Samstag, 12. Dezember 2015

Scholl-Latour, Peter: Mein Leben


„Je n´enseigne pas, je raconte“ = „Ich belehre nicht, ich erzähle“.

Dies hat der französische Philosoph Montaigne gesagt. Cornelia Laqua, langjährige Lektorin und Reisebegleiterin von Peter Scholl-Latour, schließt mit diesem Motto des im August verstorbenen Journalisten dessen Biographie.[1] Genauer, des ersten Teiles dieser Autobiografie, den zweiten muss nun ein anderer weiterschreiben.

Geboren 1924 in Bochum, der Vater wurde im Elsaß geboren und wuchs in Lothringen auf: von früh an gibt es da eine Nähe zu Frankreich, auch die Annahme des Mädchennamens seiner Urgroßmutter (Latour) weist darauf hin. Und wirklich war es dann auch Frankreich, dem wohl seine Liebe und fortwährendes Interesse galt. Scholl-Latour war Katholik. Warum betone ich das? Weil seine strenge jesuitische Erziehung in der Schweiz doch sehr prägend war. In der Autobiografie erzählt er davon.  In diesem Zusammenhang erwähnt er später, dass er zwar das Zweite Vatikanische Konzil und die Notwendigkeit einer Kirchenreform anerkannte, die liturgischen Änderungen des Gottesdienstes (deutsch, Priester den Gläubigen zugewandt) und damit den Verzicht auf Traditionen aber ablehnte. 


Das Abitur machte er in Deutschland (1943). Als er sich 1944 freiwillig zur französischen Armee melden wollte, geriet er in Gestapohaft. Es ist wohl auch die Abenteuerlust gewesen, die ihn dazu brachte, mit den französischen Fallschirmjägern in den Indochinakrieg zu ziehen. Die Autobiografie räumt damit auch mit der Legende auf, dass er Fremdenlegionär gewesen wäre. Allerdings kommt er auf die Fremdenlegion immer mal wieder zurück. Damals waren aber auch sehr viele Deutsche in der Légion étrangère.

Scholl-Latour studierte Politik und Philologie an der Pariser Universität Sourbonne und später im Libanon arabisch. Dieser Unterricht brachte ihm umfangreiche Kenntnisse über den Islam, denn die Lehrer in Bikfaya (Sprachzentrum der Beiruter Universität), gehörten unterschiedlichen Richtungen und Konfessionen an. Gelehrt wurde literarisches Hocharabisch, aber sicher legte dieses zweijährige intensive Sprachstudium (1956-1958) die Grundlage für sein zweites „Standbein“, den Islam. 

Wer weiß schon, dass er Pressesprecher der Saarregierung war, bevor das Saarland zur Bundesrepublik kam? Oder dass er eine illegale Reise in die sowjetische Besatzungszone machte, die gleichzeitig nicht nur zu seiner ersten Reportage, sondern auch zur ersten veröffentlichten Reportage führte?

Peter Scholl-Latour war wohl überall in der Welt unterwegs. Sechs „Jahre“ alleine in Afrika, wenn er alle Aufenthalte zusammenzählen würde. Natürlich waren hier die ehemaligen französischen Kolonien in Nordafrika bestimmend. Aber auch Kongo, Kenia, Angola und andere. 
  

Vietnam, Indochina soll für die Soldaten, die gegen die Unabhängigkeitskämpfer in Nordafrika antreten mussten, immer eine Art von melancholischer Erinnerung gewesen sein. Dies erscheint uns vermutlich seltsam, dem großen alten Mann des Deutschen Fernsehens aber glaubt man seine Bilder des ehemaligen „kolonialen Charmes“ von Saigon, wie auch manchen Städten Afrikas. Man sieht sie vor sich, diese Bilder, beim Lesen der Autobiografie. Interessant, wie er vom Treffen mit Võ Nguyên Giáp, dem ehemaligen Oberkommandierenden der Volksarmee Nordvietnams, erzählt. Dem Gegner, dem er Respekt zollt: zwei alte Männer, die wissen, wovon sie reden. 


Mir war aus anderen Büchern und Artikeln schon bekannt, dass PSL ein Anhänger von General Charles de Gaulles gewesen ist. Nicht erwartet hatte ich, dass er diesen ehemaligen französischen Staatspräsidenten eine solche Breite einräumt. Als Gaullist wollte er aber nicht bezeichnet werden. („Gaullismus ohne de Gaulles wäre sinnlos“ zitiert er einen französischen Offizier). Nicht bewusst war mir allerdings bisher, dass de Gaulles die Grundlagen für die heutigen guten Beziehungen ehemaliger „Erzfeinde“ gemeinsam mit Adenauer legte.

