel.
Ich spähte aus meinem Versteck hervor, vor
Furcht bebend, wenn ich in der Nähe Schritte vernahm. Obgleich im Saal laute
Stimmen meinen Namen riefen… öffnete ich nicht den Mund, um zu antworten. Die
Schritte wurden immer schneller und die Stimmen aufgeregter. Die Geräusche
kamen immer näher. Frauen und Mädchen kamen in das Zimmer. Ich hielt den Atem
an und beobachtete, wie sie Schranktüren öffneten und hinter große Koffer
spähten. Jemand zog die Vorhänge auf, und plötzlich war der Raum von Licht
durchflutet… Ich erinnere mich daran, wie ich darunter hervorgezogen wurde,
obgleich ich mich mit Tritten zur Wehr setzte und wild kratzte. Gegen meinen
Willen wurde ich die Treppen hinabgetragen und fest an einen Stuhl gebunden.
Ich schrie laut, warf die ganze Zeit meinen
Kopf hin und her, bis ich die kalten Klingen der Schere an meinem Hals spürte
und das Geräusch hörte, mit dem sie einen meiner dicken Zöpfe abfraßen. Ich war
außer mir. Seit ich von meiner Mutter weggeführt worden war, hatte ich die
schlimmsten Demütigungen erdulden müssen. Leute hatten mich angestarrt. Ich
wurde in die Luft geworfen wie eine Holzpuppe. Und jetzt wurde mir mein langes
Haar abgeschnitten wie bei einem Feigling! In meiner Seelennot wimmerte ich
nach meiner Mutter, aber niemand kam, um mich zu trösten. Nicht eine einzige
Seele sprach ruhig mit mir, wie meine Mutter dies zu tun pflegte. Von nun an
war ich nur noch eines von vielen kleinen Tieren, die von einem Hirten
getrieben wurden.“[7]
In der
US-amerikanischen Miniserie „Into the West“ wird im fünften Teil gezeigt, wie
eine Gruppe Indianerkinder in die Schule des Capt. Pratt kommt. Es ist, als ob
der Regisseur Zitkala-Ša´s Beschreibungen gelesen hätte. Und auch die
Darstellungen der Liselotte Welskopf-Henrich von den Schulbedingen achtzig
Jahre später zeigen Parallelen auf. Das Verbot „indianisch“ zu sprechen war
auch zu dieser Zeit, als Zitkala-Ša bereits mehr als zwanzig Jahre vorher
starb, immer noch präsent.
5 Teil von Into the West - YouTube
Die Autorin erzählt
auch von ihrem ersten Tag als Lehrerin an der genannten Indianerschule und
ihrer Begegnung mit Richard Pratt.
Abb 3 Capt. Pratt |
„Ich sah vor mir die eindrucksvolle Gestalt
eines stattlichen grauhaarigen Mannes. In seiner Linken hielt er einen leichten
Strohhut, und die rechte Hand streckte er mir zur Begrüßung entgegen. Er
lächelte mich freundlich an. Aus irgendeinem Grund fühlte ich mich eingeschüchtert
von seiner bemerkenswerten Größe und seinen starken. quadratischen Schultern,
die sich, wie es mir schien, knapp oberhalb meinen Kopfes befanden. Mir war
klar, dass es sich um den Schulleiter handeln musste…
‚Aha! Sie sind also das kleine Indianermädchen,
das für so viel Aufregung bei den College-Rednern gesorgt hat!‘ sagte er mehr
zu sich selbst als an mich gerichtet- Ich glaubte, einen leichten Unterton von
Enttäuschung in seiner Stimme wahrzunehmen.“[8]
Wer sich für die
Indianerliteratur nicht nur der Professorin Welskopf-Henrich interessiert,
findet in Zitkala-Ša eine Augenzeugin der besonderen Art, denn trotz der oben
angedeuteten Erziehungsmethoden passieren mit ihr zwei Dinge: Zum einen wird
sie wirklich Amerikanerin. Sie behält ihre Identität als Lakota, als die sie
aufgewachsen und hält die Vereinigten Staaten für das fortschrittlichste,
freiheitlichste und demokratischste Land der Welt. Genau wie die vielen
irischen, polnischen, russischen, spanischen, italienischen Amerikaner auch.
