Bisher zog es mich in Prag an sich immer an die zentralen Plätze. Wenzelplatz, Karlsbrücke, Hradschin, die Prager Burg. Es gibt so viele Sehenswürdigkeiten in der tschechischen Hauptstadt, dass man Tage in dieser verbringen kann. Von Dresden aus sind es so rund zwei Stunden Zugfahrt. Das man sich, wenn man am Prager Hauptbahnhof ankommt, schon im Jüdischen Viertel befindet, wird einem vielleicht bewusst, wenn man an der Jerusalem-Synagoge vorbeikommt.
Einem Tipp folgend zog es mich diesmal an einen Ort, der mir durch ein Professor bekannt wurde, der über ihn geschrieben hatte. DER FRIEDHOF IN PRAG von Umberto Eco, über den schon so manches hier im Blog erschien, den Professor meine ich.
Befindet man sich allerdings im Jüdischen Viertel in Prag, den denkt man doch weniger an Eco und seinen Roman. Eher sind die jüdischen Geschichten und Sagen aus dem Prager Ghetto präsent.
Was fällt einem da so ein? Na klar, der Golem, diese Figur aus Lehm vom Moldau-Strand, geschaffen von einem Rabbi namens Löw. Das Heft DER PRAGER GOLEM fand ich dann im unvermeidlichen Souvenirladen nebst einen schmalen Bändchen Kafka, um den es aber hier nicht gehen soll. I, Golem - Büchlein wird erzählt, wie die Juden nach Böhmen kamen. Der Legende nach sollen Juden schon zu Zeiten des zweiten Tempels in der Gegend gewohnt haben, wo wir heute Prag finden. In Wirklichkeit sind die ersten Juden wohl im 9. Jahrhundert aus Moskowien dahin gekommen sein. Eines der bekanntesten Wahrzeichen ist die Altneusynagoge. Auf dem Dachboden dieser soll der Golem hausen, zumindest soll sich der Lemklumpen dort befinden.
Eine bekannter Name ist auch der des Mordechai Meisel. Er soll ein großer Wohltäter gewesen sein. Die Maiselsynagoge ist heute ein Museum. Im Heft wird erzählt, wie er ein reicher und wohltätiger Mann wurde. Seine Geschichte wird allerdings in der Wikipedia etwas anders erzählt.
Der Großteil des Heftes handelt von diesem sagenhaften Rabbi Jehuda Löw aus Worms, der bis zu seinem Tode Oberrabbiner der Prager Juden war, berufen von Kaiser Rudolf II. Mehrfach hat er die Juden der Stadt vor ihrer Ausweisung bewahrt. Der soll den Golm geschaffen haben, einen Traum jüdischer Kabbalisten damit erfüllend. Der Golem sollte vor dem jährlichen Pessachfest durch die Gassen streifen und Anschläge von Judenfeinden verhindern. Als er nicht mehr gebraucht wurde, schläfertem sie ihn wieder ein. Berühmt geworden ist die Figur durch den Stummfilm von Paul Wegener aus dem Jahr 1920: Der Golem wie er in die Welt kam.
Unter www.kafka-prag.de kan man allerdings folgendes lesen:
"Die Ursprünge der Sage reichen bis in das 12. Jahrhundert zurück, als in Worms (der vermeintlichen Geburtsstadt von Rabbi Löw) ein hebräischer Kommentar zu dem mystischen Traktat "Sefer Jezira" erschien. Schon hier ist von einem magischen Ritual die Rede, das aus Buchstaben und Zahlen bestand, um den Golem zum Leben zu erwecken. Luther übrigens übersetzte das Wort Golem (der im Psalm CXXXIX, 16 auftaucht) mit "unbereitet".
