Auf dem Gelände eines ehemaligen Waisenhauses steht eine Voliere, in der ganz unterschiedliche Vogelarten gehalten werden: Kanarienvögel, Haussperlinge und Prachtfinken, aber auch Papageien. Jeden Tag besucht ein Mann die Voliere, um im Schatten eines Ginkgos dem Gesang der Vögel zu lauschen und mit ihnen zu sprechen. Eines Nachmittags jedoch bricht er neben dem Käfig zusammen und stirbt kurze Zeit später. Die Vögel sind über den Verlust ihres treuen Freundes so bestürzt, dass seinem jüngeren Bruder die Obhut der Voliere anvertraut wird, um sie zu beruhigen. Von den Kindern in der Stadt wird der jüngere Bruder fortan der »Herr der kleinen Vögel« genannt – so aufopferungsvoll kümmert er sich um die Tiere. Er lebt einsam und zurückgezogen, nur zwei Menschen gelingt es, sein Vertrauen zu gewinnen. Einer jungen Bibliothekarin, die er kennenlernt, als er in der Stadtbücherei Fachbücher über Vogelkäfige konsultiert. Und einem alten Mann, der stets eine kleine Holzschachtel mit einer Grille bei sich trägt, um sich an ihrem Gesang zu erfreuen ... Als eines Tages ein kleines Mädchen vermisst gemeldet wird, gerät die ansonsten so friedliche Stadt in helle Aufregung. Und der Herr der kleinen Vögel wird von zwei Polizisten über seinen merkwürdigen Bekannten mit der Grille befragt, der ebenfalls spurlos verschwunden ist.
(Klappentext Liebeskind Verlag)
- Gebundene Ausgabe: 272 Seiten
- Verlag: Liebeskind; Auflage: 1 (24. August 2015)
- Sprache: Deutsch
- Übersetzung: Sabine Mangold
- ISBN-10: 3954380501
- ISBN-13: 978-3954380503
Ich danke dem Liebeskind Verlag ganz herzlich für die Möglichkeit, dieses Buch als Rezensionsexemplar lesen zu können!
DER GESANG DER EINSAMKEIT...
Dies ist bereits das dritte Buch von Yoko Ogawa, das ich gelesen habe, und immer wieder zeigt sich ihre Kunst, auf eine unaufgeregte und doch fast poetische Art einsame Leben zu präsentieren, die leise am Rande der Gesellschaft existieren und letztlich dennoch erfüllt scheinen.
In diesem Buch geht es um zwei Brüder, die sich von Kindheit an eine ganz eigene Welt schaffen. Der ältere der beiden Brüder vermag nicht mit anderen zu kommunizieren, hat aber eine eigene Sprache entwickelt, zu der nur der jüngere Bruder einen Zugang hat. Dieser versteht ihn und kann sich mit ihm unterhalten, fungiert auch als 'Übersetzer' für die Umwelt. Er ist es auch, der erkennt, dass sein älterer Bruder sich nicht nur für Vögel zu interessieren beginnt, sondern so intensiv dem Gesang dieser Tiere lauscht, dass es oftmals so wirkt, als könne er sich mit ihnen unterhalten.
Nach dem Tod der Eltern ist es der jüngere Bruder, der sich um den Älteren kümmert. Er arbeitet als Verwalter eines stillen Gästehauses einer Firma und verdient so das Geld für sie beide, er erledigt auch die Einkäufe und alle außerhäuslichen Angelegenheiten, während der ältere Bruder sich um den Haushalt kümmert. Die beiden leben wie in einem Kokon, umgeben von Ritualen, die kaum einmal durchbrochen werden. Sie fühlen sich am wohlsten gemeinsam in ihrem Elternhaus, sorgen sich um die Vögel im Garten und gehen täglich zu einer nahegelegenen Voliere auf dem Grundstück eines Kindergartens. Dort steht der ältere Bruder oft stundenlang, um die Vögel zu beobachten und ihrem Gesang zu lauschen - der Zaun, an den er sich dabei lehnt, zeigt schon den Abdruck des Mannes.
Als der ältere Bruder plötzlich stirbt, vermag der Jüngere nicht von seinen Ritualen abzulassen. Er besucht weiter täglich die Voliere und übernimmt schließlich die Pflege der Vögel. Leise und behutsam begibt er sich in den Dienst der scheuen Tiere und erfreut sich stets an deren schönem Gesang. Im Kindergarten nennen sie ihn nur noch den 'Herrn der kleinen Vögel'. Er beginnt sich Bücher über Vögel in der Bibliothek auszuleihen und kommt dort scheu in Kontakt mit der jungen Bibliothekarin. Und bei einem sonntäglichen Spaziergang lernt er einen älteren Mann kennen, der ihn lehrt, dass auch Zikaden schön zu singen vermögen. Doch eines Tages wird ein kleines Mädchen als vermisst gemeldet, und plötzlich muss der jüngere Bruder erfahren, dass 'Kotori' nicht nur 'Herr der kleinen Vögel' bedeutet...
Ein Buch der leisen Töne über ein scheues, zurückgezogenes Leben und über den Rückzug in die Stille hat Yoko Ogawa hier präsentiert. Ohne jede Wertung und in der Rolle des genauen Beobachters stellt die Autorin dieses Leben vor und lässt den Leser daran teilhaben. Gemeinsam entdeckt man die kleine Dinge des Alltags, an denen man sich erfreuen kann, lernt die Welt der sonst oft so unscheinbaren Vögel kennen - und verneigt sich schließlich trotz einer verbleibenden Distanziertheit - niemals erfährt man beispielsweise den Namen eines der Brüder - vor einem derart unspektakulären und letztlich doch erfüllten Leben.
Wieder einmal ein bezauberndes Buch der japanischen Schriftstellerin, das mich in meiner Absicht bestärkt, noch weitere Werke von ihr lesen zu wollen.
© Parden
Der Liebeskind Verlag schreibt über die Autorin:
Yoko Ogawa gilt als eine der wichtigsten japanischen Autorinnen ihrer Generation. Für ihr umfangreiches Werk wurde sie mit vielen Literaturpreisen ausgezeichnet, zuletzt mit dem Tanizaki-Jun'ichiro-Preis. Für ihren Roman »Das Geheimnis der Eulerschen Formel« erhielt sie den begehrten Yomiuri- Preis. Yoko Ogawa lebt mit ihrer Familie in der Präfektur Hyogo.
► übernommen vom Liebeskind Verlag
"und plötzlich muss der jüngere Bruder erfahren, dass 'Kotori' nicht nur 'Herr der kleinen Vögel' bedeutet..."
AntwortenLöschenDa bekommt man ja scon in der Rezension einen gewaltigen Schreck.