Samstag, 14. November 2015

Ali, Nojoud: Ich, Nojoud, zehn Jahre, geschieden



Ihre Geschichte sorgte weltweit für Aufsehen: Die zehnjährige Nojoud wird gegen ihren Willen von ihrem Vater mit einem Mann verheiratet, der dreimal so alt ist wie sie. Damit beginnt für das Mädchen aus dem Jemen eine Zeit der Qual – schutzlos ist sie dem Willen ihres Ehemanns ausgeliefert. Doch Nojoud beschließt, sich zu wehren: Auf eigene Faust sucht sie Zuflucht im Gericht und begegnet dort der Anwältin Chadha Nasser. Mit deren Hilfe gelingt ihr das Unvorstellbare: Sie erwirkt die Scheidung ihrer Zwangs-ehe und darf endlich das Haus ihres Ehemanns verlassen.

(Klappentext Verlagsgruppe Droemer Knaur)



  • Taschenbuch: 208 Seiten
  • Verlag: Knaur TB (9. August 2010)
  • Sprache: Deutsch
  • Übersetzung: Andreas Riehle, Thomas Wollermann
  • ISBN-10: 3426783150
  • ISBN-13: 978-3426783153












EIN WICHTIGES BUCH...


Als ich zehn Jahre alt war - was habe ich da gemacht? Ich war gerade mit meinen Eltern und meinem Bruder in ein neues Haus gezogen, ich ging in die vierte Klasse der Grundschule, hatte Musikunterricht, war im Sportverein und spielte mit meinen Freundinnen, fuhr Rollschuhe, baute Baumhäuser, ging im Sommer schwimmen und liebte die Ferien auf dem Bauernhof meiner Großeltern.

Nojouds Kindheit sieht anders aus. Als Kind einfacher Eltern in Jemen, die meist keine Arbeit und nur sehr wenig Geld haben, lebt sie inmitten von zahlreichen Geschwistern.  Es gibt kaum Spielsachen, manchmal so wenig zu essen, dass es kaum für alle reicht, Fernsehgeräte oder Radios sind nur vom Hörensagen bekannt. Und doch ist Noujoud eine ganz normale Zehnjährige mit ganz normalen Vorlieben, Träumen und einem großen Zugehörigkeitsgefühl zu ihrer Familie. Doch dann verwandelt sich ihr Leben in einen Albtraum.

Nojoud wird gezwungen, die Schule im zweiten Schuljahr abzubrechen, kurz bevor ihr Vater sie einem dreimal so alten Mann zur Ehefrau gibt. In einem abgelegenen Dorf fern ihrer Familie ist sie seinem Willen und dem ihrer Schwiegermutter schutzlos ausgeliefert. Geschlagen, gedemütigt - und vergewaltigt.


Trotzdem würde ich mir so sehr wünschen, dass mich jemand an der Hand nimmt, mich mitfühlend ansieht. Dass man mir zuhört, nur das eine Mal! Aber es ist, als sei ich unsichtbar. Keiner sieht mich. Ich bin zu klein für sie. Ich reiche ihnen gerade bis zur Hüfte. Ich bin erst zehn Jahre alt, vielleicht noch nicht mal, wer weiß?


Was bleibt Nojoud? Weglaufen ist sinnlos - so abgelegen, wie das Dorf ist, würde man sie rasch wieder einfangen, sie käme nie bis zum Haus ihrer Eltern. Und selbst wenn: schließlich war es ihr Vater, der sie diesem Mann zur Frau gegeben hat. Sicher würde er sie schnellstmöglich wieder zu diesem zurückschicken. Sich umbringen, weil sie es nicht mehr aushält? Nojoud beschließt in ihrer Verzweiflung einen besonderen Weg. Während eines Besuches bei ihren Eltern rennt sie weg, fährt erstmals allein mit einem Bus, schließlich sogar mit einem Taxi, denn plötzlich hat sie ein Ziel: das Gericht.


Ich bin ein Mädchen vom Land, das in der Hauptstadt lebt. Ich habe mich immer den Befehlen der Männer aus der Familie gebeugt. Seit jeher habe ich gelernt, zu allem 'Ja' zu sagen. Heute habe ich beschlossen, 'nein' zu sagen.


Bei Gericht begegnet Nojoud schließlich der Anwältin Chadha Nasser. Und das Mädchen kann hier nicht nur endich ihre Geschichte erzählen, sondern erfährt tatsächlich Hilfe. Was niemand zu hoffen gewagt hat: Sie erwirkt nach Wochen des Bangens die Scheidung ihrer Zwangsehe und darf endlich das Haus ihres Ehemanns verlassen. Über die Landesgrenzen hinaus wurde ihr Schicksal bekannt, und so wurde durch den Mut der Zehnjährigen vieles in Bewegung gebracht.

In Jemen gilt die Zwangsverheiratung kleiner Mädchen als unumstößliche Tradition. Ein jemenitisches Sprichwort besagt: 'Heirate ein Mädchen mit neun, und deine Ehe wird glücklich sein.' Nach Nojouds Scheidung haben sich nicht nur andere Mädchen getraut, sich gegen ihre Ehemänner zu erheben, sondern es ist ein Tabuthema ans Licht der Öffentlichkeit gebracht worden, das auch viele andere Länder betrifft: Ägypten, Indien, Iran, Mali, Pakistan... In Jemen wurde inzwischen die Gesetzgebung geändert: das Mindestalter für die Eheschließung wurde auf 17 Jahre angehoben. Auch wenn sich die Tradition sicher nicht von heute auf morgen ändern wird, kann dies für die Mädchen als Zeichen der Hoffnung gesehen werden...


Vor kurzem starb ein neunjähriges jemenetisches Mädchen, das mit einem Saudi verheiratet war, drei Tage nach der Hochzeit. Die Eltern hätten entsetzt sein müssen! Stattdessen haben sie sich eiligst bei dem Ehemann entschuldigt und ihm als Ersatz die siebenjährige Schwester des Mädchens angeboten, so als hätten sie ihm schlecht Ware geliefert.


Dieses Buch erzählt von einer Geschichte, die weltweit für Aufsehen sorgte und Wellen schlug, die bis heute nicht abgeklungen sind. Insofern ist es ein wichtiges Buch. Es ist immer schwer, solche Bücher zu 'bewerten', denn schließlich wird hier ein Schicksal beschrieben. Meist aus der kindlichen Sichtweise Nojouds erzählt, erfährt der Text Ergänzungen durch Delphine Minoui, die als Journalistin als Nah-Ost-Expertin gilt. Sie schlägt den Bogen von der Schilderung des Einzelschicksals hin zu den gesellschaftlich-politischen Auswirkungen von Nojouds Geschichte, wodurch der Leser einen guten Einblick erhält in die Gegebenheiten Jemens. Dies hat das Buch in meinen Augen rund gemacht.

Ein sehr eindrückliches Buch über ein Tabuthema, berührend und informativ zugleich.


© Parden















Die Verlagsgruppe Droemer Knaur schreibt über die Autorinnen:


Nojoud Ali freut sich nach ihrer Befreiung aus der Zwangsehe, wieder zur Schule gehen zu dürfen. Sie träumt davon, Anwältin zu werden. Um sie vor Übergriffen aus ihrer Familie zu schützen, wurde Nojoud in die Einrichtung einer Kinderhilfsorganisation gebracht.



Delphine Minoui ist Journalistin und arbeitet unter anderem für Le Figaro, Le Soir, L’Express und Radio France. Sie ist Nah-Ost-Expertin und lebt zur Zeit in Teheran.

übernommen von der Verlagsgruppe Droemer Knaur


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