* * *

Der erste Band endet mit de Gaulles. „Den zweiten Teil fangen wir mit dem amerikanischen Vietnamkrieg an und enden mit Afghanistan.“[2] Im Vorwort schreibt der Autor davon, dass noch mit 76 Jahren die Memoiren rausgeschoben hat. „Es mag lächerlich klingen, daß ich in diesem hohen Alter verlangt, das Projekt auf die lange Bank zu schieben…“[3] 
Aus heutiger Sicht hätte er sich lieber überwinden sollen und doch hat er wohl recht gehabt mit dem Gedanken, dass die „Publikation einer Autobiografie einen Schlußstrich zu ziehen droht.“[4]
* * *

Scholl-Latour zu lesen ist nicht unbedingt einfach, denn je älter er wurde, desto mehr sprang er gelegentlich hin und her mit unzähligen Querverweisen. Wenn man alles nachschlagen würde, von Fremdwörtern bis zu historischen Gegebenheiten, würde man nie fertig werden. In den letzten Büchern allerdings kann man thematisch schmökern und auch mal nachschlagen. Diese haben eher Tagebuchcharakter und sind thematisch vielfältig. Zunehmend wurde er kritischer, vor allem gegenüber der Politik der ISA in Nahost, im Irak, in Pakistan. Er mahnte einen anderen Umgang mit Russland an und kritisierte die EU-Osterweiterung.[5]
 




Kritisiert wurde er oft und manchmal geriet ich schon mal ins Stutzen ob seiner Auffassungen und Meinungen. Allerdings verging dies in den letzten Jahren. In DER FLUCH DES NEUEN JAHRTAUSENDS, DIE WELT AUS DEN FUGEN, und DER FLUCH DER BÖSEN TAT („vorletztes“ Buch) zeigte er deutlich mit dem Wissen von über 70 Jahren, was die politische Uhr geschlagen hat und würde er noch leben, dann würde er sich sicher überaus kritisch zum bewaffneten Eingreifen in Syrien äußern.

Ihm wurde „Scharlatanerie“, das „Aufrechterhalten bestehender Feindbilder“ vorgeworfen, zu „Zweck der eigenen Selbstdarstellung“. Es gab zum Thema Scholl-Latour und Islam auch ein Buch dazu: DAS SCHWERT DES EXPERTEN.[6] „Dieses Buch beschreibt nun erstmals die einseitige – wichtige politische und historische Zusammenhänge ausklammernde – Berichterstattung Peter Scholl-Latours über die Araber und den Islam. Das von Scholl-Latour verbreitete Schreckensbild einer angeblichen islamischen Bedrohung der westlichen Zivilisation wird als unverantwortliche Panikmache und undifferenziertes Zerrbild über den Islam kritisiert.“[7]
 
Das war 1993. Damals wollte ich ergründen, wie ich denn diesen schon nicht mehr jungen Journalisten zu werten hätte. Zweiundzwanzig Jahre später erscheint diese „Buchbeschreibung“ absurd. Nicht nur wegen des heute wirkenden islamistischen Terrorismus, sondern wegen Peter Scholl-Latours Art und Weise, auch den Unterdrückten dieser Welt ein Denkmal zu setzen und der „Welt“ die unterschiedlichen muslimischen Glaubensrichtungen, ihre Ursachen und ihre Gegensätze zu erklären. 


Nachwort:
In diesem Jahr sind gleich zwei große alte Männer verstorben. Beide wurden über 90 Jahre alt. Es ist ein Genuss und unterstreicht die Zurückweisung der oben erwähnten Kritik, den beiden noch einmal zuzuhören. Zwei, die sich nicht vormachen brauchen und dies natürlich auch nicht wollen: Helmut Schmidt und Peter Scholl-Latour. Bei Beckmann sprechen sie über die Tötung von Osama bin Laden.



► C. Bertelsmann Verlag - Random House / München / ISBN: 978-3-570-00508-8 / 445 S. / DNB

© Bücherjunge




[1] SCHOLL-LATOUR, Peter: Mein Leben; Bertelsmann, München 2014, S. 433

[2] vgl. Ebenda, S. 431

[3] vgl. Ebenda, S. 9

[4] vgl. Ebenda

[5] vgl. wikipedia, 12.12.2015, 13:30 Uhr

[6] vgl. Ebenda


[7] KLEMM / HÖRNER: Das Schwert des „Experten“ – Peter Scholl-Latours verzerrtes Araber- und Islambild; Palmyra-Verlag, Heidelberg 1993 (Buchrücken)


2 Kommentare:

  1. Einmal mehr ein sehr interessanter Beitrag hier. Die Ergänzung mit dem Video gefällt mir auch sehr gut. Man mag zu einzelnen Aspekten des Lebens und Wirkens von Scholl-Latour stehen, wie man will - eine beeindruckende Persönlichkeit mit außerordentlich viel Hintergrundwissen war er in jedem Fall...

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    1. Ich hab vor 20 Jahren auch gegrübelt und war mit manchem nicht einverstanden. Das hat sich aber geändert. Mit Recht schreibt er von den großen journalistischen "Abenteuern", die er der jüngeren Generation so nicht mehr zutraut. Und vor allem nicht die Freundschaften, die international entstanden sind. Aber bestimmt gibt es heute auch die Ausnahme von der Regel.

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