Für ein Tagebuch fehlt ihm die Zeit. Serhij Zhadan ist Tag und Nacht im beschossenen Charkiw (Ost-Ukraine) unterwegs – er evakuiert Kinder und alte Leute aus den Vororten, verteilt Lebensmittel, koordiniert Lieferungen an das Militär und gibt Konzerte. Die Posts in den sozialen Netzwerken dokumentieren seine Wege durch die Stadt und sprechen den Charkiwern Mut zu, unermüdlich, Tag für Tag. Die Stadt leert sich. Freunde kommen um. Der Tod ist allgegenwärtig, der Hass wächst. Als die Bilder von Butscha um die Welt gehen, versagt auch Zhadan die Stimme. »Es gibt keine Worte. Einfach keine. Haltet durch, Freunde. Jetzt gibt es nur noch Widerstand, Kampf und gegenseitige Unterstützung.« (Verlagsbeschreibung)
DNB / Suhrkamp / 2022 / ISBN: 978-3-518-43125-2 / 239 Seiten
EINE CHRONIK VOM ÜBERLEBEN IM KRIEG...
"Himmel über Charkiw" erschien bereits 2022 und stellt eine Sammlung von Social-Media-Posts vor, die eindringlich und unmittelbar vom Leben in der ukrainischen Metropole Charkiw nach Beginn des russischen Angriffskrieges erzählen. Hier gibt es Geschichten von ganz gewöhnlichen Menschen sowie vom Autor gemachte Beobachtungen aus der umkämpften grenznahen Stadt - alles zusammen ergibt einen intensiven Eindruck von den ersten vier Kriegsmonaten, untermalt durch zahlreiche Handyfotos.
Auch schon vor dem russischen Angriffskrieg hat Serhij Zhadan auf Facebook eine Art öffentliches Tagebuch geführt - dieser Versuch, der Vergänglichkeit zu trotzen, gewann mit Beginn des Krieges jedoch noch einmal zusätzlich an Bedeutung. Nun galt es, so viel wie möglich aus dem Leben in Charkiw aufschreiben, um es vor dem endgültigen Untergang zu bewahren. Zhadan dokumentiert hier den Zusammenhalt der Menschen, die Verteidigung des Landes, der Kultur, der Identität.
Der Versuch, trotz allem einen Alltag zu leben - berührend beispielsweise, als Anfang April, also wenige Wochen nach Beginn der russischen Offensive, Gärtnerinnen und Gärtner Blumen im Stadtpark pflanzen. Die große Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung - auch der Autor engagiert sich sehr bei der Verteilung von Nahrung und Medikamenten, begleitet aber auch Hilfstransporte für das Militär. Konzerte, die der Autor gibt, um den Menschen in Kriegszeiten etwas Freude zu schenken. Die Welt der Kinder, die in diesen unruhigen Zeiten in der Frontstadt groß werden, zu schnell erwachsen werden und selbst schon Verantwortung für noch Kleinere übernehmen. Bekannte Musiker, die inmitten der Trümmer musizieren und damit ein trotziges Zeichen setzen - eine Kulturfront als wichtiges Element der ukrainischen Verteidigung, denn von den Russen werden auch gezielt Museen, Bibliotheken und Theater zerstört.
Serhij Zhadan hat 2022 für "Himmel über Charkiw" den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhalten. Er ist ein Mann der deutlichen Worte - so nennt er beispielsweise die russischen Aggressoren "Horde" und "Verbrecher", die Texte sind von Pathos getragen, teilweise deutlich von Hass durchtränkt. Jedoch kann man Verständnis für die Ohnmacht, die Entschlossenheit, die Trauer entwickeln, die sich bei Zerhij Zhadan so klar Ausdruck verschafft. Mittlerweile geht Zhadans Aktivität zur Verteidigung noch weiter - er ist 2024 dem Freiwilligenbataillon "Chartija" der ukrainischen Nationalgarde beigetreten. Worte reichen ihm in diesem Fall nicht länger aus...
© Parden
Das war sicherlich sehr eindringlich. Schön, dass du das Buch hier vorgestellt hast.
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