Sonntag, 17. Dezember 2017

Kang, Han: Menschenwerk


Ein Junge ist gestorben, und die Hinterbliebenen müssen weiterleben. Doch was ist ihnen ihr Leben noch wert? Han Kang beschreibt in ihrem neuen Roman, wie dehnbar die Grenzen menschlicher Leidensfähigkeit sind. Ein höchst mutiges Buch und ein brennender Aufruf gegen jede Art von Gewalt.

(Klappentext Aufbau Verlag)

  • Gebundene Ausgabe: 224 Seiten
  • Verlag: Aufbau Verlag; Auflage: 1 (15. September 2017)
  • Sprache: Deutsch
  • Übersetzung:  Ki-Hyang Lee
  • ISBN-10: 3351036833
  • ISBN-13: 978-3351036836
  • Originaltitel: Sonyeoni onda










WAS IST MENSCHLICHKEIT UND WIE LÄSST SIE SICH BEWAHREN?


Gwangju-Aufstand: Soldaten feuern in die flüchtenden Demonstranten

In ihrem neuen Roman führt die südkoreanische Schriftstellerin ("Die Vegetarierin") den Leser zurück in die jüngere Vergangenheit Koreas. Im Jahr 1980 kam es in der Stadt Gwangju zu friedlichen Studentenprotesten gegen die Militärdiktatur. Diese Proteste wurden von der Militärregierung mit einem brutalen Massaker zerschlagen: der damalige südkoreanische Militärmachthaber Chun Doo-Hwan ließ seine Truppen wahllos in die Menge schießen. Als sich in den darauf folgenden Tagen die Bevölkerung der Stadt mit den Studenten solidarisierte, wurde die Mehrzahl der Demonstranten ermordet.

Im Mittelpunkt der Erzählung steht der der 15-jährige Schüler Dong Ho, der mit einem gleichaltrigen Freund in einen Demonstrationszug gerät, wobei dieser erschossen wird. Dong Ho hilft später, die Getöteten zu bergen und in eine Schule zu bringen, wo sie von Verwandten identifiziert werden können. Schließlich stirbt auch Dong Ho, als die Soldaten die Schule stürmen. In Rückblicken wird von den Überlebenden des Massakers berichtet, von den Erlebnissen während der brutalen Ereignisse, aber auch von den Folgejahren. Traumatisierungen durch Haft und Folter, soziale Entfremdung und Einsamkeit, Depression und Schuldgefühle ziehen sich durch die Generationen. Eine Dokumentation der Gewalt und der Unmöglichkeit, normal weiterzuleben.

 
"Ich kämpfe gegen die Schande, überlebt zu haben und immer noch am Leben zu sein. Ich kämpfe gegen die Tatsache, dass ich ein Mensch bin."

 
In jedem Kapitel kommen andere Menschen zu Wort, die dieses Massaker miterlebten. Jeder Zeitzeuge erzählt seine Geschichte - sachlich oft im Stil, die Sätze meist kurz gehalten. Hinzu kommt, dass die Erzählenden oft mit jemandem sprechen, den sie als 'Du' bezeichnen: einem Toten, einem Überlebenden, einem Vermissten. Dadurch schafft Han Kang für den Leser eine Distanz zum Geschehen, die durch die akribische und detaillierte Art der Schilderung der Gewalttaten und ihrer Folgen jedoch aufgeweicht wird. Hier wird die existenzielle Gewalterfahrung auf eine derart eindringliche Weise vermittelt, dass man meint, unmittelbar am Schauplatz unmenschlichen Geschehens, nahezu Augenzeuge der Vorgänge zu sein. Die einzelnen Geschichten greifen zunehmend ineinander und verdichten sich zu einem Ganzen, das den Leser an den Rand des Erträglichen führt. Doch Han Kang schafft auch sinnliche, stille, poetische und zeitweise surreale Bilder wie beispielsweise den Monolog einer Seele, die sich vergeblich bemüht, sich von ihrem verwesenden Körper auf einem Leichenhaufen zu lösen.

Der Epilog verrät, dass die Autorin selbst aus Gwangju stammt, und dass  ihre Eltern vor dem Umzug nach Seoul ihr Haus an die Familie von Dong Ho verkauft haben. Der Hauptcharakter des Buches ist also eine reale Figur, die zum Auslöser für den Roman wurde. Dabei schaut Han Kang in ihrem Resümee nicht nur nach Südkorea, sondern auch über den Tellerrand, und auch dem Leser dürfte klar sein, dass derlei Geschehnisse in der Weltgeschichte kein Einzelfall sind. Insofern gewinnt der Titel 'Menschenwerk' tatsächlich eine übergreifende Bedeutung.

Insgesamt ist dieser Roman ein Werk von ungeheurer atmosphärischer Dichte, das einen gnadenlosen Blick auf das Wesen 'Mensch' gewährt. Er verdeutlicht, dass der Mensch sowohl zu der ihm innewohnenden Gutherzigkeit als auch zu der ihm ebenso innewohnenden Gewaltbereitschaft getrieben werden kann und bietet damit auch eine nahezu philosophische Auseinandersetzung mit der Frage nach dem 'Menschsein' und der 'Menschlichkeit'.

Wieder einmal ein beeindruckender Roman der Südkoreanerin!

© Parden












Der Aufbau Verlag schreibt über die Autorin:

Han Kang wurde in Gwangju, Südkorea, geboren. 1993 debütierte sie als Dichterin, ihr erster Roman erschien 1994. Für ihr literarisches Schreiben wurde sie mit dem Yi- Sang-Literaturpreis, den Today’s Young Artist Award und dem Manhae Literaturpreis ausgezeichnet. Derzeit lehrt sie kreatives Schreiben am Kulturinstitut Seoul.

übernommen vom Aufbau Verlag


3 Kommentare:

  1. Die Frage nach dem 'Menschsein' und der 'Menschlichkeit', hat zur Zeit wieder große Bedeutung angenommen, obwohl sie zu jeder Zeit present sein sollte.

    Ein wichtiges Buch, wie ich finde.

    Regina

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    1. Liebe Regina, schön, Dich hier zu lesen!

      Diese Frage ist leider immer aktuell, und auch bei diesem Roman kann man vom Kleinen aufs Große schließen, von dem Geschehen in einem Land auf das Geschehen weltweit. Leider. Und ja, solche Bücher sind immer wichtig. Nur so kann ein Bewusstsein wachsen...



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  2. Man sollte nicht vergessen, dass so mancher Demokratie noch vor wenigen Jahrzehnten ein brutales menschenverachtendes Regime vorausging...

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