Die Prager Golem-Sage ist neueren Ursprungs. Ein wenig verblüffend ist die Tatsache, dass zu Zeiten von Rabbi Löw, dem vermeintlichen Erschaffer der Lehmfigur, noch niemand über einen Golem sprach. Erste Andeutungen über magische Fähigkeiten von Rabbi Löw tauchten 1725 auf, als im Zuge der Restaurierung des Grabes seine Nachfahren einen Abriss zu Leben und Werk veröffentlichten. Doch auch hier wird der Golem noch mit keiner Silbe erwähnt. Erst 1838 veröffentlichte der deutsch-tschechische Journalist Franz Klutschak in der Zeitschrift "Panorama des Universums" einige Geschichten über den alten Judenfriedhof und Rabbi Löw. Dabei trug eine Erzählung den Namen "Der Golam und Rabbi Löw". Einem breiteren Publikum bekannt aber wurde die Sage erst durch eine Geschichtensammlung, die den Namen "Sippurim" trug und erstmals in deutscher Sprache verfasst wurde. Der Herausgeber, Wolf Pascheles, erkannte, dass es ein wachsendes jüdisches Publikum für Bücher gab, die in literarischem Deutsch und deutscher Schrift verfasst werden. Die "Sippurim" waren so erfolgreich, dass es noch Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts Nachdrucke gab."
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Regionale Sagen und Legenden in einer "fremden" Stadt zu erwerben, ist kein schlechter lit(t)erarischer Zeitvertreib. doch auch damit treibt man sich letztlich in der Geschichte rum. Der Alte jüdische Friedhof in der Josefstadt ist einer der bedeutendsten in der Welt. Er ist nicht viel mehr aus einen Hektar groß, soll 12000 Grabsteine und die Gebeine von 100000 Menschen beinhalten. Genutzt wurde er von ungefahr 1478 bis1787. Das der Friedhof mitten in der Stadt so hügelig erscheint, liegt daran, dass die toten in bis zu zwölf Schichten übereinander begraben wurden. Löw, Maisel und andere bekannte Juden sind auf dem Friedhof begraben.
Angeschlossen ist ein Museum und die Pinkas - Synagoge. Hier wird auch an die tausende deportierten Juden gedacht, deren Namen wurden an den Wänden verewigt. Die einzelnen Aktionen der Deportierten Juden in den Arbeits- und Vernichtungslager, vorzugsweise in Richtung Polen werden auf Schautafeln beschrieben. Erinnert wurde ich auch an Hanas Koffer, angesichts der gemalten Kinderbilder nicht nur aus Theresienstadt.
Es ist schon sonderbar, erst vor kurzem wurde ich auf diese auch mahnenden Denkmäler aufmerksam gemacht. Hitler & co. wollten in Prag eine Art "Museum einer untergegangenen Rasse" einrichten und daher wurden die alten Gebäude, Synagogen und Friedhöfe nicht zerstört, Raubgut aus vielen Ländern hier gesammelt, zum Beispiel in der Maisel-Synagoge. Die Menschen aber wurden fortgebracht - umgebracht. Geht man durch die Gassen, die Synagogen, den Friedhof, dann wird einem nach und nach die Ungeheuerlichkeit wieder einmal schwer bewusst.
In diesem Sinne erscheint der eingangs erwähnte Roman des Professors Eco plötzlich irgendwie unbedeutend. Benutzt wurde der Friedhof bereits 1868 in einem antisemitischen Roman. Der dortige Text wurde sodann in den sogenannten "Protokollen der Weisen von Zion" verwendet, eine Fälschung, die immer wieder für die Begründung einer jüdischer Weltverschwörung herangezogen wurde. Eco allerdings beschrieb, wie durch ständige Lügen und Verfälschung die Protokolle entstanden und entlarvt mit Mitteln des Romans damit die Fälschung und Lüge.
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► DNB / Hrsg: Harald Salfellner / Vitalis GmbH / 2017 / ISBN: 978-3-89919-099-1 / 64 s.
© Bücherjunge
Abbildungen:
a) Transferred from de.wikipedia to Commons / 9 May 2007 (original upload date) (Original text: März 2007) / The original uploader was Geof at German Wikipedia. (Original text: fot. Geof 01:35, 10. Mai 2007 (CEST)); 30.09.18; 13:40 Uhr
b) 4 August 2007 (original upload date) (Original text: 01.08.2007) / Self-photographed / Engelberger at German Wikipedia
Da hast Du eine sehr besondere Stadtführung präsentiert - gefällt mir sehr gut, vor allem auch mit der Untermalung durch die Fotos!Tatsächlich war ich noch nie in Prag...
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