Sie sieht die vielen Unlänglichkeiten, die in extremer Rassendiskriminierung
ihren Höhepunkt finden und kämpft als Lehrerin, Musikerin und Politikerin in
der Society of American Indians
und gründet später die National Council of American Indians gemeinsam mit ihrem
Ehemann. Gegen die Politik des Bureau of Indian Affairs kämpft sie an ohne
ihren amerikanischen und indianischen Standpunkt zu verlassen.
Wie weit die junge Indianerin hierbei bereits mit ungefähr
zwanzig Jahren war, zeigt der Vortrag „Seite an Seite“, mit dem sie den zweiten
Preis in einem Wettbewerb gewann.
Diesen Vortrag beginnt sie mit „Das Universum ist das
Ergebnis der Evolution.“ Die Eroberung Britanniens durch die Sachsen und die
Magna Carta Libertatum führt sie weiter zu den Eingeborenen Amerikas und die
Ankunft einer „bleicheren Rasse“.
Sie ergreift Partei für „ihr Volk“ mit „Einer Nation im
langsamen Lauf von Jahrhunderten das Leben zu nehmen, ist wohl kein geringeres
Verbrechen, als sie in einem Augenblick mit einem tödlichen Schlag zu
zerschmettern."
Am Ende des 19. Jahrhunderts zeugt der Vortrag von großem
Wissen und großer Reife, wenn sie trotzdem ausführt:
„Amerika begann seine
Laufbahn von Freiheit und Wohlstand mit der Erklärung, dass ‚alle Menschen frei
und gleich geboren sind‘. Sein Wohlstand ist in dem Maße gewachsen, wie es
seinen Bürgern das Geburtsrecht auf Freiheit und Gleichheit bewahrt hat.
Abgesehen von der Forderung nach allgemeiner Menschlichkeit, könnt ihr als
konsequente Amerikaner es denn einem amerikanischen Volk verwehren, dass es die
gleichen Chancen wie ihr selbst hat bei seinem Kampf darum, sich aus
Unwissenheit und Erniedrigung zu erheben? Der Anspruch auf Brüderschaft. Auf
Liebe und späte Gerechtigkeit, die einer benachbarten Rasse zustehen, kann doch
von eurem Herzen und eurem Bewusstsein nicht völlig unverstanden bleiben.“[9]
* * *
Abb 4 |
Das Buch besteht aus drei Teilen. Der erste Teil ist mit
Indianische Erzählungen überschrieben. Hier erzählt Zitkala-Ša auch von ihrer Kindheit und Jugend. Im zweiten Teil geht es um
Mythen, Märchen und Legenden.[10]
Der dritte Teil beinhaltet Vorträge und Essays, er spiegelt die politische
Tätigkeit der Autorin wieder. Mehrere Bücher wurden hier in der Auflage des
Palisander-Verlages verwendet. Bereits im Jahr 1901 brachte Zitkala-Ša das Buch Old Indian Legends heraus. Dieses wurde von Hinook-Mahiwi-Kilinaka (Angel de
Cora 1871 – 1919), einer Winnebago-Indianerin illustriert. Von ihr finden sich
in der hier vorgestellten Ausgabe ebenfalls Zeichnungen (2. Teil) wieder,
außerdem wurden zwei Erzählungen und eine autobiografische Skizze im Anhang mit
aufgenommen.[11]
In dieser erzählt
sie, dass sie im Jahr 1906 vom Kommissar für Indianerangelegenheiten auf
Talentsuche u.a. in die Carlisle Indian School gesendet wurde. „Es besteht kein Zweifel daran, dass junge
Indianer ein Talent für bildliche Darstellung besitzen, und das künstlerische
Verständnis der Indianer verdient es sehr wohl, anerkannt zu werden.“[12]
Ein weiteres Buch mit dem Titel American Indian Stories erschien mit autobiografischen Texten und weiteren Geschichten im Jahr 1921. [11]
Zitkala-Ša selbst
hat im Jahr 1913 „The Sun Dance Opera“ aufgeführt, eine Oper, an der
Ute-Indianer beteiligt waren. Unter Leitung eines hundertjährigen Indianers
führten sie Lieder und Tänze auf, die allerdings nicht in der Partitur standen.[13]
Sun dance opera (Doku) YouTube
Hier schließt sich
ein Kreis. Zitkala-Ša, Angel de Cora und die Romanfigur Queenie Tashina King
aus der Pentalogie Das Blut des Adlers von Liselotte Welskopf-Henrich:
ebenfalls eine an einer indianischen Kunstschule ausgebildete Indianerin, die
ihre „Vorbilder“ in den beiden bewundernswerten Indianerinnen „findet“, welche
in einer Zeit, da Bürger- und Indianerkrieg noch sehr lebendige Erinnerungen
waren, bereits hörbar für die Rechte und die Kultur der Indianer eintraten.
Abb 5 |
Dem
Palisander-Verlag ist ein weiteres Mal zu danken für die Auflage eines
großartigen Werkes von und über die nordamerikanischen Ur-Amerikaner. Frank Elstner und Ulrich Gräfe haben das Werk aus dem Englischen übersetzt.
Die Hinweise auf das ebenfalls im Palisander-Verlag herausgegebene belletristische Gesamtwerk der Liselotte Welskopf-Henrich sind dem Blogger hier ein Bedürfnis. Die Herausgabe von Büchern wie Roter Vogel erzählt oder Das Wunder vom Little Bighorn von John Okute Sica ergänzen Welskopf-Henrichs Werk hervorragend, sie führt zu einer bisher kleinen aber sehr interessanten Bibliothek eines Verlages, der damit ein anderes Zeichen in Sachsen setzt als der "große sächsische Lügenbold" - Karl May. [14]
► DNB / Palisander Verlag / Chemnitz 2015 / ISBN 978-3-938305-70-6 / 400 S.
© KaratekaDD (23.03.2016)
Abbildungen und Quellen:
Abbildungen:
Abb 1: Cover by Palisander Verlag
Abb 2: Titelseite by Palisander Verlag
Abb 3: https://en.wikipedia.org/wiki/File:General_Pratt_and_student.png; 22.02.2016, PD-US; File:General Pratt and student.png; Created: c.1880
Abb 4: https://de.wikipedia.org/wiki/Zitkala-%C5%A0a#/media/File:Zitkala-Sa,_1898.jpg; 21.02.2016; Gemeinfrei; File: Zitkala-Sa, 1898.jpg; Erstellt: 1. Januar 1898
Abb 5: Ausschnitt Schutzumschlag, by Palisander Verlag
Quellen:
[1] „Deutsche“, bekanntere
Schreibweise: Tashunka-Witko, Tatanka-Yotanka
[2] Oft wird von einer Armee
des Generals (Brigadier) Custer geschrieben. Erstens war Custer im Bürgerkrieg
Brevet-General, was bedeutete, dass dies ein Rang im Kriege war. Er hatte aber
nur den Rang eines Lieutenant Colonel inne und führte 1876 die 7th. Cavallry.
[3] Ein weiterer indianischer
Schriftsteller, John Okute Sica (geb. 1890) beschreibt den letzten siegreichen
Kampf der Indianer in „Das Wunder vom Little Bighorn“
[4] Vgl. Vorwort von Dr. Frank
Elstner in: Zitkala-Ša: Roter Vogel
erzählt, Chemnitz 2015, Seite 7ff
[5] Diese Schule wurde unter
anderem durch die Miniserie „Into the West“ bekannt. Die Lehrerfiguren Wheeler
weisen in ihren Ansichten durchaus Ähnlichkeiten mit Zitkala-Ša
auf. https://www.youtube.com/watch?v=ZdCxTF3o9qs&list=PLHzafdpoftzMX6XTEEOwuVp60Cx4VY0pA&index=5
[6] Zitat aus „Into the West“
[7] Zitkala-Ša: Roter Vogel erzählt, Chemnitz 2015, Seite 42/43
[8] Vgl. Ebenda, Seite 60/61
[9] Vgl. Ebenda, Seite 327 ff
[10] Hierzu wird ein weiterer
Beitrag im Blog folgen.
[11] Vgl. Vorwort Elstner in: Zitkala-Ša, Roter Vogel erzählt, Seite 7 ff
[12] Siehe Angel de Cora, Eine
autobiografische Skizze in: Zitkala-Ša,
Roter Vogel erzählt, Seite 396
[13] Vgl. Elstner, Die
Sonnentanzoper in: Zitkala-Ša , Roter
Vogel erzählt, Seite 10
[14] Hermann Kant in Die Aula
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